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Ausgabe:

1980

Spalte:

599-602

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Goppelt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Theologie des Neuen Testaments 1980

Rezensent:

Holtz, Traugott

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599

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 8

C.00

Goppelt, Leonhard: Theologie des Neuen Testaments. 2: Vielfalt
und Einheit des apostolischen Christuszeugnisses. Hrsg. v. J.
Roloff. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1976] (Lizenz-
ausg. Berlin: Evang. Vorlagsanstalt [1978]). TV, S. 317-669 gr,
8°. Kart. DM 36,-.

Nur ein Jahr nach dem ersten Teil konnte J. Roloff den zweiten
der „Theologie des Neuen Testaments" L. Goppelts der Öffentlichkeit
vorlegen (zum ersten Teil s. ThLZ 101, 1976 Sp. 424-430). Er
hat damit seinem Lehrer ein würdiges Gedächtnis Dereitet und die
nentestamontlicho Wissenschaft um einen wesentlichen Entwurf
auf ihrem zentralen Gebiet bereichert.

Der Hrsg. hat sieh einer aufopferungsvollen Aufgabe unterzogen,
deren Schwierigkeiten wohl nur er selbst voll erfahren konnte. Die
Erarbeitung dieses zweiten Teils stellte ihn vor beträchtlich schwierigere
Probleme als die des ersten, da nur der zweite Hauptteil
„Die Urgemeinde (Die Kirche unter Israel") (325-355) und der
dritte „Paulus und das hellenistische Christentum" (356-479) in
einem wenigstens zum größten Teil ausgearbeiteten Manuskript
vorlagen, während der vierte Hauptteil „Die Theologie der nach-
paulinischen Schriften" ((480-643) aus dem Vorlesungsmanuskript
sowio einer Tonbandnachschrift erarbeitet werden mußte.

Der Hrsg. versichert im Vorwort, daß es ihm bei seiner Be- und
Erarbeitung der Druekfassung einzig darum ging, seinen Lehrer
„selbst so klar wie möglich zu Wort kommen zu lassen". Zur
Erreichung dieses Zieles war freilich sowohl die gelegentliche Auffüllung
von kleinen Lücken aus anderen fixierten Äußerungen
Goppelts zum Thema nötig, als auch eine Straflfung und Glättung
vorliegenden Materials. Darüber hinaus hat Roloff die sorgfältigen
bibliographischen Angaben zu den einzelnen Teilen und die Belege
für die Darstellung selbst bereichernd betreut.

Wegen dieser Art des Materials und seiner Behandlung fehlen
nun allerdings in diesem Teil, der als ganzer unter der Überschrift
steht „Vielfalt und Einheit des apostolischen Zeugnisses", einige
wichtige Teile und andere sind nur umrißhaft dargestellt. Nicht
behandelt sind das Markusevangelium und die Deuteropanlinen,
nämlieh Eph und Past. Der Hrsg. meint im Vorwort, Goppelt habe
„angesichts der seiner Meinung nach noch offenen Forschungssituation
in diesen Fällen die Möglichkeit zu einer zusammenfassenden
Darstellung und Beurteilung noch nicht gegeben" gesehen.
Aber hätte Goppelt wirklich auf die Behandlung dieser Schrift
verzichten dürfen, hätte er selbst noch sein Werk zum Abschluß
bringen können? An das Markusevangelium hängt sich doch die
historisch wie theologisch gleich gewichtige Frage nach der Entstehung
der Evangelienschreibung, der Epheserbrief aber hat eine
Schlüsselfunktion für die personale und inhaltliche Rezeption des
Paulus als Apostel in der „ausgehenden apostolischen" Zeit. Die
nur umrißhafte Darstellung fällt am nachhaltigsten im abschließenden
Kapitel „Die Gegenwart des Eschatons in der Selbstoffon-
barung des fleischgewordenen Logos (Der 1. Johannesbrief und
das Johannesevangelium)" (625-643) auf. u. zw. nicht nur in Hinsicht
auf die Kürze, sondern auch hinsichtlich des Inhalts.

Trotz dieser Umstände ist das Buch von eindrücklieher Geschlossenheit
und erweckt nicht den Eindruck eines fragwürdigen
Torsos. Das Vordienst daran kommt in gleicher Weise dem Autor
wie dem Hrsg. zu. Dieser hat seine schwierige Aufgabe mit zurückhaltender
Meisterschaft so gelöst, daß nirgend stärkere Nähte
oder Sprünge sichtbar werden oder Wiederholungen den Leser
ermüden, die Geschlossenheit des theologischen Entwurfs seines
Lehrers vielmehr voll zur Geltung kommt.

