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Ausgabe:

1980

Spalte:

683-684

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bruce, Frederick F.

Titel/Untertitel:

Paul, apostle of the free spirit 1980

Rezensent:

Rissi, Mathias

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Seite 1

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683

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

684

Bruce, F(rederick) F[yvie]: Paul: Apostle of the Free Spirit.
Exeter: The Paternoster Press (1977), 491 S., 16 Taf. gr. 8°
Lw. £ 9.60.

Das neue Buch von F. F. Bruce ist ein umfassender Versuch,
Leben, Botschaft und Werk des Apostels darzustellen, wie es
vor ihm schon Deissmann, Dibelius, Bornkamm, Munck, Kuss
und andere getan haben.

Elf der 38 Kapitel wurden bereits in ähnlicher Form als
Aufsätze veröffentlicht. In den ersten 7 Kapiteln beschreibt B.
die historische Szenerie, vor der sich das Leben und Wirken
des Paulus abspielte: die Entwicklung Roms zur Welthauptstadt
, die Geschichte des Judentums seit dem 6. Jh. v. Chr., die
kulturelle und religiöse Situation der Heimatstadt des Paulus,
die Bedeutung seines römischen Bürgerrechts und seines jüdischen
Erbes. Daran fügt sich eine äußerst knappe Darstellung
des Lebens und Lehrens Jesu und der frühen Kirche mit ihrer
Christologie.

Mit dem 8. Kap. beginnt die Darstellung der eigentlichen
Lebensgeschichte des Apostels vor und nach seinem Damaskuserlebnis
, seines Verhältnisses zu der von ihm übernommenen
Tradition der Jerusalemer Kirche, zum „historischen" Jesus
und zum erhöhten Herrn. B. ist geneigt, dem Offenbarungsgeschehen
bei Damaskus einen ungemein großen Einfluß
auf die Entwicklung der paulinischen Christologie zuzuschreiben
(Kyrios, Gottessohn, Eikon, Geistverständnis). Die Theologie
des Apostels wird nicht zusammenhängend ausgebreitet,
sondern B. beschäftigt sich jeweils mit einzelnen Problemen
im Zuge seiner Erklärung der missionarischen Wirksamkeit des
Apostels.

Die Missionsreisen umfassen die Kap. 13—31. In wertvollen
geographischen und historischen Exkursen werden die von
Paulus während seiner missionarischen Tätigkeit berührten
Orte vorgestellt, so daß das Bild des Geschehens konkret und
lebendig wird.

Kap. 32—37 behandeln die Probleme der Gefangenschaft des
Apostels in Rom, seiner allfälligen Freilassung, Wiederverhaftung
und seines Todes in Rom.

Abgeschlossen wird der Band von einer Charakterisierung
des Paulus als des Apostels der Freiheit und einer kurzen Geschichte
des Paulusverständnisses in der alten Kirche, in „fic-
tion and legend" und der Bedeutung des Paulus für die Theologiegeschichte
(Augustin, Reformatoren, Wesley und Karl
Barth).

In Kürze werden die Hauptprobleme aller unter dem Namen
des Paulus geschriebenen Briefe besprochen. Die Urteile
über Detailfragen sind aus den Kommentaren von Bruce bekannt
. Einige Hinweise mögen hier genügen. Im Galaterbrief
will Bruce den ältesten Paulusbrief erkennen, geschrieben vor
dem Apostelkonzil. Gal 2 widerspricht darum nach seiner
Auffassung in keiner Weise der Darstellung der Apostelgeschichte
. Der 2 Thess ist paulinisch und wohl schon vor dem
1 Thess geschrieben. Die Gefangenschaftsbriefe stammen aus
der römischen Zeit des Paulus. Der Epheserbrief enthält für B.
die Quintessenz der paulinischen Gedanken.

B. ist durchaus offen für die Möglichkeit pseudonymer Abfassung
einiger Briefe, entscheidet sich aber meist doch für
paulinische Verfasserschaft. Seine historischen Urteile sind
äußerst „konservativ" und seine Argumentationen fordern oft
zum Widerspruch heraus, es wäre jedoch völlig ungerecht, sie
auf theologische Befangenheit zurückzuführen. Schwierigkeiten
bereitet besonders die von B. versuchte beinahe fugenlose
Zusammenschau der Darstellung des Paulus in der Apg
mit des Apostels eigenen Angaben, aus der ein im wesentlichen
widerspruchsloses Bild der Ereignisse entsteht. Lukas
der Arzt, zeitweise Begleiter des Paulus, soll der Verfasser der
lukanischen Schriften sein. Sogar die Areopagrede wird als
„paulinisch" akzeptiert. Die Ignorierung der Bedeutung des
Todes Jesu wird damit erklärt, daß die Rede (nach der bekannten
These) mehr praeparatio als evangelium sei, damit
die Heiden gewonnen werden. Vieles wird ganz einfach unverständlich
, wenn man nicht die lukanische und die paulinische
Theologie klar unterscheidet. Diese Harmonisierungsversuche
mindern leider den Wert der Arbeit wesentlich.

