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Ausgabe:

1980

Spalte:

667-668

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Polzin, Robert

Titel/Untertitel:

Biblical structuralism 1980

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

668

die Aufnahme des Begriffs -Vorfahren" ebensowenig biblisch wie der Begriff
.Israel' historisch exakt sein mufj.

Zu bedauern bleibt, da§ einigen Forschern, die zwar weniger signifikant
in diesem Bereich gearbeitet, aber doch beachtliche Einzelbeiträge und zusammenfassende
Darstellungen geliefert haben, kein selbständiger Raum gegeben
ist. So hätte man gern mehr über Otto Eififeldt und Henri Cazelles gelesen.
Das grofje Werk von R. Giveon, Les bedouins Shosou des documents egyptiens,
Leiden, 1971, hat auch im Literaturverzeichnis keine Aufnahme gefunden. Unberücksichtigt
sind auch die Ausgrabungen des Österreichischen Archäologischen
Instituts von 1966-69 im Ostdelta geblieben, als deren Ergebnis die Identifikation
von Qantir mit dem biblischen Raamses, der Deltaresidenz der Rames-
siden, angesehen wird; das wenig südlich davon gelegene Teil Dab'a hingegen
sei höchstwahrscheinlich das Avaris der Hyksoszeit, für das bisher Tanis in
Anspruch genommen wurde. Vgl. dazu M. Bietak, Teil el-Dab'a II, Österreichische
Akademie der Wissenschaften, Denkschriften der Gesamtakademie,
IV; Untersuchungen der Zweigstelle Kairo des Österreichischen Archäologischen
Instituts I, Wien, 1975. Aufjer Betracht blieb auch die kurze Darstellung von
A. Malamat, die inzwischen im Rahmen der von H. H. Ben-Sasson herausgegebenen
, nunmehr ins Deutsche übertragenen .Geschichte des jüdischen Volkes
" Bd. I, München, 1978, S. 50-58, erschienen ist.

Bochum Siegfried Herrmann

Polzin, Robert M.: Biblical Structuralism. Method and Subjec-
tivity in the Study of Ancient Texts. Philadelphia: Fortress
Press; Missoula, Montana: Scholars Press [1977]. VII, 216
S. 8° = Semeia Supplements Kart. $ 5,95.

Die drei Teile dieser Arbeit des kanadischen Alttestamentlers
befassen sich mit verschiedenen Aufgaben: Neben der Beschreibung
einer strukturalen Analyse (1—53) steht der Versuch einer
Strukturanalyse des Hiob-Buches (54—125), der sich eine struk-
turale Durchmusterung dreier herkömmlicher exegetischer Methoden
(126—202 Literar-, Form- und Traditionskritik) anschließt
. Bibliographie und Autorenindex beschließen den Band.

Das Einleitungskapitel ist von der Unruhe darüber bewegt,
daß bisher die Methoden der Bedeutungsforschung unterentwickelt
sind: Jede Erklärung eines Textes ist die Ersetzung
eines Wortes durch ein anderes (25). Dabei bleibt die Semantik
meist noch nebulös. Der Autor sieht für sich einen Fortschritt,
indem er sich dem nicht linguistisch geprägten Strukturalismus
von J. Piaget (Le Structuralism, 1968) anschließt, der eine erkenntnistheoretische
Methode für interdisziplinäre Zusammenarbeit
auf der Basis der Systemtheorie darstellt: Texte werden
als Ganzheiten gesehen, deren Geschlossenheit und Struktur
den Charakter von selbstregulierenden Systemen hat. Das damit
anstehende erkenntnistheoretische Problem der pragmatischen
Beziehung zwischen dem strukturierenden Analysator und dem
strukturierten Text wird mit R. Poole (Towards Deep Subjecti-
vity, 1972) als eine „Tiefensubjektivität" gekennzeichnet:
Strukturale Analyse ist nichts anderes als eine Semiotik der
Erkenntnis (34), wobei die Relation der Bedeutung (content)
eines Objekts im Ausdrucksmittel (expression) eines Subjekts
Gegenstand der Aufmerksamkeit ist.

Von daher erscheinen die drei Beispielanalysen der strukturalen
Rolle des Interpreten als Erkenntnissubjekt im dritten
Teil eher wie vorbereitende Versuche zum ersten Teil: Einmal
werden die vorgenannten Aspekte an Wellhausens Prolego-
mena aufgelistet, der auch schon im ersten Teil ein wesentliches
Exempel bildete. Eine Werkanalyse von von Rads diachronischem
„Formgeschichtlichen Problem des Hexateuch" beschreibt
phänomenologisch eine Fülle von Ähnlichkeiten zu der vom Vf.
intendierten strukturalen Analyse. Dagegen wird Noths „Traditionsgeschichte
des Pentateuch" wegen der evolutionistischen
Prinzipien und der damit zusammenhängenden Entscheidung
für Einzelthemen statt zur Zusammenschau von konfigurativen
Gesamtheiten ein geringerer illustrativer Wert zuerkannt. Das
mag an der synchronisch eingeengten Fragestellung des Vf.
liegen, die aber hier im Blick auf das diachronische Problem
der Traditionsgeschichte hätte fruchtbar erweitert werden können
, zumal gerade die genetisch-strukturale Analyse von L.
Goldmann als eine der wenigen Anwendungen der Prinzipien
des Psychologen Piaget auf den Bereich der Textwissenschaften
schon einen Ansatz bietet, der unausgewertet bleibt.

