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Ausgabe:

1980

Spalte:

675-676

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vielhauer, Philipp

Titel/Untertitel:

Oikodome 1980

Rezensent:

Gräßer, Erich

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Seite 1

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675

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

676

Neues Testament

Vielhauer, Philipp: Oikodome. Aufsätze zum Neuen Testament
,: 2. Hrsg. v. G. Klein. München: Kaiser 1979. XIV,
245 S. 8° = Theologische Bücherei. Neudrucke u. Berichte aus
dem 20. Jh., 65: Neues Testament. Kart. DM 38.-.

Vierzehn Jahre nach dem ersten Aufsatzband (TB 31, 1965)
und zwei Jahre nach Vielhauers viel zu frühem Tod (er starb
63jährig im Dezember 1977) erscheint dieser zweite Band. Er
enthält zunächst die seit langem vergriffene Dissertation aus
dem Jahre 1939. Sie gibt der Sammlung nicht nur den Titel
— „Oikodome" —, sondern auch das Gewicht (168 Seiten
von 228). Denn wenn auch die Untersuchung infolge des inzwischen
bekanntgewordenen neuen Materials zur Gnosis- und
Qumranforschung nicht mehr den neuesten Forschungsstand
repräsentiert, so bleibt sie doch maßgebend für jede Beschäftigung
mit dem Thema. Aus zwei Gründen. 1. Die Mustergültigkeit
formkritischer und religionsgeschichtlicher Methode,
mit der „Das Bild vom Bau in der christlichen Literatur vom
Neuen Testament bis Clemens Alexandrinus" untersucht wird,
bedeutet eine klare Absage an die heute mancherorts virulente
.Halbheit... in der Durchführung der historischen Methode
" (225), die dadurch zustande kommt, daß die Exegese
unter das Diktat einer heilsgeschichtlichen oder auch wirkungsgeschichtlichen
Theorie gestellt wird. Vielhauers Erstlingsarbeit
beweist die methodische Überlegenheit unvoreingenommener
historischer Exegese schlagend! 2. Das theologische Gesamtresultat
darf als gesichert gelten: „Der .theologische Ort' des
Begriffes .Erbauung' ist die Ekklesiologie. Nicht das fromme
Individuum ist das Ziel der Wege Gottes, sondern die EINE
HEILIGE ALLGEMEINE KIRCHE" (108).

Auf diesen Hauptbeitrag folgen drei Ausätze, die der Hrsg.
offensichtlich in der Reihenfolge ihres sachlichen Gewichtes
plaziert hat: der wichtigste steht zuletzt. Vornean steht
„Paulus und die Kephaspartei in Korinth"
(aus: NTS 21, 1975, 341-352). Hier vertritt Vielhauer die
These, Paulus bekämpfe mit 1 Kor 3,10—15 den Primatanspruch
Petri über die Gesamtkirche, wie ihn Mt 16,18 überliefert (177).
Mag dieses Ergebnis auch nicht überall Zustimmung finden,
so behält der Aufsatz wegen der vorangestellten methodischen
und sachlichen Bemerkungen seine Wichtigkeit. Z. B.: die Gegner
des Paulus sind im 1 Kor nicht dieselben wie im 2 Kor (gegen
Schmithals). Oder: mit Ausnahme von Kap. 11 ist 1 Kor
einheitlich. Oder: die Annahme, daß nur ein durchschlagender
Gegensatz den Brief durchzieht, nämlich der Gegensatz gegen
die gnostische Christuspartei (Schmithals), ist eine „Simplifi-
kation" (172). Schließlich: die Christuspartei hat nach Vielhauers
Ansicht nicht existiert (170 ff).

„Gesetzesdienst und Stoicheiadienst im
Galaterbrief" heißt der nächste Aufsatz (aus der Festschrift
für E. Käsemann 1976, 543—555). Ihm zufolge handelt
es sich bei den Stoicheia nicht um dämonologische persönliche
Wesen, sondern um „die Grundstoffe der Welt" (189). Während
sie in der Verkündigung der Gegner keine Rolle gespielt haben
dürften, sind sie für Paulus selbst mit dem „Gesetz als
Heilsweg, als Selbsterlösung und Selbstbehauptung" identisch
(195). Auch dieser Aufsatz ist einleitungswissenschaftlich von
großer Bedeutung. So wird z. B. Schmithals' Gnosishypothese
scharf zurückgewiesen.

„Paulus und das Alte Testament" heißt der
gewichtige letzte Aufsatz (ursprünglich in der Festschrift für
E. Bizer 1969, 33—62). Er zeigt, wie der „ehemalige Pharisäer
Paulus den exegetischen Traditionen des Judentums verhaftet"
bleibt (198), mit seinem Schriftgebrauch bei aller Selbständigkeit
aber auch in „urchristlicher Tradition" steht (202). Eine
subtile Exegese charakteristischer Beispiele sichert das Ergebnis
: .Das Thema, dem Paulus nicht nur die meisten, sondern
auch die mit der größten theologischen Leidenschaft geführten
Schriftbeweise widmet, ist nicht die Christologie, sondern
die Soteriologie" (207). Es gibt wenige Arbeiten, die ein derart
großes Thema so umfassend auf engstem Raum abhandeln.

