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Ausgabe:

1980

Spalte:

659-662

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Köberle, Adolf

Titel/Untertitel:

Universalismus der christlichen Botschaft 1980

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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659

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

660

Köberle, Adolf: Universalismus der christlichen Botschaft. Gesammelte
Aufsätze und Vorträge. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1978. IX, 201 S. gr. 8°. Lw. DM 24,-.

[Köberle, Adolf:] Rechtfertigung, Realismus, Universalismus
in biblischer Sicht. Festschrift für Adolf Köberle zum 80. Geburtstag
, hrsg. v. G.Müller. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1978. XI, 388 S., 1 Porträt gr. 8°. Lw.
DM 69,-.

Bereits 1968 war zum 70. Geburtstag A. Köberles im selben
Verlag eine Aufsatzsammlung unter dem Titel „Heilung und
Hilfe" erschienen (vgl. die Rezension von J. Scharfenberg,
ThLZ 94, 1969 Sp. 550 ff). Der neue Band spiegelt noch breiter
die Vielfalt der Aspekte und Interessen wider, die der nun-;
mehr über Achtzigjährige in seinem Lebenswerk vereint.
„Theologie als Wissenschaft vom Ganzen" — so die Überschrift
seiner einführenden Worte (VII—IX) — hat hier auf der
Grenze zwischen der systematischen und praktischen Disziplin
eine sehr aktuelle Ausprägung gefunden. Die insgesamt
19 Beiträge stammen bis auf zwei Ausnahmen (Die Romantik
als religiöse Bewegung, 1949, und: Natur und Geist bei Hermann
Hesse, 1952) alle aus dem 8. Lebensjahrzehnt des Vf.,
— eine Tatsache, die für sich spricht! Sie zeigen, daß die
Themen, die den Autor schon ein Menschcnalter lang bewegt
haben, heute geradezu in Mode stehen, obwohl sie einst eher
als Randerscheinungen der zünftigen Theologie galten. Köberle
hat schon immer eine Theologie der Erfahrung praktiziert
und stand mit den Vertretern der empirischen Wissenschaften
in engem Kontakt. Seine Dialogfähigkeit und seine apologetische
Kunst, mit der er die überlieferten theologischen Positionen
in Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist einsichtig zu
machen weiß, und nicht zuletzt seine auch jedem Nicht-Theologen
verständliche Sprache, zeichnen ihn als einen Vermittlungstheologen
im eigentlichen Sinne des Wortes aus. Als ein
solcher wird er seine dankbarsten Leser und Hörer vielleicht
eher außerhalb als innerhalb der akademischen Berufsgenossen
haben. Seine Gegenwartsorientierung und Offenheit für
alle Lebensfragen, seine lebendige Darstellung und liebenswürdige
Persönlichkeit, die auch dem Rez. aus einer nur flüchtigen
Begegnung in guter Erinnerung geblieben ist, werden
aber ebenso ihren Eindruck auf die heute studierende Theologengeneration
nicht verfehlen. Die vorliegende Sammlung ermöglicht
es auch denen, die den Autor nicht persönlich kennenlernen
konnten, an seinem universellen Denken und seinen
bewegenden Glaubenszeugnissen teilzuhaben.

Um den Inhalt des Bandes in aller Kürze vorzustellen und
kritisch zu würdigen, wählen wir einige Titel aus und fassen
verwandte Themen in Gruppen zusammen, unabhängig von
der Reihenfolge ihres Abdrucks. Die Überschrift „Legitimation
der religiösen Erfahrung" steht über dem zweiten und längsten
Beitrag des Buches, in dem der Vf. die religiösen Elemente
des christlichen Glaubens aufzeigt und sich sowohl mit der
Religionskritik (Feuerbach, Marx, Freud, Nietzsche) wie mit
der theologischen Abwertung der Religion (Barth, Bonhoeffer)
im 19. und 20. Jh. auseinandersetzt. Feuerbach habe „nie zur
Kenntnis genommen, daß die entscheidenden religiösen Erfahrungen
, von denen das Alte und Neue Testament Kunde
gibt, sich gerade gegen das natürliche Wunschverlangen
des Menschenherzen wenden." (14) Demgegenüber nennt er
auf theologischer Seite R. Otto und P. Tillich, auf psychologischer
Seite C. G. Jung und seine Schüler als Wegbereiter eines
neuen Verständnisses für den religiösen Erlebnisbereich.
Warum unter den theologischen Gesprächspartnern C. G. Jungs
die Namen von O. Haendler und A. D. Müller fehlen, die schon
vor den von Köberle erwähnten Theologen solche Impulse
aufnahmen und weitergaben, ist mir nicht erfindlich. Ebenso
hätte bei der revidierten Wertung der religiösen Erfahrung
durch die neuere Systematische Theologie neben Ebeling, Ratschow
und Wölber eventuell sogar auf die „Hinreise" von D.
Solle verwiesen werden können (das Buch war schon vor der
Erstveröffentlichung dieses Aufsatzes erschienen), zumal Köberle
am Schluß seines Beitrages besonderen Nachdruck auf
die Meditation legt. — Die folgenden Aufsätze, „Evangelische

Mystik" und „Christlicher Lebensglaube", schließen sich thematisch
in etwa an die Fragen nach der religiösen Erfahrung an.

