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1980

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

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So viel zum Ganzen. Sodann zu den Einzelheiten: Es würde
zu weit führen, die ganze Fülle des hier Gebotenen und seiner
Probleme auch nur auszugsweise zu diskutieren, angefangen
etwa bei der Frage, ob es die von Ed. Schwartz behaupteten
Synoden vor und nach Nikaia 325 (Tyros 324 und Nikaia II
327) gegeben hat oder nicht (der Vf. bleibt in beiden Fällen
sehr skeptisch, s. S. 23 Anm. 36 und S. 31 Anm. 75, vgl. jetzt R.
Lorenz ZKG 90, 1979, 22 ff) bis zur Diskussion um die Herleitung
des christlichen Mönchtums, das der Vf. (347 ff) unter
Beiseitestellung nahezu sämtlicher religionsgeschichtlichen
Einflüsse allein auf den Gedanken der „Nachfolge Christi" zurückführen
möchte (wobei übrigens G. Kretschmars wichtiger
Beitrag ZThK 71, 1964, 27 ff in der Literatur vermißt wird).
Wichtiger als solche Einzelprobleme sind auch im Detailbereich
die grundsätzlichen Fragen und hier vor allem die kritischen.
Zunächst: Wie in anderen Bänden des Jedin'schen Werkes, so
ist auch hier die historische Überfülle des Stoffes nicht gefeit
gegen thematische Überschneidungen und Verdoppelungen
(vgl. z. B. S. 42 ff und 257 ff - Papst Liberias, S. 118 ff und
276 ff - das „latrocinium Ephesinum", S. 176 ff und 267 ff -
Innozenz I und Zosimus); die Dinge werden in verschiedenem
Zusammenhang einfach zweimal vorgetragen, ohne weiteren
Querverweis.

Schwerwiegender als derartige Schönheitsfehler sind die z. T.
spürbaren Informationslücken und Engpässe der Darstellung,
u. zw. gerade an solchen Stellen, wo der fachlich nicht spezialisierte
Leser eine ausführliche Unterrichtung erwarten müßte.
So wird z. B. die höchst beachtliche Argumentation des berühmten
Tomus Leonis von 449 (vgl. 119 f) einfach nicht mitgeteilt
, obwohl die dogmatischen Positionen der östlichen Theologen
(Nestorius, Kyrill usw.) in gleicher Sache ausführlich zur
Sprache kommen. Ebenso hätten auch die dürftigen Mitteilungen
über Sinn und Inhalt altkirchlicher Kanones (vgl. 28. 77.
288 usw.), aber auch die äußerst komprimierten Notizen zur
Entwicklung der altkirchlichen Liturgie (welcher Nichtfach-
mann kann mit den Angaben S. 300 ff etwas anfangen?) ausführlicher
, bzw. farbiger und damit verständlicher ausfallen
dürfen. Bedauerlich ist auch das Fehlen jeglicher Information
zur Entstehungsgeschichte der christlichen Mystik. Hier hätte die
„asketische Konzeption" (396) des Euagrios Pontikos (an fünf
Stellen kurz erwähnt) den Einstieg geboten. In dieser Hinsicht
bleibt übrigens auch Bd. H/2 auffallend wortkarg. Überhaupt
fällt das gewaltige Thema der christlichen Humilität
(vgl. den Artikel „Demut" von A. Dihle, RAC Bd. III, Sp. 735 ff)
in den beiden ersten Bänden des Handbuches ganz unter den
Tisch.

Das führt schließlich auf die wichtigste kritische Anfrage,
die an den Band zu stellen ist, auf das Problem der großen
„homines religiosi" im altkirchlichen Bereich, bzw. im Rahmen
einer kirchengeschichtlichen Gesamtübersicht der vorliegenden
Form. Gewiß, die großen geistlichen Gestalten der Alten Kirche
tauchen im Laufe der Darstellung (wenn auch oft in sehr verschiedenen
Zusammenhängen) alle irgendwo einmal auf, allein
der Vorsatz des Vf., eine an den sachlichen Hauptthemen
der Kirchengeschichte orientierte Darstellung zu bieten, hat in
diesem Fall ein derartiges Eigengewicht gewonnen, daß das
personale Element auf weite Strecken darin einfach auf- und
untergeht. Um hier nur die wichtigste Fehlanzeige hervorzuheben
: Dem Band über das 4. und 5. Jh. fehlt eine zusammenhängende
Wiedergabe von Lebensweg und Persönlichkeit
Augustins! Zwar taucht Augustin im Rahmen des antidonati-
stischen Ringens (142 ff) plötzlich (als bekannt vorausgesetzte
Größe) gleichsam aus dem Nichts kometenhaft empor, freilich
nur, um mit seiner Prädestinationslehre (182 ff) ebenso spurlos
wieder zu verschwinden. Lediglich die Erörterung von
Augustins Klosterregel beschwört seinen Schatten noch einmal
(403 ff) — von den Confessiones, von De civitate Dei kein Wort!
Wenn man bedenkt, mit welcher Ausführlichkeit Iserloh in
Bd. IV die Persönlichkeit Luthers ins Zentrum gerückt hat, so
wirkt eine solche Behandlung (bzw. Nichtbehandlung) des
größten christlichen Theologen in einem kath. Handbuch wahrhaft
bestürzend. Aber dieser Mangel steht nicht für sich, er

wiederholt sich vielmehr mutatis mutandis streng genommen
an allen mehr oder minder „großen" Persönlichkeiten des hier
beschriebenen Zeitraumes. Selbst die Pilgerin Egeria (alias
Aetheria) — wie lebendig hat Lietzmann (Bd. III, 308 f) ihr
Bild auf knapp anderthalb Seiten projiziert! — führt als Persönlichkeit
im Grunde nur ein Schattendasein (vgl. 316. 340.
370).

