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Ausgabe:

1980

Spalte:

43-46

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Die zweite Apokalypse des Jakobus aus Nag-Hammadi-Codex V 1980

Rezensent:

Koschorke, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 1

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sagen, die innerhalb von Gleichnissen metaphorisch sind,
müssen es deshalb noch lange nicht innerhalb anderer Textformen
sein.

Diese kritischen Anmerkungen sollen jedoch den Wert
dieser Arbeit nicht herabsetzen. Es werden viele interessante
textimmanente Zusammenhänge aufgewiesen. Der
Nachweis einer stereotypen Charakterisierung der handelnden
Personen (33—76) und die Analyse der Besitzaussagen
in Apg 1—8 (173—220) sind wirklich lesenswerte Beiträge
zur Lukasauslegung.

St. Augustin Gerd Theißen

Clevenot, Michel: So kennen wir die Bibel nicht. Anleitung
zu einer materialistischen Lektüre biblischer Texte. Mit
einem Vorwort von G. Theißen und einer Einführung in
die materialistische Bibellektüre von K. Füssel, übers,
von F. Fehlen, K. Füssel, D. Schlechter. München: Kaiser
[19781. 191 S. 8°. Kart. DM 17,80.

Knapp zwei Jahre nach der französischen Ausgabe erscheint
die deutsche Übersetzung von Clevenots Approches
materialistes (vgl. Rez. ThLZ 103, 1978 Sp. 581-584). Daß
ein neues Etikett gewählt wurde, mag damit zusammenhängen
, daß der originale Titel wie das damit bezeichnete
Programm im deutschsprachigen Raum „Widerspruch und
Unbehagen auslösen", wie G. Theißen, selbst ein Pionier in
der sozialwissenschaftlichen Erschließung neutestament-
licher Texte, in seinem kritisch-assistierenden Vorwort betont
(8 f.). Kuno Füssel, Leiter des Übersetzerteams, dem
die gut lesbare Übertragung zu danken ist, fügt einen einführenden
Essay über Anknüpfungspunkte und methodisches
Instrumentarium bei (144—170), der für den deutschen
Leser unentbehrlich ist. In ihm wird der doppelte
Hintergrund von Clevenots Unternehmen verdeutlicht: die
Theorie Roland Barthes' und der Gruppe um die Zeitschrift
Tel-Quel auf der Ebene der Textanalyse einerseits und der
Hermeneutik der Althusserschule unter Einschluß der zu
psychoanalytischer Theoriebildung tendierenden J.-J. Goux
und G. Bataille auf der Ebene der Interpretation andererseits
. Er instruiert den Leser dieser Ausgabe, der durch ein
Glossarium der Althusserschen Terminologie (181—189) erste
Hilfestellung erhält, wie sehr Clevenot (und Belo) vom
Kontext der intellektuellen Situation Frankreichs (genauer:
der rive gauche) verstanden sein wollen.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Funk, Wolf-Peter: Die zweite Apokalypse des Jakobus aus
Nag-Hammadi-Codex V, neu hrsg., übers, u. erklärt. Berlin
: Akademie-Verlag 1976. XVI, 246 S. gr. 8" = Texte
und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen
Literatur, 119. Kart. M 50,-.

Im Vergleich zu anderen großen Textfunden dieses Jahrhunderts
(wie etwa der noch immer nicht vollständig publizierten
manichäi sehen Bibliothek von Medinet Madi) hat
der Fund von Nag Hammadi eine verhältnismäßig rasche
Edition erfahren. Inzwischen sind alle Texte dieser 1945/46
entdeckten gnostischen Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich
. Darüber hinaus sind ältere Textausgaben durch
verbesserte Neuausgaben ersetzt worden. Das exzellente
Beispiel einer solchen Neuausgabe stellt die vorliegende
Arbeit von W.-P. Funk dar, die mit dem Traktat „Die
zweite Apokalypse des Jakobus" (2ApcJac) ein besonders
eindrucksvolles Dokument der christlichen Gnosis in zuverlässiger
Textgestalt präsentiert und interpretiert.

Die Arbeit stellt die (v. a. im Textteil) überarbeitete Fassung
einer im Jahr 1971 von der Humboldt-Universität
Berlin angenommenen theol. Dissertation dar. Sie gliedert
sich in Textausgabe und Kommentar. Die Textausgabe
(Teil 1) umfaßt den koptischen Text mit deutscher Übersetzung
, Anmerkungen zur Textkollation sowie den außergewöhnlich
breit angelegten Index, der neben Wörtern (koptische
, griechische, Eigennamen) auch — zur Kontrolle der
Ubersetzung — Wortformen (Konjugationselemente) ausweist
.