Goppelt entwirft seine Theologie - wie im ersten Teil von ihm
selbst einleitend eingeordnet - in der Linie der heilsgeschichtlichen
Richtimg historischer Schriftforschung. Dieses Programm wird
durch das ganze Buch hindurch überzeugend durchgehalten, mit
Ausnahme des letzten Kapitels, das die Struktur der johanneischen
Theologie behandelt. Hier bewegt G. sich auf anderen Bahnen. Die
joh. Begriffssprache soll nach ihm in einer Tradition stehen, die
von palästinischen Täuferkreisen ausgeht, sich aber in Auseinandersetzung
mit gnostischen Strömungen selbständig weiterentwickelt
hat (629), die Bildreden „einem dualistisch-kosmischen
Denken, das Himmlisches und Irdisches als Eigentliches und Un-
eigentliohes unterscheidet" entsprechen (630) und in Joh 6

schließlich soll der vierte Evangelist „den kühnen Versuch gemacht
haben), Jesu Gabe, die letztlich im Herrenmahl vermittelt wird,
in der Sprache des hellenistischen Dualismus und der Mysterien
einzuführen und auf eine unmittelbare Anknüpfung an das AT zu
verzichten" (640). Dieses hier beispielhaft angedeutete Verständnis
der joh. Theologie weist ihr einen Platz außerhalb der übrigen
neutestamentliehen Literatur zu, der m. E. - gerade auch mit
Blick auf die berührten Punkte - nicht der sachgemäße ist. Man
kann ernsthaft fragen, ob es nicht angemessen gewesen wäre,
diesen Teil ganz fortzulassen. Seine Kürze vervollständigt das hier
vorgolegto Gesamtbild einer Theologie des NT ohnehin nicht (wie
os andere gedrängto Abschnitte wenigstens skizzenhaft tun): er
stört dieses Bild eher.

Soloho Fragen bezüglich des Schlußkapitels drängon sieh gerade
doshalb auf, weil im übrigen der Aufbau des Werkes und die sich
darin spiegelnde Ein- und Zuordnung der einzelnen neutestamentliehen
Gruppen und Schriften von großer innerer Konsequenz ist.
G. stellt vornehmlich die Theologie dor neutestamentliehen Literatur
dar, rein traditionsgeschichtlich zu erschließende Stufen
bozioht er nur sehr vorsichtig und mögliehst in engster Anlehnung
an oino überlioforto literarische Einheit in die Darstellung ein. Dieser
Grundsatz ist angesichts gelegentlich wildortrad itionsgescliieht-
licher (Re-)Konstruktionon ein gesunder, und er ist auch theologisch
dadurch legitimiert, daß os in einer neutestamentliehen
Theologie nicht darum gehen kann, sachlich unterschiedslos aufzunehmen
, was alles irgendwann and irgendwo geglaubt und vertreten
wurde (selbst wenn wir das mit zureichender Sicherheit
erkennen könnten), sondern darum, dio maßgebliche und gültige
Verkündigung zu erkennen und zu verstehen (vgl. 326f). Nun gibt
es freilich eine maßgebliche und »ültige Vorkündigung in der Gegenwart
immer nur aktuell, die Verkündigung aber, die geschichtlich
maßgeblich und gültig wird, konstituiert sich erst im Nachhinein
durch den Verlauf der Gesohichte. Deshalb sind - anders als
für eine urchristliche Religionsgeschichte - für die neutestamentliehe
Theologie die einzelnen Schriften und Schriftengruppen die
Knotenpunkte, durch die das Maßgebliche und Gültige der auf sie
hinlaufenden Entwicklungen konstituiert wird. G. gelingt es nun
zu zeigen, daß die von ihm dargestellten Schriften nicht unvereinbare
Linien der inneren Entwicklung der frühen Gemeinde zu
maßgeblicher Gültigkeit erheben, sondern daß sie in je eigener
Weise (zu Joh siehe allerdings oben) sachgemäß in ihre besondere
geschichtliche Situation das Zeugnis Jesu, der der Christus ist.
verkündigen. Da G. die geschichtliche Entwicklung der urehristli-
chenTheologiebildune so von ihren in die Zukunft hineinwirkenden
literarischen Brennpunkten bor aufschließt, kommt der geschichtlichen
Einordnung dieser Zeugnisse besondere Bedeutung zu: sie
wird denn auch zu Boginn der einschlägigen Teile mit Sorgfalt vorgenommen
.

Ein erster, kurzer Hnuptteil „Die Urgemeinde (Die Kirche
unter Israel)" allerdings muß ohne Ausgangspunkt von einer
selbständigen Quelle erarbeitet worden: dafür erhält hier die Frage
nsch den „Quollen und ihre Auswertung" einen eigenen Paragraphen
. Die Probleme, die der ersten Gemeinde zu lösen aufgegeben
waren, sieht G. mit dem Solbstverständnis dor Gemeindo
und dor Deutung der Erscheinung Jesu, also der Ekklesiologie und
der Christologie, gegeben. Daneben aber dürfte die Frage der
Esohatologio von allem Anfang an fundamental gewesen sein, da
sie mit dor Erfahrung sowohl der Auferstehung Jesu als auch der
Geistbegabung gegeben wnr.

Dio Behandlung des sogenannten Hellenistischen Christentums
(das mit der Gegenüberstellung,, in Jerusalem standen Evangelium
und Kirche überwiegend in der Sphäre palästinisch-jüdischen
Donkens, in Antiochien überwiegend in der hellenistischen Denkens
" [3581 allerdings mißverständlich und unscharf bezeichnet
ist) verbindet G. mit der des Paulus. Das ist, nicht nur in dem
Rahmen des G. eigenen Ansatzes, eine sinnvolle und sachgemäße
Entscheidung. Denn der Versuch, das Durchschnittskerygma der
hellenistischen Gemeinde darzustellen, führt in der Tat zu unhistorischen
Abstraktionen. „Historische Realitäten waren immer nur
Traditionen und die von ihnen ausgehende jeweilige Verkündigung
und Lebensgestaltung samt ihrer theologischen Reflexion" (361).
Faßhnr sind solche Traditionen vornehmlich bei Pnnlus. dessen