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Ausgabe:

1980

Spalte:

602-603

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Ulrich B.

Titel/Untertitel:

Zur frühchristlichen Theologiegeschichte 1980

Rezensent:

Käsemann, Ernst

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Lileraturzeitung 105. Jahrgang 19S0 Nr. S

G02

Theologie und Verkündigung zugleich in ihnen einen Ausgangspunkt
hat.

Inhaltlich soll hier nur kurz auf das grundlegende Kapitel üher
.,die Voraussetzungen der paulinischen Theologie" (362-390) hingewiesen
werden. Zwar ist in ihm m. E. die Bedeutung der Auferstehungserfahrung
für Paulus verkannt („es widerfuhr ihm
dabei . . . grundsätzlich nichts anderes als jedem, der vom pneumatischen
Kerygma getroffen wird" [366]), die Schlüsselprobleme
der paulinischen Theologie aber sind sehr deutlich herausgestellt,
nämlich das Verhältnis zwischen Paulus und Jesus einerseits und
die Bedeutung des Alten Testaments für Paulus andererseits.
Paulus transponiert die Jesusüberlieferung in eine geschieht lieh
und vor allem heilsgosehichtlieh andere Situation; sio wird so in
einem überraschenden Maße hinter seinor Theologie sichtbar. Die
inhaltliche Verbindung zwischen dem AT und seinor Thoologie
und Verkündigung ist nach O. für Paulus deshalb fundamental,
weil ..die Berufung zum Glauben . . . für ihn nicht der Ubergang
von der jüdischen zur christlichen Religion (war), sondern eine neue
Offenbarung des Gottes der Schrift, der immer schon sein Gott
war" (378). Bas ist zweifellos zontral richtig. Deshalb indessen
vermißt man um so mehr eino Behandlung des Thomas .,Glosetz".
Denn das ist durch das Fohlen fies von G. eigentlich vorgesehenen
Abschnittes über dio paulinische Ethik nicht hinreichend erklärt,
wio u. a. das Fehlen der thematischen Behandlung von „Sünde"
bei Paulus ausweist.

In den vierten TlMuptleil. der über die Theologie der nachpau-
linischen Schriften handelt, werden - nach grundsätzlichen Überlegungen
über das geschichtliche und thoologischo Problem der
nachpaulinischcn. „apostolischen" Literatur - in drei Kapiteln je
zwei theologische Entwürfe des Neuen Testaments in überaus
reizvoller und erhellender Weise oinander gegenübergestellt. Das
erste Kapitel behandelt unter der Uberschrift „Die Christen in der
Gesellschaft" einerseits den 1 Petr, andererseits Offb. „Der 1. Petrusbrief
ruft zu sozialpolitischer Verantwortung in einer vorchristlichen
Welt . . . Die Offenbarung verpflichtet. . . zum Durchhalten
des Bekenntnisses wie dos Zeugnisses in einer nachchristlichen
Weltsituation" (528). Der Gebrauch der Begriffe „vor-,
nachchristlich" will mir allerdings weder historisch noch theologisch
recht sachgemäß erscheinen; er ist aber wohl auch von dem
Inhalt der angeführten Aussage ablösbar.

Das zweite Kapitel stellt „die Verkündigung des Jakobusbriefes
und des Matthäus in der Kirche Syriens" vor. Beide Schriften
gehören in dio syrisch-palästinische Tradition, in der vorsucht
wird, „das Christsein durch Lebensordnungon zu umschreiben und
es so empirisch darzustellen" (538). Zwar hat Jak darin recht, daß
dem Glauben ein Verhalten zugeordnet ist, aber er steht doch in
der Gefahr, das Christsein als oino Lebensform zu beschreiben. Mit
ähnlichem Nachdruck drängt im NT nur noch Matthäus auf dio
Bewährung dos Christseins durch ein neues Verhalten (560). Bei
heidon aber bleibt doch der Indikativ dein Imperativ im Crundo
vorgeordnet. Bei Mt ist dio nouo Ordnung des Lebens ganz an das
Wort Jesu gebunden, durch das das Gosotz erfüllt wird, wio ebenso
in der Kirche Israel aufgohobon ist.

Das dritte Kapitel bezieht don Hebräorbriof und Lukas aufeinander
, nämlich „die Gemeinde untorwegs - Ohristus der vollendete
Hohepriester (Der Hebräorbriof)" (569-600) und „Lukas - der
Theologe der Heilsgeschichte" (600-624), und faßt beide unter dem
Thema zusammen: „Der weite Weg der Kircho in der Geschichte".
Hebr und Lk sind nach G. „die wichtigsten Dokumente ntl. Theologie
aus der nachpaulinischen Zeit der westlichen Kirche" (600).
In ihnen geht es um die Interpretation des Evangeliums auf eine
Geschichte hin, die die Gemeinde in der Welt zu bewältigen hat
und in der sie im Glauben zu ermüden droht. Dom ordnet sich
offenbar das Zurücktreten des Parusieglaubens zu, an dessen Stelle
eine Individualeschatologie zu treten beginnt (zu Hebr siehe S.
599; doch ist mir fraglich, ob der Satz „dio universale Parusio-
Esohatologie wird gleichsam durchlässig für die Individualeschatologie
, die an die Vollendung des einzelnen in der Todesstunde
denkt", wirklich für Hebr zutrifft; zu Lk s. S. 624).

