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Ausgabe:

1980

Spalte:

704-705

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Klappert, Bertold

Titel/Untertitel:

Promissio und Bund 1980

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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703

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

704

Nach einem kurzen „Seitenblick auf Karl Barth" (95—103),
in dem auf die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen
Barth und Bonhoeffer an Hand der Literatur eingegangen
wird, befaßt sich Vf. mit der „Theorie des neuzeitlichen
Christentums", wie sie Trutz Rendtorff vertritt, um — wie R.
meint — im Sinne der Intention Barths die Allgemeinheit der
christlichen Religion, die bei dessen Bindung an den Kirchenbegriff
zunächst ausgeklammert schien, und ihre Vermittlungsfähigkeit
zur Welt hin zum Ausdruck zu bringen. Trotz kritischer
Anfragen an Rendtorffs Christentumstheorie (107 f) gerade
von Bonhoeffer her findet Vf. auch hier wie vorher schon
bei Pannenbergs Verständnis von Überlieferungsgeschichte eine
starke Verwandtschaft zu Bonhoeffer, insofern die moderne
Gesellschaft genuines Thema der Theologie ist, u. zw. nicht
nur im „Modus der Fremdheit", darum auch interdisziplinäre
Arbeit nötig ist und der für Rendtorff zentrale Freiheitsgedanke
an Bonhoeffers Begriffe der Mündigkeit und Verantwortung
erinnert. So kann denn auch der in dem kürzeren
Teil II der Arbeit skizzierte Theorierahmen für die Untersuchungen
zur kirchlichen GWA als „christentumssoziologischer
Rahmen" bezeichnet werden. An Stelle der Dichotomie Kirche-
Gesellschaft kann in der Perspektive der Christentumsgeschichte
„Soziologie der Gesellschaft unter dem bestimmten
Gesichtspunkt des Christentums" (Rendtorff) betrieben werden,
d. h. es geht um eine vertiefte und erweiterte Kirchensoziologie
, bei der nicht von vornherein feststeht, was kirchlich
und was weltlich ist.

Die Aktualität der Frage, die in dieser Arbeit, deren Material
- und Problcmreichtum ich nur andeuten kann, angepeilt
wird, bedarf keiner Begründung. Die Fragen, die sich mir stellen
, möchte ich abschließend wenigstens anvisieren:

1. Wird man, wenn man die Linie von Bonhoeffer zur „Überlieferungsgeschichte
" und zur „Christentumstheorie" (trotz
mancher Einschränkungen) so auszieht, dem bei Bonhoeffer
vorliegenden komplizierten Sachverhalt wirklich gerecht? Ich
bezweifle das und finde diese Begriffsverwendung für die Bon-
hoeffer-Deutung eher problematisch als klärend. Aber darauf
wird die Bonhoeffer-Forschung zu antworten haben.

2. Was bedeutet es für die Lösung der Grundfrage nach dem
Verhältnis von Theologie und Soziologie hinsichtlich der
„Wirklichkeit", wenn mit Nachdruck vom Eingehen Gottes in
die Weltwirklichkeit in Christus bzw. in der Kirche und seiner
„Habbarkeit" geredet wird, zugleich aber von Glaubenserkenntnis
und Unverfügbarkeit? Hier vermisse ich eine eingehende
Auseinandersetzung mit dem Credo, ut intelligam, d. h.
mit der These, da5 Offenbarung zwar in Jesus Christus Geschichte
und also auch soziologisch faßbare Wirklichkeit wird,
aber sich nicht dahinein verwandelt, so daß umgekehrt diese
Geschichte bzw. diese soziologisch erfaßbare Wirklichkeit qua
se zur Offenbarung würde. In diesem Zusammenhang empfiehlt
es sich wohl, es nicht nur bei einem „Seitenblick auf
K. Barth" zu belassen.

3. Mir ist nicht deutlich geworden, was dieser christentumssoziologische
Rahmen für die praktische GWA des näheren abwirft
, d. h. wie die Teile I und II in Teil III zum Zuge kommen
bzw. ob es gerade dieser Theorie bedarf, um die GWA
zu rechtfertigen. Daß die christliche Gemeinde auch zum Tatzeugnis
gerufen ist (vgl. Barmen III), daß Christen auch weltlich
-anonym im sozialen und politischen Bereich ihren Glauben
durch ihr Handeln zu interpretieren haben, ist wohl auch ohne
das einsichtig zu machen. Ebenso aber wäre zu bedenken, daß
die Kirche wohl auf manche solcher Aktivitäten dann verzichten
könnte und sollte, wenn die sozialen und politischen Verhältnisse
so geregelt wären, daß die hier genannten gesellschaftlichen
Notstände behoben oder doch eingeschränkt wären
durch von Staat und Gesellschaft geschaffene humanere
Lebensbedingungen für alle.

