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Ausgabe:

1980

Spalte:

605-607

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schwinges, Rainer Christoph

Titel/Untertitel:

Kreuzzugsideologie und Toleranz 1980

Rezensent:

Haendler, Gert

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805

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 8

606

Cooper, Karl T.: The Best Wine: John 2,1-11 (WThJ 41, 1978/79
S. 364-380).

Cosgrove, Charles H.: The Mosaic Preaches Faith: A Study in

Galatians 3 (WThJ 41, 1978/79 S. 146-164).
Fee, Gordon D.: A Critique of W. N. Piokering's The Identity of

thc New Testament Text. A Review Article (WThJ 41, 1978/79

S. 397-423).

Gaffin, Riehard B.: The Usefulnoss of tho Cross (WThJ 41,1978/79
S. 228-246).

Grudem, Wayne: 1 Corinthians 14, 20-25: Prophecy and Tongues

as Signs of God's Attitüde (WThJ 41, 1978/79 S. 381-396).
Gyllenberg, Rafucl: Johannesevangolict som historisk källa (SEA

43, 1978 S. 74-86).
Lövestam, Evald: Do synoptiska Josus-ordon om skilsmässa och

omgifte: referensramar och implikationor (SEA 43, 1978 S. 65

bis 73).

Striinple, Robert B.: Philippians 2,5-11 in Recent Studies: Somo
Exegetical Conclusions (WThJ 41, 1978/79 S. 247-268).

Kirchengeschichte: Mittelalter

Schwinge», Rainer Christoph: Kreuzzugsideologie und Toleranz.

Studien zu Wilhelm von Tyrus. Stuttgart: Hiersemann 1977.
Vi, 329 S. gr. 8° = Monographien zur Geschichte des Mittelalters
, 15. Lw. DM 145,-.

Die von H. D. Kahl angeregte Gießoncr Dissertation erinnert
einleitend daran, daß schon im 12. Jh. Menschen „dem Kreuzzugs-
geschchen distanziert, ja sogar kritisch gegenüber stehen konnten
. . . Ein von der Forschung oft übersehener Kronzeuge der
Entwicklung solcher Distanz ist Erzbischof Wilhelm von Tyrus
(etwa 1130-86), zugleich Kanzler des Königreiches Jerusalem".
Er zeigt eine „Toleranz, die im Mittelalter schwerlich ihresgleichen
hat" (2). Bekannt ist Wilhelm von Tyrus als Geschichtsschreiber,
doch Schwinges holt erheblich mehr aus den Quellen heraus. Dabei
kam ihm auch ein glücklicher Quellenfund zustatten: Der Studienweg
Wilhelms läßt sich heute genauer rekonstruieren.

Teil I zeichnet die Persönlichkeit Wilhelms von Tyrus. Er entstammte
einer Einwandererfamilie, wurde in Jerusalem geboren
als „Orient-Franke" (21). Zur Ausbildung ging er nach Frankreich,
wo er 1145-55 die freien Künste studierte; es folgten 6 Jahre
Thoologic u.a. bei Petrus Lombardus, danach Jura in Bologna.
Der so gründlich Gobildeto machte in seiner Heimat Karriere:
Kanzler des Königreiches Jerusalem, Erzbischof von Tyrus. Er
nimmt 1179 am 3. Laterankonzil teil, auf der Rückreise bleibt er
ein halbes Jahr in Byzanz. In den Jahren 1169-84 schreibt er seine
23 Bücher Historia rerum in partibus transniarinis gestarum.
Andere Werko sind verloren. Sein Werk wirkt nach in einer altfranzösischen
Übersetzung; in ihr „wird das anspruchsvollo Geschichtswerk
des Kanzlors von Jerusalem rogclrocht zum Abenteurerroman
poetisiert und popularisiert" (45). Besondere Bodeu-
tung hat für S. eine Stolle XIX, 3, in der König Amalrich von
Wilhelm einen Vernunftsbeweis für die Auferstehung des Fleisches
fordert. Nach Bedenken war dieser „bereit, ausgehend von der
Gerechtigkeit Gottes, den Beweis unter Hintansetzung aller
Schriftzougnisso mit vernunftgemäßen Argumenten anzutreten .. .
In der bisherigen Forschung ist dieses von Wilhelm aufgezeichnete
Gespräch über die Auferstehung von den Toten noch nie als eine
selbständige, diskussionswürdigo Episode betrachtet worden"
(54f). Es wird die Linie zu Johannes Damaszonus, Petrus Lombardus
und Anselm von Canterbury gezogen. Juliane Gauß hatte
behauptet, Anselm habe mit seiner Schrift „Cur Deus Homo" zur
geistigen Auseinandersetzung mit den Mohamedanern beitragen
wollen. An seiner Seite steht Wilhelm von Tyrus: „Wilhelm unterzieht
sich den Mühen einer rationalen Beweisführung mit den
gleichen Vorbehalten aus Glaubensgründen wie Anselm. ,Cur Deus
Homo' fragen nicht nur die Ungläubigen, sondern auch viele
Gläubige: Gebildete wie Ungebildete wünschen eine Begründung"
(59). Wilhelm hat sich dem Gespräch gestellt, um „unter Hintansetzung
aller autoritativen Zeugnisse die Frage nach gemeinverbindlichen
logisch-rationalen Richtlinien zu beantworten" (62).
Seine Ausbildung in Frankreich hatte ihn dazu befähigt, „vielleicht
stand ihm sogar ein Exemplar von Cur Deus Homo im
Orient zur Verfügung" (63).