Auch wenn manche der eben genannten Abschnitte nur einen
recht gerafften Uberblick über ihren Gegenstand geben und nur
Grundelemento der Theologie der betreffenden Autoren hervorheben
, so sind sie doch alle überaus anregend durch die Eigenständigkeit
und theologische Durchdringung, die G. ihnen gegeben hat.
Wie schon im ersten Teil, so bewährt er auch hier seine Meisterschaft
, die Interpetation einiger zentraler Texte zum Schlüssel für
übergreifende Zusammenhänge zu machen. Obwohl für G. die
neutestamentliche Theologie nicht an die Stelle der systematischen
Theologie tritt, deutet er an wichtigen Punkten die Bedeutung
joner für diese an, auch inhaltlich. Das ist eino wichtige Bereicherung
des Buches. Daß insgesamt dieser zweite Teil nicht die abgerundete
Geschlossenheit des ersten erreicht, ist deutlich. Der Verlust
, den Goppelts plötzlicher Tod bedeutet, wird dadurch noch
einmal schmerzlich bowußt.

Der Band wird abgeschlossen durch ein Stellenrogister zu diesem
Band sowie ein Stichwortregister zu dem Gesamtwork (das übrigens
durchlaufend paginiert ist). In dankenswerter Weise sind in
don Registern dio Seiten, an denen der nachgewiesene Gegenstand
ausführlicher behandelt wird, hervorgehoben. Auch darin, wie in
der Herausgabe des Ganzen, hat .1. Roloff vorbildlich gearbeitet.

TTiilli' (Rad«) Tmimott Holt?.

Hengel, Martin: Jesus, Fils de Dieu. Trad.de l'allomand par A.
Liefooghe. Paris: Los Editions du Cerfl977. 150 S. 8' — neetfo
Divina. 94. ffr. 36.-.

Dio Reihe Lectio Divina, in Zielsetzung und Charakter der
Leipziger Schriftenroi ho „Die Botschaft Gottes" vergleichbar, hat.
seit ihrer Gründung vor fast 30 Jahren die ursprünglich gezogenen
Grenzen erweitert und immer mehr außerfranzösische und nicht -
katholische Thoologen unter ihro Autoren aufgenommen. Nach
mehreren Arbeiten von Joachim Jeremias ist nun M. Hengel als
zweiter ovangelischer Bibelwissenschaftler des deutschsprachigen
Raums mit der (unveränderten) Übersetzung seinor 1975 erschienenen
Studie Der Sohn Gottes (vgl. Rez. ThLZ 103, 1978 Sp.819f)
in der LD vertreten. Da, wie auch dio Anmerkungen ausweisen,
anders als im Englischen nur wonigo Arboiten, die den exegetischen
Diskussionsstand bestimmen, im französischen Sprachgebiet unmittelbar
präsent sind, haben solche Übertragungen eine nicht zu
unterschätzende ökumenische Funktion.

Unllc (Saale) Wolfenne WleM

Müller, Ulrich B.: Zur frühchristlichen Theologiegeschichte. Judenchristentum
und Paulinismus in Kleinasien an der Wende
vom ersten zum zweiton Jahrhundert n. Chr. Gütersloher Vorlagshaus
Gerd Mohn [1976]. 103 S. 8°. Kart. DM 26,-.

Straff aufgebaut und auch im einzelnen durchsichtig, behandelt
das Buch an Hand der Johannes-Apokalypse und der Pastoral-
briefo jene in seinem Titol sehr genau inhaltlich, räumlich und zeitlich
gonannten Strömungen. Zwei Grundeinsichton bestimmen dio
Analyse: I. Erhebliche Teile des palästinisch-syrischen Christentums
haben sich nach dem jüdischen Kriego in das paulinische
Missionsgebiet geflüohtot. Dio sie auch in Didache, 3 Job und
Texten des Matthäus-Evangeliums repräsentierenden Wanderpropheten
stoßen in den von ihnen vorgefundenen blühenden Gemeinden
auf ihnen fromdo theologische Tradition und eine Organisation
mit feston Gemeindeämtern. Trügt der Seher der Offenbarung
ihren Angriff auf das bestehende Christentum vor, so
werden seine Gesinnungsgenossen in den Pastoralen selber als Irrlehrer
angegriffen. Dabei tritt jedoch 2. eine weitere Front zutage:
Kol und Eph machen deutlich, daß inzwischen auch die paulinische
Botschaft fortentwickelt wurde, u. zw. in Richtung auf eino
betont präsentische Eschatologie, wie sie in extremer Zuspitzung
in 2 Tim 2,18 oder der von Jud bekämpften Häresie begegnet. Der
Seher wendet sich gegen einen enthusiastischen und ethisch unbekümmerten
„Heilsperfektionismus", der sieh die paulinische Gna-
denlehro zunutzogemacht haben könnte. Aufnahme finden er und
seinesgleichen dort, wo es vorher Gomeindeprophetie gegeben hat.
Doch ist dor Wnndoiprophet als Zeuge der Naherwartung, welche,
an der Menschensohn-Christologie orientiert, das Gericht über der