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Ausgabe:

1980

Spalte:

40-41

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Radl, Walter

Titel/Untertitel:

Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk 1980

Rezensent:

Burchard, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 1

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dische Dialog in seinen am weitesten vorgeschobenen Positionen
in eine neue Phase eingetreten ist. Ging es bisher
um die Abtragung beiderseitiger Vorurteile und um das
Bemühen, die Gestalt des Juden Jesus, der Christen und
Juden zugleich verbindet und trennt, zu erfassen, so nähert
er sich nun dem Zentrum des Selbstverständnisses beider
Partner.

Pinchas Lapide setzt in seinen Bausteinen zu einer
jüdischen Theologie des Christentums (11—39) analog zur
„Christologie von unten" beim historischen Jesus an, beschränkt
sich aber nicht darauf, sondern versucht seinerseits
das Auferstehungszeugnis neu zu verstehen. Zunächst
als spezifisch jüdisches Glaubenserlebnis (Antwort auf die
Theodizeefrage), dann in seiner ausgeformten Gestalt als
messianischer Midrasch der ersten Jesusgemeinde. Als Spitzensatz
einer positiven jüdischen Jesulogie erscheint bei
ihm die Aussage, daß nach Gottes Heilsplan die Mono-
theisierung des Abendlands im Namen eines frommen Juden
erfolgte. Kritischer wird es bei der Heilslehre, die er
analog zur Christologie gleichfalls „von unten" zu formulieren
sucht als Prozeß dynamischer Befreiung. Zur Inkarnation
schließlich gewinnt er über den „Panentheismus"
jüdischer Frömmigkeit (bes. der kabbalistischen und chas-
sidischen Ausprägung) und der Lehre von der Sym — pathie
Gottes Zugang.

Ihm antwortet von katholischer Seite Franz M u ß n e r,
der seine Skizze der neutestamentlichen Grundlagen einer
christlichen Theologie des Judentums als Angebot zur Verständigung
vorlegt (40—71). Der souverän konzipierte Entwurf
läßt die Grundzüge eines in Arbeit befindlichen Buches
erkennen. Die Stationen seiner Gedankenentwicklung können
hier nur bezeichnet werden: die Aussagen über die
bleibende Erwählung Israels (Rom 11, 2. 24—26), den fortbestehenden
Bund (Act 3,25; Rom 11,27), die „Privilegien"
Israels (Rom 9,4), seine Apokatastasis (Act 1,6 f.; 2,17; 3,
19; 15,16), die endgültige Errettung auf einem Sonderweg
ohne Mission (M.'s bekannte Deutung von Rom 11, 26, vgl.
Kairos 18, 1977, 241—255); die Juden als „Gottesbeweis",
als Zeugen für die Konkretheit der Heilsgeschichte, für den
deus absconditus, für die messianische Idee und für die
„bessere Welt"; schließlich die Vorstellung vom „Verheißungsüberschuß
" (nicht alle Verheißungen der alttesta-
mentlichen Propheten sind in der Christusgeschichte erfüllt
!) und des paradigmatischen Charakters des Juden
Jesus für das Volk Israel.

Auch Ulrich W i 1 c k e n s , der Anwalt reformatorischer
Theologie in diesem Gespräch, geht in seinem Beitrag über
Glauben nach urchristlichem und frühjüdischem Verständnis
(72—96) davon aus, daß zum Christentum nicht nur der
(wiederentdeckte) Jude Jesus gehört, sondern die urchristliche
Glaubensverkündigung, die vom Sühnetod des Christus
und seiner Auferstehung herkommt. Gleichsam als
Konzentrat der Thesen seiner inzwischen erschienenen Römerbriefauslegung
stellt er jene Punkte heraus, die für das
christlich-jüdische Gespräch zentral sind. Die paulinische
Gesetzeslehre beseitigt nicht den Anspruch der Thora, sondern
gipfelt darin, daß Gott den Fluch für deren faktische
Nichterfüllung an Jesus sich auswirken läßt. Das Kreuz
wird als Sühnopfer vom Jörn ha kippurim her verstanden,
als von Gott selbst bereitgestellte Sühneleistung. Der
Glaube, ganz und gar alttestamentlich-hebräisch bestimmt,
richtet sich auf Gottes geschichtliches, letztlich endzeitliches
Handeln. Dies erlaubt den das jüdische Selbstverständnis
herausfordernden Satz: „Christlicher Glaube ist alttesta-
mentlich-jüdischer Glaube in neuer heilsgeschichtlicher
Situation" (96).

Wir haben es bei den hier vorgestellten Partnern mit Pionieren
des christlich-jüdischen Gesprächs zu tun, die dabei
sind, den Weg für eine Begegnung von Christen und Juden
im Geiste des Ökumenismus zu bahnen. Das im Schlußteil
dokumentierte Gespräch (99—140) zeigt eine Annäherung,
die für beide Seiten vorerst noch Fernziel ist.

Halle (S»ale) Wolfgang Wiefel

Neues Testament

Radi, Walter: Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk.

