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1980

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Praktische Theologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

708

Praktische Theologie: Allgemeines

Seitz, Manfred: Praxis des Glaubens. Gottesdienst, Seelsorge
und Spiritualität. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht
1978, 228 S. gr. 8°. Kart. DM 24,-.

Zweiundzwanzig Aufsätze und Vorträge — der älteste Beitrag
stammt aus dem Jahre 1962, neun werden hier zum ersten Mal
veröffentlicht — zeigen an, welchen praktisch-theologischen Gegenstandsbereichen
das Interesse des Vf. in den zurückliegenden
beiden Jahrzehnten vornehmlich galt: Seelsorge, Predigt,
Spiritualität. Deutlich erkennbarer Schwerpunkt ist dabei die
Auseinandersetzung mit der „beratenden Seelsorge" und das
Bemühen um eine biblische Anthropologie. Was der Vf. sagt
und schreibt, ist nicht zeitlos, sondern hat durchweg seinen
Ort in bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen: Wir erleben
einen Hochschullehrer, der offenbar durch die Universitätsunruhen
in der BRD Ende der sechziger und Anfang der
siebziger Jahre und entsprechende Erscheinungen im kirchlichen
Raum verunsichert, durch „völlig verzerrte Formen jugendlichen
Protestes" (11) erheblich verletzt wird, sich zeitweise
wohl „hoffnungslos antiquiert" (175) vorkommt, dann
aber — etwa seit Mitte der siebziger Jahre — ein neues „Lebensgefühl
" („ein Gefühl der Unsicherheit und Instabilität aller
Dinge", 68) konstatieren kann, in dem unvermutet die
Frage nach dem, „was bleiben soll" (145), neues Gewicht gewinnt
— eine Frage, für die er sich nun wieder in besonderer
Weise kompetent weifj.

Man liest die Beiträge dieses Bandes — auch da, wo man
dem Vf. nicht zustimmen kann — doch durchweg mit Sympathie
und Gewinn. Dies hat zwei Gründe: Da ist die (im wohlverstandenen
Sinne) .bescheidene' Art der Darstellung, die
auch da, wo sie sich im Recht weiß, niemals selbstgerecht
wirkt. Und da ist weiter das Bemühen, auch anderen Positionen
das Recht zu lassen, das ihnen zusteht; sie, soweit möglich
, der eigenen Konzeption zu integrieren. Beispiel Seelsorge
: Die Kritik an der „beratenden Seelsorge" wird deutlich
vorgetragen. Sie gilt der „Übermethodisierung", „Psychologisierung
", „Entkerygmatisierung" seelsorgerlichen Handelns, die
hier statthat (87): „Das gelingende Kontaktgeschehen und die
einfühlende Beziehung treten an die Stelle der Inhalte" (67).
Akte geglückter Kommunikation gewinnen eine quasisakramentale
Bedeutung. Die Funktion des Zeugen fällt aus bzw.
wird geradezu als Störung empfunden (148). Besonders fragwürdig
: die „theologisierend vereinnahmende Rezeption tiefenpsychologischer
Anschauungen und Verfahrensweisen"
(147), in der sich eine „Ich-Schwäche der Theologie" (148) kundtut
. So steht die beratende Seelsorge in der Gefahr, den Menschen
— nämlich den ganzen Menschen, zu dessen Ganzheit
auch seine „Gottesbedürftigkeit" (150) gehört — zu verfehlen
(145). Dennoch: Konzeption und Verfahren beratender Seelsorge
werden vom Vf. nicht grundsätzlich verworfen. Es gibt
kein Zurück zur „verkündigenden Seelsorge" (66, 95). Sein Interesse
gilt der Integration von Beratung und Beratern in die
Sendung der Kirche; und zu dieser Sendung gehört das verbale
Zeugnis — der „Auftrag, die heilende Gegenwart Gottes
auf dem Felde menschlicher Konflikte auch durch persönliches
Wort zu vertreten" (152) — unveräußerlich hinzu. Er postuliert
eine „parakletische Seelsorge", „die der beratenden Seelsorge
ihr Recht, aber nicht ihre Zeugnisschwäche läfjt" (69):
„In, mit und unter der beratenden Seelsorge" soll Paraklese
— „die das entfremdete Geschöpf Gottes mit sich, mit seinesgleichen
und mit Gott versöhnende Berufung zum Reich" —
geschehen (95; vgl. auch die Definition S. 96). Solche parakletische
Seelsorge wird mit Hilfe biblischer Anthropologie
begründet; Ausgangspunkt ist dabei der anthropologische Zentralbegriff
des Alten Testaments, „neepees", der den Menschen
als den „grundsätzlich Bedürftigen, Unstillbaren" gerade auch
in seiner „Gottesbedürftigkeit" kennzeichnet (88, 149f. 212).