Mit den Grenzgebieten menschlicher Erfahrung beschäftigt
sich Vf. in einer ganzen Reihe von Vorträgen. „Stirbt die
Seele im Tod mit?" (55—69) — hier wird zunächst die lange
Geschichte der Unsterblichkeitsvorstellung und ihrer Bestreitung
geschildert, die gerade in der modernen protestantischen
Theologie kulminiere. „Die lutherische Kirche steht mit der
Verkündigung vom Seelentod innerhalb der christlichen Ökumene
völlig einsam und verlassen da." (66). Es sei dahingestellt
, ob diese apodiktische Behauptung voll zutrifft! Die
Predigt aus dem bayrischen Rundfunk, die K. (warum ohne
nähere Angaben?) zitiert, sagt es m. E. biblisch und zeitgemäß
richtig: „Gott hat uns als Ganzes geschaffen mit Leib, Seele
und Geist, er läßt uns als Ganzes sterben, um uns als Ganzes
zu neuem, unvorstellbarem Leben zu erwecken." (63). Aber K.
wertet diese Äußerung leider als „existentialistisch" ab (62 u.),
obgleich er doch selbst schreibt: „Die Unsterblichkeit der Seele
ist allein von der Treue Gottes her zu begründen, nicht von
dem unerschöpflichen Reichtum des Humanuni." (68). Recht
geben wir dem Vf. dagegen hinsichtlich der Aufforderung, die
populär-christlichen Ansichten über die Fortexistenz der Seele
aus seelsorgerlichen Gründen behutsam zu behandeln.

Auch das Thema „Allversöhnung oder ewige Verdammnis?"
(70—83) gehört zu den dogmatischen Problemen mit großer
seelsorgerlicher Relevanz. K. geht den biblischen sowie den
theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Linien des Für und
Wider nach und kommt zu dem Schluß, daß der Widerspruch
zwischen der Verheißung von der Wiederbringung aller und
der Drohung ewigen Verlorengehens nicht aufgelöst werden
könne noch solle. Wenn er im selben Aufsatz fragt: „Wem
aber geht heute noch ein Schwert durch die Seele beim Gedanken
an das Leben nach dem Tod?" (76), dann sollte man
u. E. nicht nur an „die allgemeine Verflachung des Christseins
in unseren Tagen" denken; darin könnte ja auch eine positive
Wandlung des christlichen Glaubens liegen, nämlich ein
vertiefter Wirklichkeitsbezug, der der Fleischwerdung des
Wortes mehr entspricht als die spekulativen Jenseitsgedanken
früherer Zeiten. — „Die Frage nach dem wiederholten Erdenleben
" (84—96) beantwortet der Vf. trotz aller Würdigung der
unterschiedlichen religiösen Motive inner- und außerhalb des
Christentums letztlich doch abschlägig, weil die Lehre von der
Reinkarnation gegen das Geheimnis der Freiheit und Barmherzigkeit
Gottes verstoße. (In diesem Aufsatz findet sich S. 94
übrigens ein Irrtum: Der Terrorangriff auf Dresden mit über
100 000 Toten fand nicht „im Herbst des Jahres 1944", sondern
im Februar 1945 statt.)

Noch schwieriger wird eine Stellungnahme sowohl des
Autors wie des Rez. bei den heiklen Themen „Das Weltbild
der Parapsychologie" (134—144) und „Der Bereich des Übersinnlichen
" (145—156). Dem Urteil, daß „auch von der Parapsychologie
als von einer seriösen Wissenschaft mit gut gesicherten
Ergebnissen gesprochen werden" könne (136), werden
nicht alle Leser beipflichten, obwohl am Auftreten gewisser
parapsychischer Phänomene wohl kein Zweifel besteht. Die
Reserve der kritischen Theologen und Wissenschaftler ist
angesichts des vielen Unfugs auf diesem Gebiet (bis hin zu
Uri Geller, den der Vf. offenbar ernstnimmt, vgl. 138) nur zu
verständlich. Man sollte da nicht mit dem Vorwurf einer „Monopolherrschaft
des mechanischen Kausaldenkens" kommen
und ausgerechnet die moderne Atomphysik als Gegenbeweis
anführen (ebd.); schon gar nicht sollte man meinen, daß sich
„neue Türen auf tun", wenn die Theologie die Forschungsergebnisse
der Parapsychologie anerkenne (vgl. 141, 143). Es muß
wie ein Widerspruch klingen, was K. vom christlichen Glauben
an gleicher Stelle sagt: „Er bedarf nicht der apologetischen
Stützen durch die Parapsychologie." (142) Auch den „Anhängern
" des Spiritismus, der Astrologie und Anthroposophie
kommt der Vf. m. E. zu weit entgegen, so sehr sein seelsorgerliches
Motiv dabei respektiert werden muß.

Pastoralpsychologisch wichtig sind die Beiträge „Person und
Beruf" und „Ursache und Heilung ekklesiogener Neurosen".