Das Buch ist mit vielen Bildern ausgestattet, leicht lesbar,
äußerst lebendig geschrieben und doch mit dem nötigen gelehrten
Apparat versehen. Man spürt die innerste Teilnahme
des Vf. an seinem Gegenstand auf jeder Seite.

Richmond, Va. Mathias Rissi

Schnackenburg, Rudolf: Maßstab des Glaubens. Fragen heutiger
Christen im Licht des Neuen Testaments. Freiburg—Basel
-Wien: Herder (1978). 255 S. 8°. Kart. DM 28,-.

Der Würzburger Neutestamentier legt hier neue Arbeiten
vor, die aus seinem Vortragsdienst entstanden sind. Sie sind
in erster Linie für fachlich nicht geschulte Leser bestimmt, sind
aber mit einer kurzen Literaturliste und Anmerkungen zu den
wichtigsten Punkten versehen. Der Vf. weicht den „heißen
Eisen" nicht aus, etwa dem Problem der charismatischen Bewegungen
(Nr. 7), der Herkunft des Bösen (8) oder der Wehrdienstverweigerung
(9), gibt freilich auch nüchtern zu, daß
das Neue Testament in der Regel keine direkte Antwort vermittelt
. Für den evangelischen Rez. ist die Behandlung des
Kirchen- und Amtsverständnisses (Nr. 4 zur Einheit der Christen
, 5 zum Kirchlichen Amt, 6 zum Epheserbrief) am interessantesten
. Ich bin mit Schnackenburg darin einig, daß es das
Charisma der Leitung gibt und daß die Kirche schlecht beraten
wäre, wenn sie daran vorbeiginge. Sicher gibt es schon in den
paulinischen Gemeinden „Vorsteher", ja „Bischöfe und Diakonen
". Daß die Aufgabe dieser Ämter gerade die Wahrung der
Einheit der Kirche ist, ist ein wichtiger Hinweis. Der Vf. wird
auch darin rechthaben, daß es Ende des 1. Jh. notwendig
wurde, solche Leitungsdienste zu ordnen. Das heißt aber nur,
daß es institutionalisiertes „Amt" gibt, wann und wo Gott seiner
Kirche diese Gabe schenkt, und daß es darum auch immer
Gruppen geben wird (und geben muß), die daran erinnern,
daß nach dem Neuen Testament ein einziger ein „Amt" (lei-
turgia, timia, arche) innehat, Jesus Christus selbst. Die Funktion
solcher Kirchen, z. B. der Gemeinschaft der Quäker, besteht
meiner Meinung nach darin, zeichenhaft in Erinnerung
zu rufen, daß die Institutionalisierung (z. B. in der Ordination)
zwar die freie Gabe Gottes anerkennen, nie aber diese von
sich aus geben kann. Neben den geordneten Ämtern der Pastoralbriefe
steht auch im Neuen Testament zur selben Zeit das
freie Wirken des Geistes in den Gemeinden der Johannesbriefe
, die keines Lehrers bedürfen (1 Joh 2,27). So gehört das
Amt in der Regel, aber nicht immer und überall, zum „bene
esse" der Kirche, nicht aber zum „esse". Läßt sich also mit
Schnackenburg wirklich sagen, daß nach Eph 4,11 Evangelisten
und Hirten mit Aposteln und Propheten, die das Fundament
der Kirche bilden (2,20), zusammenstehen, also die gleiche
Funktion ausüben — solange man nicht jene als Beispiele für
den jedem Glaubenden aufgetragenen Dienst versteht? Bleiben
nicht die Apostel (und Propheten), die für uns im Neuen
Testament zugänglich sind, einzigartig in ihrer kirchenstiften-
den Funktion, während alle übrigen Dienste sämtlicher Gemeindeglieder
grundsätzlich gleichwertig sind? Der erste Aufsatz
liefert wichtige Informationen über die Stellung der Exegese
in der katholischen Kirche seit dem Vaticanum II und
vertritt einen Wissenschaftsbegriff, der auch die Verantwortung
für das Leben in Kirche und Gesellschaft einschließt. Der
zweite bespricht die Osterproblematik, der dritte die verschiedenen
Verständnismöglichkeiten von „Gottessohn". Alle neun
Aufsätze beweisen das „Charisma" Schnackenburgs, das ihn
wahrhaftig zu seinem „Amt" als Lehrer nicht nur der Theologen
, sondern auch der Gemeinde und der außerhalb der Gemeinde
Stehenden befähigt.

Zürich Eduard Schweizer