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Ausgabe:

1980

Spalte:

41-43

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Johnson, Luke Timothy

Titel/Untertitel:

The literary function of possessions in Luke-Acts 1980

Rezensent:

Theißen, Gerd

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 1

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man den Unterschied etwa so kennzeichnen: Die Gemeinde
gestaltet das Bild des Herrn nach der Kirche; Lukas gestaltet
das Bild der Kirche nach dem Herrn. Das eine ist so kühn
wie das andere." (368) Diese These entfaltet Radi dann
drittens als die theologische Bedeutung der Parallelen. Er
zeichnet sie ein in die vor allem von Conzelmann begründete
Sicht, wonach Lukas die Parusieverzögerung durch ein
Geschichtsbild zu bewältigen sucht und dieses als Folge
von drei Epochen verschiedener Dignität gliedert, von denen
die durch Jesus markierte die gehaltvollste ist, während
die vorherige als Zeil Israels auf sie zu-, die folgende als
Zeit der Kirche ihr nachlebt. Nach Radi steht Paulus bei
Lukas für die Kirche, und seine Parallelisierung mit Jesus
soll die Zeit der Kirche mit der Zeit Jesu verbinden. In der
.„Neuinszenierung' des Schicksals Jesu" (380), die Paulus
aushalten muß, „erhält nämlich das im Evangelium berichtete
Geschehen selbst, die Verwerfung des Heils durch die
Juden und seine Hinwendung zu den Heiden, erst seine Bestätigung
und endgültige Anerkennung" (378). Weiter läßt
sich an Paulus' Leidensnachfolge ablesen, „was es bedeutet,
Jünger Jesu und überhaupt Christ zu sein" (382). Schließlich
: „In Paulus ahmt die Kirche Jesus nicht nur nach, sondern
nimmt seine eigenen Züge an. In ihrem Erscheinen
lebt das Bild Jesu wieder auf" (385 f.), vor allem durch den
Geist. Damit tritt an die Stelle des Dreierschemas eine
Zweiteilung der Heilsgeschichte, bei der eine Zeit der Verheißung
durch eine der Erfüllung in Jesus und der Kirche
abgelöst wird. Am Ende des Buches nützlicher lexikalischstilistischer
„Anhang zur Stilkritik" (396-435), Stellen- und
Verfasserregister.

Methode und Ergebnis sind nicht grundstürzend. Radi
schreibt besonnen und fair gegenüber den Vorarbeitern die
Forschung fort (merkwürdigerweise fehlen die Arbeiten
von J. Jervell; V. Stolle, Der Zeuge als Angeklagter, Stuttgart
usw. 1973, in vielem verwandt, erschien wohl zu spät,
um noch gründlich berücksichtigt zu werden). Er justiert
sozusagen den alten Rackham neu im Rahmen der „frühkatholischen
" (abgekürzt und ohne Harm gemeint) Lukasdeutung
, wie Vielhauer, Conzelmann, Haenchen, Klein u. a.
sie entwickelt haben: geringe Traditionsbindung des Lukas,
Ferne der Parusie, Annahme einer durchlaufenden Heilsgeschichte
, Nachdruck auf der Kirche, Mediatisierung des
Paulus, apologetisches Interesse usw. Hier würde ich die
Kritik ansetzen. Natürlich darf sich eine Spezialuntersuchung
wie diese (Bochumer Dissertation von 1974 bei
G. Schneider) einen Platz auf dem Feld des großen Ganzen
suchen, ohne es vollständig neu vermessen zu müssen. Aber
für meinen Geschmack weiß Radi zu schnell, wohin er gehört
. Es kommt zu unreflektiert und selbstverständlich, daß
Jesus und die Kirche nach Lukas eins sind, daß Paulus für
die Kirche steht und also die Parallelität zu Jesus ekkle-
siologisch gemeint ist. Spricht nicht u. a. die Zeugenfunktion
, die nur Paulus und einer begrenzten Anzahl anderer
Personen gehört und mit ihnen dahingeht, dagegen? Wenn
sie es tut. dann sind die Parallelen zwischen Paulus und
Jesus, soweit sie sich bewähren („österlichen" Charakter
von Apg 28 sehe ich nicht, und 20, 18—35 ist keine Abschiedsrede
angesichts des Todes, sondern angesichts einer
Reise ins Ungewisse, und insofern keine Parallele zu Lk 22,
21—38, aber wie wäre es mit Apg 28,17-28?), eher im Rahmen
ihres Gegenübers zur Gemeinde zu deuten. Vielleicht
wäre es doch besser gewesen, nicht nur den Leidensaspekt
zu untersuchen.

Heidelberg Christoph Burchard

Johnson, Luke Timothy: The Litcrary Function of Possessions
in Luke-Acts. Missoula, Montana: Scholars Press for
The Society of Biblical Literature [1977]. IX, 241 S. 8» =
Society of Biblical Literature. Dissertation Series, 39.