Untersuchungen zu Parallelmotiven im Lukasevangelium
und in der Apostelgeschichte. Bern — Frankfurt (Main):
Lang 1975. IV, 460 S. 8° = Europäische Hochschulschriften,
Reihe XXIII: Theologie, Bd. 49. Kart, sfr 56,30.

Es gibt Parallelen zwischen Lukasevangelium und Apostelgeschichte
weit über die lexikalischen, stilistischen und
erzählerischen Anklänge hinaus, die sich in zwei Bänden
eines Geschichtswerks finden müssen, wenn der Autor nicht
dissimuliert. Nicht von ungefähr betreffen sie vor allem die
jeweiligen Hauptgestalten, sind also für das Verständnis
wichtig. Umfassend untersucht hat sie zuerst R. B. Rackham
in seinem vielgedruckten, aber außerhalb der englischsprechenden
Welt kaum gelesenen konservativen Kommentar
(The Acts of the Apostles, London 1901; vgl. W. Gasque,
A History of the Criticism of the Acts of the Apostles, Tübingen
1975, 131—133), freilich ohne zwischen Ereignis und
Darstellung, Quellen und Bearbeitung, übernommener und
speziell lukanischer Theologie zu unterscheiden. Seither ist
wenig geschehen (Der Stand der Forschung, 44—59). Radi
hat also ein gutes Thema. Dabei brauchte er Parallelen nicht
mehr neu zu finden. Er möchte aus dem bekannten Material
die von Lukas als solche beabsichtigten erhärten, auf Gehalt
an Tradition befragen und ihre Bedeutung für die luka-
nische Theologie feststellen (60). Die Darstellung Jesu und
Paulus' als Prediger und Wundertäter läßt er beiseite und
beschränkt sich auf ihr Leiden und Aussagen über es, weil
die einschlägigen Stellen (als Kriterium gilt „inhaltliche
und funktionsmäßige Entsprechung", nicht schon sprachlicher
Anklang) sich jeweils zu einer „Grundlinie" vereinigen
, die Einblick in die Struktur des Gesamtwerks und Lukas
' Sicht des Verhältnisses der in den Einzelbänden beschriebenen
Ereignisfolgen verspricht (61).

Das Corpus der Untersuchung hat zwei Teile, Nachweis
von Parallelen und Auswertung. Der Nachweis („2. Teil.
Parallelen zwischen dem Leiden Jesu im Lukasevangelium
und dem des Paulus in der Apostelgeschichte", 68—345) bespricht
zunächst Paralleltexte nach einem festen Schema
(Begründung dafür 62—66): I. „Literarkritik" der Apg. mit
dem Ziel, lukanische Redaktion zu ermitteln (Tradition interessiert
als solche nicht besonders); II. „Inhaltliche Untersuchung
" ; III. „Vergleich" mit Lk (hier werden Tradition
und Redaktion nicht eigens getrennt). Die Texte sind Apg
9,15 f. par Lk 2, 32. 34b; Apg 13,14-52 par Lk 4,16-30; Apg
13,1-12 par Lk 3,21-4,13; Apg 19, 21 par Lk 9,51; Apg

20, 18-35 par Lk 22,21-38; Apg 20,22-25; 21, 4. 10-12 par
Lk 9,22. 44 f.; 12, 50; 13, 32 f.; 17,25; 18,31-34; Apg 20,36-38;

21, 5 f. 13 f. par Lk 22,39-46; Apg 21, 27 - 26, 32 par Lk 22,
47 — 23,25; Apg 27 f. par Lk-Passions- und Ostergeschichte;
Apg 28,17-19 par Lk-Passion (68-267). Folgt ein Abschnitt
„Thematisch-motivliche Analogie" betreffend den Plan
Gottes, Jesus und Paulus als leidende Propheten, die Feindschaft
der Juden, das Wohlwollen der Römer (268—345). Die
Auswertung fällt knapper aus („3. Teil. Sinngebung und
Tragweite der Analogien", 346—395). Erstens sind die besprochenen
Parallelen und Analogien (in der Überschrift
zu Teil 3 deckt der Begriff beides) von Lukas geschaffen,
und zwar bewußt (346—351). Zweitens hat er sich dabei an
Tradition gehalten, nämlich das hellenistische Stilmittel
der Parallelisierung (vgl. z. B. Plutarch), die Charakterisierung
des Paulus als leidender Gefangener (vgl. Deutero-
paulinen), vor allem aber den Gedanken der Einheit Jesu
mit seiner Gemeinde, dessen vorlukanische Formen Radi
bei Mk, in Q und in der vormarkinischen Tradition aufspürt
(352—368). „Dieses Bewußtsein von der Einheit zwischen
Jesus und Kirche ist die tiefste Wurzel und die wesentliche
Voraussetzung für das spätere Unternehmen des
Lukas in der Apg, Paulus in Parallele zu Jesus darzustellen.
Auf den hier behandelten Gesichtspunkt zugespitzt, kann