Wie solche parakletische Seelsorge sich vollzieht, macht der
Vf. an einem instruktiven Fallbeispiel deutlich, das sich in
einem bereits 1964 veröffentlichten Aufsatz („Was ist Seelsorge
— und wie geschieht sie durch Gemeindeglieder?", 73
bis 83) findet: „Seelsorge ist Beistehen in den Grundsituationen
des Lebens vom Evangelium her ... Ihr Ziel ist sein Heilwerden
durch das helfende Gespräch im Bekenntnis des Glaubens
" (73). Es ist vor allem der alternde, der alte und der sterbende
Mensch, an dem sich solche Seelsorge bewährt („Das Altwerden
des Menschen als Aufgabe der Seelsorge", 120—130;
„Theologie angesichts des Todes", 131—137; „Der alte Mensch
und sein Tod", 138—143). Wichtig der Hinweis, dafj solche
Seelsorge in der Seelsorgeausbildung nur exemplarisch vermittelt
und in der Seelsorgepraxis auch nur exemplarisch geübt
werden kann: „Konzentration auf Schwerpunkte" (auf „Schlüsselpersonen
", auf „gruppenseelsorgerisches Verfahren") anstelle
einer „pauschalen Seelsorge" in Gestalt einer „flüchtigen
, unerbetenen und oberflächlichen Berührung vieler Menschen
, etwa durch sog. ,seelsorgerliche' Besuche" („Exemplarische
Seelsorge — Begriff, Aufgabe und Methode", 109—119).

Unter den Beiträgen, die sich mit der Predigt — im Kontext
des Gottesdienstes — beschäftigen, verdient der (1969 veröffentlichte
) Aufsatz „Zum Problem der sogenannten Predigtmeditation
" (21—32) nach wie vor besondere Beachtung: Der
Vf. macht hier den Vorschlag, der Meditation (streng als „persönliche
Betrachtung" verstanden) ihren Platz noch vor der
exegetischen Besinnung zuzuweisen und stattdessen zwischen
Exegese und Predigtniederschrift eine „homiletische Reflexion"
(in deren Mittelpunkt die Gemeinde und ihre Situation steht)
einzufügen, so daß sich die Reihenfolge Meditation — Exegese
— Homiletische Reflexion — Predigt ergibt. Wichtig: „Zum Wesen
der Meditation gehört eine gewisse Zwecklosigkeit"; sie
vollzieht sich in einer „den Text gleichsam spielerisch umkreisende
^) Begegnung", „in einem unbefangenen und unbewaffneten
Sichaussetzen" (24).

Von den Beiträgen, die dem Themenkreis „Spiritualität" zugeordnet
sind, können hier nur zwei erwähnt werden: Ein
streng biblisch-dogmatisch orientierter Traktat „Der Heilige
Geist im Leben des Menschen" (155—167) und ein Aufsatz über
„Gebet und Gebetserhörung" (206—217) der die Erfahrung
der Gebetserhörung als Deutevorgang begreift, bei dem Widerfahrnisse
in das Bedeutungssystem des Glaubens eingeordnet
werden und so in allem die Zuwendung und das Zukommen
Gottes geglaubt wird; nicht die Wandlung des göttlichen, sondern
des menschlichen Willens, seine „Einung mit Gottes Willen
", ist Sinn des Bittgebets (213 f).

Leipzig Karl-Heinrich Bieritz

Adloff, Kristlieb: Eingebung — Eingabe — Hingabe. Über den
Fortschritt des Geistes im Fürbittengebet der Gemeinde
(WPKG 67, 1978 S. 306-318).

Haiski, Karl: Wort — Bruderschaft - Gemeinde (WPKG 67,
1978 S. 48-51).

Herms, Eilert: Die Bedeutung der natürlichen Theologie für
die pastorale Praxis (WPKG 67, 1978 S. 318-332).

Lippert, Peter: Kirchliches Brauchtum, Chance und Herausforderung
(WuA 20, 1979 S. 7-12. 48-52).

Metzger, Marcel: Les choix pastoraux, nouveau terrain pour la
theologie (NRTh 101, 1979 S. 193-211).

Rahner, Karl: Theologie et spiritualite de la pastorale parois-
siale (NRTh 101, 1979 S. 381-394).

Scharfenberg, Joachim: Religion als Ausdruck innerer Erfahrung
? (ThPr 13, 1978 S. 111-113).

Smith-von Osten, Annemarie: Einige Bemerkungen zur Einheit
innerhalb der EKD auf dem Hintergrund der Entstehung
der Grundordnung der EKD zwischen 1945 und 1948 (JK Bh
zu Heft 4 „Gottes Wort ist nicht gebunden" 1978 S. 34-37).

Ruh, Ulrich: Priesterlose Sonntagsgottesdienste (HK 34, 1980
S. 203-206).

Urban, Hans-Jörg: Der ökumenische Gottesdienst in katholischer
Sicht (ÖR 29, 1980 S. 30-42).