Natürlich kann man sich für dergleichen auf die immense
Schwierigkeit einer grundsätzlich überpersonal angelegten Disposition
berufen, wie sie dem Baus'schen Werk in der Tat zugrundeliegt
, aber damit ist das anstehende Problem freilich
nur gestellt, nicht gelöst. Vielleicht ist es nicht ganz zufällig,
daß demgegenüber gerade solche Abschnitte der Darstellung
ansprechend wirken, in denen das individuelle Element um
der Sache willen von vornherein in den Hintergrund treten
muß. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Kapitel
des Werkes rühmend hervorzuheben. Einmal: Der mit Abstand
am flüssigsten, zuweilen fast spannend konzipierte Bestandteil
des Bandes ist — erstaunlicherweise — das Kap. 12
über „Pelagius und die Folgen" (168 ff). Das sonst überall
spürbare Ringen des Vf. mit den z. T. erdrückenden Stoffmassen
, welches zumal im Teil III die stilistische Gangart zu verlangsamen
droht, ist hier — fast möchte man sagen: wie
weggeblasen, zumal Pelagius im Blick auf sein kirchenrefor-
matorisches Anliegen keineswegs verächtlich behandelt wird.
Nicht weniger rühmenswert ist .zum anderen das letzte (21.)
Kapitel des Bandes über „Kirche und Gesellschaft" (410 ff), u.
zw. wegen seines bloßen Vorhandenseins; denn damit wird
der Schluß des Bandes durch ein Thema gebildet, das man in
herkömmlichen Darstellungen in dieser Form nahezu vergeblich
sucht. Baus schildert die einschlägigen Verhältnisse ebenso
ohne apologetische Verklärung der kirchlichen Leistungen wie
ohne Beschönigung des kirchlichen Versagens mit ebenso
eindrucksvollen wie z. T. erschütternden Einzelheiten. Es wäre
zu wünschen, daß die künftige Kirchengeschichtschreibung
mehr und mehr lernt, nicht nur die obere und mittlere, sondern
gerade auch die unterste Ebene des historischen Geschehens
ernstzunehmen und in ihre Konzeption einzubeziehen. Sie
würde damit jene geschichtliche Bühne betreten, die die Evangelien
in der Darstellung der irdischen Wirksamkeit Jesu vor
Augen stellen.

Corrigenda etc.: S. 107 sind die Zeilen 3-8 in Unordnung; S. 113:
Der Vf. der Abhandlung über ,Hypostasis' ist H. Dörrie (nicht H. Dörries);
S. 115, Z. 13: Apollinarismus; S. 127 Seitentitel: wieder einmal Origenes, S. 131:
die griech./deutsch alternierende Wiedergabe des Titels »Peri archon" ist unschön
; S. 143 (Literatur) i Das Augustinbuch von Brown ist 1973 in deutscher
Ubers, erschienen; S. 162: Daß der Comes Marcellinus ein einflußreicher
Freund Augustins war, wird erst S. 173 achgetragen, mufj aber hier um
des Verständnisses des (angeblich „unparteiischen') Religionsgespräches von
411 unbedingt mitgeteilt werden; S. 189: Das wichtige Buch von Nock
„Conversion" ist 1961 in 2. Aufl. erschienen; S. 246: Die Mitte der Seite ist
heillos durcheinander (lacuna?); S. 347: Der Herausgeber der Quellen zur
Geschichte der Askese ist H. (nicht (K.) Koch; bei der allgemeinen Literatur
häf.e an dieser Stelle unbedingt Lietzmann, Gesch. d. Alten Kirche Bd. IV.
S. 116 ff erwähnt werden müssen; S. 388 (Literatur): Der Vf. des ZKG-Auf-
satzes von 1966 heifjt R. Lorenz (nicht Lorentz); S. 410 (Literatur): E. Troeltsch,
Soziallehrcn, mufj nach der 2. Aufl. 1919 zitiert werden; S. 452 (Register):
beim Stichwort „Mission" fehlt Hinweis auf S. 379; allgemein zu beanstanden
ist, daß bestimmte, auch ungeläufige Fachbegriffe als dem Leser bekannt
eingeführt, d. h. nicht erklärt werden, z. B. S. 107 u. 112 .Idiomenkommunikation
", S. 117: .Synodos endemousa", (wird erst S. 253 erklärt), S. 147:
.traditores", S. 225: „ara Victoriae* (hätte eigentlich schon S. 90 f erwähnt
sein müssen), S. 283 Jnterstitien"; S. 284 „Asketerion". Weithin werden
patristisebe Titel, wo sie nicht, wie z. B. Theodorets .Eranistes" (S. 117)
erläutert werden, als dem Leser geläufig behandelt.

Erlangen Karlmann Beyschlag

Buss, Paulo Wille: O Credo Apostolico? Fiel testamunho da
verdade (IgLu 39, 1979/2 S. 4-8).

Magaß, Walter: Römische Kriterien in der Alten Kirche. Bemerkungen
zu Minucius Felix (LingBibl 1979 Nr. 46 S. 62 bis
74).

Meinhold, Peter: Studien zu Ignatius von Antiochien. Wiesbaden
: Steiner 1979. XII, 86 S. gr. 8°. = Veröffentlichungen des
Institutes für Europäische Geschichte Mainz, 97. Kart
DM 28,-.