Bonn Walter Kreck

Klappert, Bertold: Promissio und Bund. Gesetz und Evangelium
bei Luther und Barth. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht [1976]. 296 S. gr. 8° = Forschungen zur systematischen
und ökumenischen Theologie, 34. Kart. DM 36,—.

Eine Gegenüberstellung von Luthers und Barths Aussagen
zum Thema „Gesetz und Evangelium" stößt sicher auf Interesse
. Seit den innertheologischen Auseinandersetzungen während
des Kirchenkampfes und in der Nachkriegszeit hat sich
das Urteil festgesetzt, daß an dieser Stelle ein fundamentaler
theologischer Gegensatz sichtbar geworden sei, der auch kirchenpolitische
Konsequenzen nach sich gezogen habe. Umstritten
ist dabei, ob dieser Gegensatz genuin zwischen Luther auf
der einen und Barth auf der anderen Seite besteht oder ob er
erst durch das Luthertum des zwanzigsten Jahrhunderts provoziert
worden ist, dem gegenüber auf das ursprüngliche Verständnis
Luthers zurückverwiesen werden kann. Theologen
wie Hans-Joachim Iwand und Ernst Wolf haben sich bei ihrer
Parteinahme für Barths Fassung darauf berufen, daß sie auch
mit Luthers eigenen Aussagen im Einklang stünden.

Bertold Klappert hat seine Habilitationsschrift, deren erweiterte
Fassung in diesem Buche vorliegt, in Anlehnung an die
Position Iwands und Wolfs geschrieben. Seine Untersuchung
ist zunächst eher eine Interpretation der Aussagen Barths als
eine Interpretation der Aussagen Luthers. Der größere Teil
des Buches umfaßt eindringende Analysen der entsprechenden
Aussagen Barths in „Evangelium und Gesetz" sowie in KD H/2
und in KD IV. Luthers Gedanken werden dagegen mehr the-
tisch als analysierend dargestellt. Mit einer Fülle von begrifflichen
Distinktioncn sucht der Vf., den Unterschied zwischen
Barth und Luther herauszuarbeiten, wobei ihm vor allem daran
liegt, die Differenzen nicht zu verwischen. Das Ergebnis der
Analysen wird jeweils in Thesen zusammengefaßt, wie überhaupt
die gesamte Arbeit methodisch genau vorgeht.

Die grundlegende Differenz zwischen Luther und Barth in
dieser Frage bringt Klappert auf die Formel: „Heilsgeschehen
und Verkündigung und Evangelium und Gebot bzw. Gesetz
und Evangelium stehen bei Barth und Luther in einem verschiedenen
Bezugsrahmen, der bei Barth mit der christologi-
schen Kategorie Bund, bei Luther mit der kerygmatischen
Kategorie promissio, Verheißung zu bestimmen ist: wo bei
Barth der Bund der Erwählung, da steht bei Luther die Verheißung
der Vergebung" (229). Diese Differenz ist nach Klappert
jedoch nicht als Alternative zu verstehen, sondern als
irreversible Inklusion, „insofern Barth Luthers Dialektik von
Gesetz und Evangelium und Luthers Kreuzeschristologie positiv
zu rezipieren vermag, sie zugleich aber der übergreifenden
Dialektik der christologischen Bundesgeschichte einordnet"
(236 f). Die Inklusion von Barths Aussagen in Luthers Konzeption
, wie sie etwa E. Schlink vorgeschlagen hat, hält der Vf.
nicht für möglich.

Damit ist bereits eine der vielen begrifflichen Distinktionen
angesprochen, die Klappert in seinem Buch vornimmt, nämlich
die Unterscheidung von christologischer und kerygmati-
scher Ortsbestimmung der Lehre von Gesetz und Evangelium,
neben denen er noch die anthropologische, die offenbarungstheologische
und die bundestheologische nennt (23). Die Vorordnung
des Evangeliums vor das Gebot ist für Barth bundestheologisch
begründet, während Luther kerygmatisch-an-
thropologisch argumentiert. Das führt zu einer weiteren Di-
stinktion: zwischen der „Wesens- und Wahrheitsbestimmung
von Evangelium und Gebot" auf der einen und der „Wirklichkeitsbestimmung
von Gesetz und Evangelium" auf der anderen
Seite. Die unterschiedliche Benennung und Reihenfolge
hängt mit dem jeweiligen Aspekt zusammen, wobei für Barth
irreversibel gilt: „Die Wirklichkeitsgeschichte von Gericht und
Rechtfertigung/Gesetz und Evangelium kann nur von der an
der Bundesgeschichte orientierten Wahrheitsgeschichte von
Evangelium und Gebot aus eingesehen werden" (59).

Im Rahmen dieser beiden Grunddistinktionen geht Klappert
einer Reihe von einzelnen Differenzpunkten zwischen Barth
und Luther nach: dem Verhältnis von Erfüllung des Bundes