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1980

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661

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

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Mit dem Vf. sind wir darin einig, daß gerade in christlichen
Kreisen und unter Theologen neurotische Störungen häufig
auftreten. Aber der Begriff der ekklesiogenpn Neurose (nach
Schaetzing) ist in stringentem Sinne unwissenschaftlich, weil
er eine Institution zum pathogenen Faktor erklärt, während
in Wirklichkeit ein Geflecht von individuellen und sozialen
Bedingungen zur Neurose führt. Es muß durchaus nicht nur
an der von K. angeführten „Gesetzlichkeit" oder »Tabu-Angst
vor dem Sexuellen" liegen, wenn wir in der Seelsorge vielfach
auf Neurosen stoßen (zumal junge Christen heute eher zum
Libertinismus als zum Gegenteil neigen); vielmehr wirken
wohl die kirchliche Gemeinschaft und der Theologenberuf
gerade auf solche Menschen anziehend, die sich in seelischen
Schwierigkeiten befinden und diese in der Kirche (oft mit
Recht, oft leider zu Unrecht) meinen lösen zu können. Dafj
schon in der pastoralen Ausbildung diesbezüglich mehr zu
beachten und mehr zu helfen wäre, — darin ist dem Vf. allerdings
voll zuzustimmen!

Freude an der weitherzigen Interpretation und an der ebenso
schönen wie informativen Darstellung bereiten die letzten
Artikel des Bandes: .Musik als Lebensmacht", »Mozarts religiöse
Heimat" (welch seltener Gleichklang hier mit der Liebe
K. Barths!) und die schon erwähnten über die Romantik und
über Hesse. Auch die bisher übergangenen Titel seien abschließend
wenigstens noch genannt: „Wer, wie und wo ist
Gott?", »Die Macht der Bilder", „Die Jahreszeiten des Lebens"
und »Christliche Existenz jenseits von Gesetzlichkeit und Gesetzlosigkeit
".

Wenden wir uns nun der Festschrift zu, die dem Jubilar
zu Ehren von 23 Mitarbeitern verfaßt wurde! Wir halten uns
diesmal an die Einteilung und Reihenfolge der Beiträge, müssen
uns aber sehr kurz fassen:

I. »Exegetisches". O. Kaiser schreibt über „Die Sinnkrise
bei Kohelet" und fragt, »wie sich dem Prediger Gott, Welt und
Mensch nach dem Verlust des moralischen Gottes dargestellt
haben" (5). Antwort: „Er kannte die Ergebung in das gottgelenkte
Schicksal (7,13 f). Aber es gibt in seinen Aufzeichnungen
keinen Anhaltspunkt dafür, dafj sie von dem U r v e r -
trauen getragen wurde, von dem der Glaube lebt" ... (17).
Im Unterschied zu dieser durch Quellenangaben und Literaturhinweise
sorgfältig belegten Abhandlung äußert sich H. L a m -
p a r t e r recht thetisch und unkritisch über „Das Christuszeugnis
in den Psalmen". Es mag genügen, als seine Argumentation
zu erwähnen, daß nach Joh 5,39 und Lk 24,44 Jesus
selber die christologische Auslegung der Psalmen legitimiert
habe. O. B e t z nimmt Köberles großes Thema »Rechtfertigung
und Heilung" auf und zieht in Kürze einen instruktiven
Vergleich zwischen den diesbezüglichen Anschauungen in Ctum-
ran und im Neuen Testament. Ebenso zeigt der Beitrag von O.
Böcher, „Johannes der Täufer in der neutestamentlichen Überlieferung
", in welchem Maße exakte historische Arbeit uns die
biblische Wahrheit nahezubringen vermag, auch wenn sie zu
Korrekturen traditioneller Auffassungen führt. Der Vf. kommt
zu dem Schluß: „als Lehrer Jesu ... hat Johannes der Täufer
der späteren Kirche entscheidende Lehr- und Glaubensinhalte
vermittelt" (58).

II. »Fundamentaltheologisches und Dogmatisches". C. H.
Ratschow überrascht mit einer religionsgeschichtlichen
Analyse »Von der Meditation", in der er Luthers Weise zu
meditieren mit der Praxis im Vedanta, im frühen und im Zen-
Buddhismus vergleicht. Es folgen die Aufsätze von H. T h i e -
Hcke, „Die Zwänge unseres Lebens (in Ost und West) als
geistliches Problem", und H.W. Beck, „Vom Wagnis ganzheitlichen
Denkens", Friso M e 1 z e r s „offener Brief an Adolf
Köberle": »Evangelische Geisteswissenschaft — nur ein
Traum?" sowie von W. Andersen ein „theologischer Entwurf
" über »Glauben, Denken und Handeln im trinitarischen
Kontext". U. Mann entwickelt in Korrespondenz zu C. G.
Jung das Thema „Gott in der Seele" auf sehr interessante
Weise als neuen Vorstoß zu einer »Erfahrungstheologie"; er
schießt aber doch wohl etwas über das Ziel hinaus, wenn er