Dem Kommentar (Teil 2) ist eine zweite Übersetzung
(Ubersetzung B) vorangestellt, die — im Unterschied zu der
streng wörtlichen und kolumnengetreu angeordneten Übersetzung
A der Textausgabe — den Text möglichst idiomatisch
wiederzugeben sucht und sich in Sinn- und Stileinheiten
gliedert. Der exegetische Kommentar diskutiert zu
gleichen Teilen Textgestalt und Sinn der Schrift. Der inter-
pretatorische Ertrag wird v. a. in drei Exkursen (zur „lite-
rarkritische(n) Analyse", zur „theologische(n) Tendenz der
Schrift" sowie zum „Sterbegebet des Jakobus") zusammengefaßt
. Ein Index gibt Übersetzung B in englischer Sprache
wieder. — F.s Textausgabe stellt einen erheblichen Fortschritt
gegenüber der editio prineeps durch Alexander Böhlig
im Jahr 1963 dar. Der — stellenweise stark zerstörte oder
schlecht lesbare — Text ist durchweg präziser und zuverlässiger
wiedergegeben; bestehende Möglichkeiten der Textergänzung
sind wahrgenommen und im Kommentarteil
ausführlich diskutiert und begründet; und entsprechend
hat auch die Übersetzung an Zuverlässigkeit gewonnen. F.
hatte zwar nicht die Möglichkeit, selbst an den Originaltexten
in Kairo zu arbeiten. Doch konnte er sich — neben
Fotos der Texte — auf die Kollationen von H. M. Schenke
und Ch. Hedrick (der die Schritt für die Claremont-Edition
bearbeitet) stützen.

Überzeugend ist F.s Analyse des Aufbaus dieser kunstvoll
verschachtelten Schrift (77.193 ff.). Im Mittelpunkt steht
die Erscheinung und Offenbarungsrede des Auferstandenen
an Jakobus. Diese Offenbarungsrede des Auferstandenen
wiederum ist (zusammen mit einem Bericht über Worte des
vorösterlichen Jesus) eingebettet in eine Rede des Jakobus
an die jüdische Menge, die er durch seinen Bericht von
ihrem Irrtum zu überzeugen sucht: „Denn ein anderer (als
ihr dachtet) ist in Wirklichkeit jener, den ihr gerichtet habt."
Aber auch diese Rede des Jakobus erfährt man nicht unmittelbar
, sondern aus dem Mund eines Augen- und Ohrenzeugen
, nämlich „eines der Priester" im Tempel, der sie —
besorgt über die drohende Reaktion der Menge — dem Vater
des Jakobus mitteilt, wohl damit dieser den Jakobus von
weiteren solchen Reden abhalte. Soweit der erste Hauptteil
dieser Schrift. Der zweite (ungleich kürzere) hat das Martyrium
des Jakobus zum Gegenstand, das in auffallender
Entsprechung zum Hegesipp-Bericht erzählt wird (Beschluß
zur „Beseitigung" des Jakobus; Sturz von der Zinne des
Tempels; anschließende Steinigung). Dieses Martyrium
wird anders als die Begebenheiten des ersten Hauptteils
nicht mehr vom Standpunkt des Priesters aus berichtet. Gestützt
auf diese und andere Beobachtungen sieht F. in der
Martyriumsdarstellung ein ursprünglich selbständiges Traditionsstück
, das erst sekundär mit dem ersten Hauptteil
(dessen Ende abgebrochen wurde) verbunden worden ist.
In diesen Martyriumsbericht ist ein Gebet des Jakobus eingefügt
, das der (von F. als solcher analysierten [211 ff.])
gnostischen Gattung des „Sterbegebetes" zuzurechnen ist.
Hauptmerkmale dieser Gattung sind die Bitte um baldigen
Tod (als Erlösung aus der „Fremde") und Rettung hinüber
ins Lichtreich; sie bringt das gnostische Grundgefühl des
Fremdseins in dieser Welt unmittelbar zum Ausdruck.
Durch das Sterbegebet erfährt in 2ApcJac die vorgegebene
Uberlieferung vom Jakobusmartyrium eine gnostische Interpretation
. In dieser gnostischen Interpretation löst diese
zugleich auch die Worte des Auferstandenen an Jakobus ein:
„Mein Geliebter, komm zur Erkenntnis und begreife alles,
auf daß du aus diesem Leib herauskommst, so wie ich!"

Der Jakobus unserer Schrift ist der Herren-„Bruder".
Bleibt auch das genauere verwandtschaftliche Verhältnis
im Sinn von 2ApcJac unklar — denn als Mutter des Jakobus
wird zwar Maria genannt, als sein Vater hingegen (falls hier
nicht ein Übersetzungsfehler aus dem Griechischen vorliegt)