L. T. Johnsons Dissertation gehört zu jenen Arbeiten, in
denen die redaktionsgeschichtliche Methode zu einer primär

textimmanenten literarischen Analyse weitergeführt wird.
Ihn interessieren nicht traditionsgeschichtliche Hintergründe
oder situativ bedingte Absichten des Verfassers,
sondern Erzählung (story), Personen (characters), Schemata
(patterns) und Handlungsverlauf (plot). Seine Frage
ist: Welche Bedeutung haben die Besitzaussagen innerhalb
des lukanischen Doppelwerks? Ausgangspunkt und Ziel der
Analyse sind die beiden Summarien über die urchristliche
Besitzgemeinschaft (Apg 2, 42 ff.; 4, 32 ff.).

Johnson entwickelt dazu zwei Thesen, deren Zusammenhang
dem Leser nicht ganz so eng erscheint wie dem Autor,
so daß man manchmal den Eindruck hat, es würden zwei
Interpretationsansätze kombiniert. Die erste These lautet:
Dem lk Doppelwerk liegt ein Handlungsmuster „Der Prophet
und das Volk" zugrunde. Wie Mose zweimal zum Volk
gesandt wurde (Apg 7, 20 ff.), zunächst abgelehnt, dann akzeptiert
wurde, so wurde auch Jesus als Prophet wie Mose
zu Israel gesandt, verworfen, von Gott erhöht, während die
Apostel im Geiste des Erhöhten zum zweiten Mal die
Chance zur Umkehr anbieten (124). Die in dieser „story"
handelnden Personen sind stereotyp gezeichnet: Mose ist
das Modell für Jesus, Jesus das Modell für die Apostel. Gemeinsam
ist ihnen: Geistbegabung, Verkündigung von Gottes
Wort, Zeichen und Wunder sowie Annahme bzw. Ablehnung
als Reaktion des Volkes (77). Die Bedeutung des
Prophetischen für den Handlungsverlauf zeigt sich ferner
darin, daß Handlung eine Kette erfüllter Prophezeihungen
ist. So gehen z. B. die in Apg 3, 20 verheißenen „Zeiten der
Erquickung" in der Besitzgemeinschaft der Urgemeinde
(Apg 4, 34) in Erfüllung (192. 200).

Die zweite These lautet: Innerhalb dieses literarischen
Schemas „Der Prophet und das Volk" haben die Besitzaussagen
metaphorischen Charakter. Viererlei bringen sie
symbolisch zum Ausdruck (126): 1. Die Einheit des Volkes
Gottes (vgl. die Einheit der Urgemeinde Apg 4,32 ff.), 2. Annahme
und Ablehnung der prophetischen Botschaft (die
ablehnenden Pharisäer sind daher geldgierig Lk 16, 14),
3. Autorität über das Volk Gottes (daher wird betont, daß
der Erlös von verkauftem Besitz den Aposteln zu Füßen
gelegt wurde Apg 4, 35), 4. Die Überlieferung von Autorität
innerhalb des Volkes Gottes (in Apg 6,1 ff. wird daher die
apostolische Autorität an die sieben hellenistischen Missionare
weitergegeben).

Das Buch ist klar und durchsichtig geschrieben. Es ist
schon deswegen anregend, weil es sich von der beeindruk-
kenden redaktionsgeschichtlichen Lukasauslegung H. Con-
zelmanns weitgehend gelöst hat. Die selbstgewählte Begrenzung
auf textimmanente Beziehungen wird man respektieren
müssen, auch wenn sie bei der Untersuchung
von Besitzaussagen ein wenig überrascht: Kann man bei
Besitzaussagen den sozialen und historischen Bezug so entschieden
vernachlässigen? Messen wir das Buch an den
selbstgesteckten Zielen, so wird man zweierlei kritisch anmerken
müssen:

1. Der Vf. greift selbst immer wieder über eine rein
textimmanente literarische Analyse hinaus, wenn er das AT
heranzieht. (So soll z. B. die Achanerzählung Modell für
Apg 5,1 ff. sein; vgl. S. 205 f.) Nun hat das AT aber nicht
unmittelbar auf das NT eingewirkt, sondern immer nur so,
wie es traditionsgeschichtlich im Judentum gedeutet wurde.
Wäre es daher nicht notwendig, z. B. das Prophetenbild
im Judentum zu untersuchen, wie es O. H. Steck (Israel und
das gewaltsame Geschick der Propheten 1967) getan hat, um
das Prophetenbild des Lukas wirklich zu verstehen?

2. Von einer literarischen Analyse darf man erwarten,
daß sie genau beachtet, in welchen Textformen die untersuchten
Aussagen stehen. Die Summarien über die Besitzgemeinschaft
lassen sich z. B. nur dann recht verstehen,
wenn man die Funktion lk Summarien überhaupt untersucht
. Oder ein anderes Beispiel: Auf S. 158—161 wird der
metaphorische Charakter der Besitzaussagen vor allem mit
dem Gleichnis vom verlorenen Sohn begründet. Nun sind
aber Gleichnisse qua definitionem „metaphorisch". Aus-