am Ende dazu auffordert, Gott in »jener Wirklichkeit" zu
suchen, »wo er vorrangig zu finden ist, und das ist die Wirklichkeit
der Seele, nicht die der Gesellschaftsveränderung oder
der Revolution" (165). Bei G. Hummel, „Christopraxis",
geht es um Sprache und Handlung als »Grundweisen der Verwirklichung
des Menschseins" (180), und damit um die Ebenbürtigkeit
von sakramentaler Christopraxis und verbaler
Christologie. »Von den Quellen zum Wesen der Apokalyptik"
versucht O. A. Dilschneider in seinem Beitrag vorzudringen
; ob das Ziel auf nur wenigen Seiten zu erreichen war,
mögen die Fachexperten beurteilen.

III. »Ethisches". An den Artikel von H. D. Wendland,
»Der christliche Universalismus und die Sozialethik", schließen
sich zwei verwandte Themen an: »Umgang mit der Natur"
von W. Dantine und „Ökologische Ethik in der Sicht der
Theologie" von H. H. S c h r e y. Während Dantine vorwiegend
eine knappe theologie- bzw. kulturgeschichtliche Analyse und
wichtige prinzipielle Erwägungen bietet, geht Schrey etwas
mehr auf einzelne Standpunkte gegenwärtiger Ethik ein und
auch auf konkrete Möglichkeiten „ökologischer Askese". —
Zum .Ethischen" hätte eigentlich noch der Beitrag »Die Herausforderung
des Friedens: Frieden als Gabe und Aufgabe" von
B. Maurer gehört, der wohl nur deshalb unter Teil IV erscheint
, weil dort sonst nur ein einziger Beitrag zu verzeichnen
wäre.

IV. „Praktisch-Theologisches". Chr. B ä u m 1 e r stellt hier
unter dem Titel „Gemeinde als kritisches Prinzip einer offenen
Volkskirche" die Abkehr von der Betreuungskirche (=
»Kirche für das Volk") und die Tendenz zur .Beteiligungskirche
" (= Kirche des Volkes") zur Diskussion.

V. „Medizin — Tiefenpsychologie — Naturwissenschaften".
W. Kretschmer zeigt in einem sehr knappen Beitrag
über „Die gesellschaftliche Einschätzung des alten Menschen
in psychiatrischer Sicht", daß die Stellung der Alten in der
Gemeinschaft „weniger von der Veränderung der modernen
Arbeits- und Wohnweise als von der Idealbildung abhängt,
deren die ganze Gesellschaft fähig ist." (296) J. Scharfenberg
befaßt sich unter der Oberschrift „Das Symbol
gibt zu denken" (ein Zitat von Ricoeur) mit der Psychologie
bzw. Theologie des religiösen Symbols bei Freud, Jung, Tillich
und Ricoeur und untersucht kritisch die Möglichkeiten neuer
Symbolbildung einerseits in der Massengesellschaft andererseits
in der kirchlichen Minderheitssituation. In den „Prolego-
mena zu einer von Naturwissenschaft und Forschung erwarteten
christlichen Theologie" fordert H. G ö d a n , daß nicht
nur dem Grenzbereich von Seelsorge und Psychotherapie, sondern
überhaupt dem „Niemandsland" zwischen Theologie,
Psychologie, Naturwissenschaften und Medizin stärkere Beachtung
geschenkt werden müsse. Dieser Beitrag enthält übrigens
einen interessanten Exkurs über das Verhältnis Luthers
zur Lehre des Kopernikus.

VI. „Mission und Ökumene". Instruktive Informationen über
„Heilung in nichtchristlichen Religionen" durch einen Vergleich
des religiösen Krankheitsverständnisses in Afrika und Indien
mit dem des Christentums vermittelt H. B ü r k 1 e. Ebenso
willkommene Einblicke in sonst kaum zugängliche Bereiche
kann der Leser durch den letzten Aufsatz des Bandes empfangen
: „Die Verkündigung des Evangeliums in der japanischen
Gesellschaft" von M. Miyata ; hier wird mit Sorge besonders
über die Wiederbelebung des Shintoismus als möglicher
Staatsreligion berichtet.

Der Festschrift ist eine vollständige Biographie A. Köberles
von 1926 bis 1978 angefügt, die M. K w i r a n zusammengestellt
hat. Sie verzeichnet etwa 370 Titel und bekundet damit
noch einmal eindrucksvoll die umfassende Lebensleistung des
Jubilars.

Rostock Ernst-Radlger Kiesow

Miyata, Mitsuo: Das Janusgesicht der japanischen Gesellschaft
(ZdZ 1979 S. 172-177).