Das lohnendste Stück des Buches ist die Hiob-Analyse, wobei
die primären Segmentierungskategorien weder die literar-
kritischen noch die stilistischen (Poesie-Prosa) Differenzen

sind. Vielmehr werden die Funktionen der dynamischen Rollen
(hier auf Personen beschränkt), die nicht mit homogenen
linguistischen Einheiten identisch sind, zur Basis genommen,
die sich zu Funktionsgruppen (Sequenzen) zusammenschließen,
während diese wiederum sich zu den vier Hauptsegmenten
(movements) der Gesamterzählung zusammenschließen: 1—37
Vorbereitung (Einsatz und Ausdehnung des Widerspruchs zwischen
Glaube und Erfahrung); 38—42,6 Zentrum (Lösung des
ersten Konflikts und Einsatz eines neuen: als gerecht bejaht —
aber mit negativen Erfahrungen); 42, 7—9 (Lösung des zweiten
Konflikts und Herstellung eines neuen); 42, 10—17 als letzte
Konfliktlösung und Herstellung des Gleichgewichts (=1, 1—5:
Die Erzählung beantwortet die alternative Ausgangsfrage).

Auf der Basis dieser syntagmatischen Analyse wird der
Schritt in das paradigmatische Feld getan, um die Invarianten
in den Varianten, den Code, zu finden. Dies wird auf einen
interdisziplinären Aspekt beschränkt: Die Bewegungen der
vier Segmente werden als sukzessive Transformationen im
Sinne der Mengentheorie dargestellt (84—101). Die aktuelle
Botschaft der Erzählung, für die auch ihr Situationsbezug nur
aus dem Buch selbst erhoben werden kann, ergibt, daß Hiob
nicht auf eine Wiederherstellung seines ursprünglichen Zustan-
des aus ist, und daß er zwar das Leben als Gottes Gabe zurückweist
— aber an Gott selbst, d. h. ohne Gott zu verwerfen.
Hiob hat recht geredet. Die entscheidende Wende liegt in der
Theophanie, und zwar darin, daß der, der nicht länger zu leben
wünschte, nun nicht länger zu sterben wünscht (104 f).

Das Bestreben des Autors, die Linguistik zur Verbesserung
der exegetischen Methoden zu benutzen, verdient größte Unterstützung
. „But to promote these insights precisely in order
to bring discipline and a clear methodology into biblical stu-
dies is to invest them with powers, in my opinion, far beyond
their present abilities" (42). Eben darum muß diese entsagungsvolle
Arbeit auch unter Lasten und Opfern weitergetrieben
werden.

Berlin Wolfgang Schenk

Rudolph, Wilhelm: Haggai — Sacharja 1—8 — Sacharja 9—14 —
Maleachi. Mit einer Zeittafel von A. Jepsen. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1976. 315 S., 1 Zeittafel:
13 S. gr. 8° = Kommentar zum Alten Testament, XIII, 4. Lw.
DM 100,—. (Lizenzausgabe erscheint 1981 in der Evang. Verlagsanstalt
Berlin).

Durch seine Auslegungen für den „Kommentar zum Alten
Testament" und das „Handbuch zum Alten Testament" schon
weithin bekannt und allgemein anerkannt, schließt der Autor
mit diesem Kommentar seine Interpretation des 12-Propheten-
kanons ab. Es erübrigt sich, noch einmal Bedeutung und Charakter
seines Kommentierens hervorzuheben. So kann hier
unmittelbar auf einzelne Sachzusammenhänge eingegangen
werden.

Das Buch des Propheten Haggai möchte der Autor als eine
„Flugschrift" verstehen, die eine Apologetik für diesen Propheten
darstellt (22). „Sie stammt aus dem Freundes- oder Jüngerkreis
Haggais und hat den Zweck, nachzuweisen, daß die
entscheidenden Impulse zur Wiederaufnahme des Tempelbaus
von Haggai ausgegangen sind..." (39, vgl. 56 f), während
die Alten, die den früheren Tempel noch gesehen haben, diesem
Unternehmen kritisch gegenübergestanden hätten (41).
Diese durchaus interessante These von der Tendenzschrift versucht
der Autor durch seine Kommentierung zu erhärten, wenngleich
sie zum Verständnis des ganzen nicht unbedingt notwendig
oder konstruktiv erscheint. — Die theologische Einsicht
in die Notwendigkeit des Tempelbaus ist nach Haggai darin
zu suchen, daß dieser erst den Anbruch heilvoller Zeiten ermöglicht
, im Gegensatz zur Volksmeinung, daß die Zeitumstände
einen Tempelbau noch nicht zuließen (57). Als Messias
dieser Heilszeit wird Serubbabel proklamiert (53 ff), der sich