Dazu erteilt Vielhauer noch einer gegenwärtigen Tendenz,
welche die Einheit der Testamente historisch meint erweisen
zu können, eine schneidende Absage: nicht „eine Geschichtskonstruktion
höherer Ordnung" bestimmt das Verhältnis von
Altem und Neuem Testament, sondern die „Selbigkeit Gottes,
der den Gottlosen gerecht spricht" (227).

Günter Klein hat als Hrsg. dem Aufsatzband eine „Einführung
vorangestellt, die nicht nur ein curriculum vitae bietet,
sondern vor allem das theologische Profil und Gewicht der
Einzelbeiträge mit bestechender Prägnanz aufzeigt (IX—XIV).
Die Apologie freilich, mit der er das Weglassen wichtiger Aufsätze
verteidigt (IX Anm. 1), ist viel zu schwach. Wenigstens
die biographischen Artikel über Eduard Gräfe und Karl Ludwig
Schmidt, die Vielhauer für das 150jährige Jubiläum der
Bonner Universität geschrieben hat (Bonner Gelehrte. Beiträge
zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische
Theologie. Bonn 1968, 130-142. 190-214), durften nicht
fehlen. Sie enthalten nicht nur grundsätzliche Ausführungen
über die Methode neutestamentlicher Exegese, sondern stellen
eine Seite Vielhauers besonders ins Licht, die man bei den
streng exegetischen Arbeiten nicht so leicht wahrnimmt: er
war ein Stilist von hohem Können.

Eine „Bibliographie Philipp Vielhauer" (zusammengestellt
von Wolfgang Stoffels) und Register (Bibelstellen, Griechische
Wörter, Namen), die dankenswerterweise beide Aufsatzbände
erschließen und von Ulrich H u 11 e r erstellt wurden
, runden den Band ab.

Die Fachwelt wird es Günter Klein danken, daß er „das
allerwichtigste des bislang Verstreuten" (IX) auf diese Weise
gesammelt vorlegt. Der Band ist das Vermächtnis Philipp Vielhauers
, eines Mannes, der wie kaum einer in unserer Zeit beste
exegetische Schule vertreten hat. Wissenschaftliche Akkuratesse,
also genaue Fragestellung, saubere Methode, präzise Begrifflichkeit
, unbestechliches Erkenntnisstreben, Genauigkeit im
Detail und fachübergreifende Bildung waren ihm die selbstverständlichen
Tugenden eines Forschers. Von den Einzelergebnissen
ganz abgesehen, wird dieser dankbar begrüßte Aufsatzband
daher zur bleibenden Verpflichtung für jeden, der
sich der neutestamentlichen Wissenschaft verpflichtet weiß.

Dankenswerterweise machte mich Herr W. Stoffels auf folgende Corrigenja
die Bibliographie betreffend aufmerksam:
Nr. 1: die Dissertation erschien 1940, nicht 1939 im Druck;

Nr. 4: auch an der 1.-3. Aufl. des Ergänzungsheftes zu Rudolf Bultmann, Geschichte
der synoptischen Tradition (1958, 1962, 1966) war Vielhauer laut Bultmanns
Vorwort maßgeblich beteiligt;

Nr. Hl lies 647-652 statt 656-658; Nr. 15: Apokalypsen und Verwandtes. Einleitung
, statt Apokalypsen und Verwandtes;

Nr. 16: Apokalyptik des Urchristentums. Einleitung, statt Apokalyptik des Urchristentums
; Nr. 44: 1949 statt 1948; Nr. 57: Basel statt Berlin; Nr. 75: 49 bis
53 statt 48-53.

Bonn Erich Gräfjer

Brox, Norbert (Hrsg.): Pseudepigraphie in der heidnischen und
jüdisch-christlichen Antike. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1977. VI, 342 S. 8° = Wege der Forschung,
84. Lw. DM 68,-.

Von Pseudepigraphen zu reden, erscheint unter Theologen
mißverständlich. Nachdem Karlstadt in seiner Schrift de cano-
nicis scripturis (1520) den Begriff der Apokryphen eingeführt
hat, um damit die nicht im masoretischen Kanon enthaltenen
Bestandteile der LXX zu bezeichnen, setzte sich in der Folgezeit
für die außerkanonische intertestamentarische Literatur die Benennung
als Pseudepigraphen durch. Neben diesem kanonkritischen
gibt es den literarischen Begriff der Pseudepigraphie:
die Abfassung oder Herausgabe einer Schrift unter einem anderen
Namen als dem des tatsächlichen Verfassers. Obwohl
sich beides überschneidet (die meisten Pseudepigraphen im
kanongeschichtlichen Sinne sind es auch der literarischen Form
nach), ist die letztere Kategorie viel umfassender und greift
weit in die jüdische und heidnische Antike hinein und darüber
hinaus und ist begrifflich zudem nicht leicht von Pseudo-
nymität zu trennen. Die zögernde Inangriffnahme der Problemerforschung
, vor allem im biblischen und altchristlichen