Teil II ist überschrieben „Die theologische Einordnung der islamischen
Religion". Johannes von Damascus sowie das 2. Nicänum
787 sahen im Islam eine späte Nachwirkung arianischer Ketzerei;
im arabisch besetzten Spanien des 9. Jh. gab es einen „grundsätzlich
offenen Zugang zur islamischen Welt" (86). Aber es gab auch
eine schroffero Linie in Byzanz und im Abendland; die Mohame-
daner waren „pagani", die die christliche Botschaft zurückwiesen,
sie waren Feinde Gottes, man begegnete der „Konzeption vom
Antichrist, die als polemische Hilfsakonstruktion jedem Christen die
Gefährlichkeit der Muslimo deutlich machen mußte" (100). Im Verlauf
der Krouzzüge änderto sich dieses Bild im Abendland. Petrus
Venorabilis, Abt von Cluny, ließ 1141 eine erste lateinische Übersetzung
des Koran herstellen; or wendete sich an die Mohamedaner
„nicht in Haß sondern in Liebe, wie sie die Jünger Christi zu denen,
die ihn nicht kennen, haben sollen" (107 unter Verweis auf: Libcr
contra sectam sive haeresim Saracenorum, MPL 189, 673 B-C).
Später entstand „der dichterische Typus des edlen Heiden", es
wurde „das gemeinsame Unterworfensein von Christen und Muslimen
unter das Gesetz des einen Schöpfers der Welt anerkannt"
(107). Für diesen Lernprozeß ist gerade Wilhelm von Tyrus ein
wichtiger Zeuge. Aus eigener Sachkenntnis unterschied er zwischen
den verschiedenen Richtungen des Islam. Den Schiiten in
Ägypten „schreibt Wilhelm nicht nur oinMehr an Konsens mit dem
Christentum zu (woraus zu folgern ist, daß ihm die Tatsache oines
Konsensus zwischen Islam und Christentum grundsätzlich bewußt
war!), sondern plaziert sie gleich viel günstiger" (112). Natürlich
bleibt die sachliche Distanz voll gewahrt, aber das hindert
Wilhelm nicht, „sich als homo politicus, als Chronist und Wissenschaftler
um die Kenntnis der muslimischen Welt zu bemühen"
(118). Manche Vorwürfe gegen den Islam werden von ihm nicht
übernommen, da er genauere Kenntnis hat. Besondere Bedeutung
mißt S. der Stelle XX, 31 zu, in der Nur ad-Din als „timens Deum"
und schließlich gar als „religiosus" bezeichnet wird. Mehrfach
wird dieser Stelle nachgegangen; hier faßt S. zusammen: „Die
religiösen Traditionen der Muslime, so verkehrt sie im einzelnen in
christlicher Sicht auch sein mochten, stimmten in Wilhelms Auffassung
doch in einem sehr wesentlichen Punkte mit den christlichen
Traditionen überein: Christentum und Heidentum lehrten
beide . . . den gleichen gemeinsamen Gott, und ihre Normen waron
auf jedor Seito verbindlich genug, um eine religiöse Lebensform
mit dem Ziel des persönlichen Heils zu garantieren" (132). Solches
„informelles Gehenlassen und Tolerieren" leitet S. primär aus der
Tradition orientalischer Christen ab, doch sollten auch Wilhelms
Studien im Abendland dazu beigetragen haben (41).

Toil III geht auf Details ein unter der Überschrift „Das Bild der
Muslime. Aufriß der informellen Toleranz und Humanität Wilhelms
von Tyrus" (142-285). Wilholm ist den individuellen Eigenarten
einzelner Personen mit großor Sorgfalt nachgegangen. Es
gibt für ihn kein Pauschalurteil, auch kein idealtypisches Heidenbild
, wie wir es dann im Parsival haben. Bei Personen der Vergangenheit
ist er auf Vorlagon angewiesen; er hat aber mehrfach
positive Urteile noch verstärkt und negativo Urteile gemildert.
Unter den Zeitgenossen kommt Nur ad-Din die größte Bedeutung
zu: Wilhelm von Tyrus war der Meinung, dieser arabische Fürst
könne ein Bürger dos Gottesstaates im Sinne Augustins sein!
S. hat kaum Zweifel, „daß der Erzbischof von Tyrus selbst im
Gegner Jerusalem einon Gottesbürger erkannt hat" (196). Dagegen
sticht das Urteil über Saladin, den prominenten Sultan,
erheblich ab. Ihm scheint Wilhelm „offensichtlich fassungslos
gegenübergestanden zu haben" (203). Für Wilhelm gab es eine
völkerrechtliche Gleichstellung der Muslime (214-67). Christen
sind gegenüber Mohamedaner zur Einhaltung von Verträgen auch
moralisch verpflichtet; im Falle eines Rechtsbruches werde Gott
die Sache eines Moslems auch gegen Christen und selbst gegen die
Interessen desHeiligen Landes wahrnehmen (258). Das Zusammenleben
verschiedener Völker und Religionen hängt ab von der Verbindlichkeit
des Rechts, „das man auch anderen zuzugestehen
gewillt ist" (261). Daraus ergibt sich auch eine neue missionarische