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Ausgabe:

1980

Kategorie:

Praktische Theologie

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Neuerscheinungen

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539

Theologische Literaturzeitung 10.r>. Jahrgang 1980 Nr. 7

.-.40

lische Gemeindclexikon will über christliche Bewegungen, Personen
und Werke, sowie über biblische Begriffe und Zeitfragen
allgemeinverständlich informieren." Insbesondere geht es dabei
um „den Bereich . . . der die Christenheit im deutschsprachigen
Raum entscheidend geprägt hat", die vom „Pietismus,
der Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung beeinflußten
Personen, Gemeinden, Gemeinschaften und freien kirchlichen
Werke". Dabei ist es „das Ziel, wissenschaftlich fundierte und
zugleich allgemeinverständliche Informationen zu vermitteln".
Das könnte wie eine Verengung aussehen und den Verdacht
nahelegen, das Buch sei nur für einen bestimmten, eben pietistischen
und evangelikalen Leserkreis geeignet, aber das
stimmt nicht. Es leistet mehr.

Zunächst erhält man auf dem verhältnismäßig knappen
Raum von 557 Seiten eine erstaunliche Fülle von Informationen
, die „wertfrei" gegeben werden. Zum Beispiel sind die
neutestamentlichen Artikel durchweg auf der Höhe der gegenwärtigen
Wissenschaft. Ich nenne stellvertretend „Abendmahl",
„Bergpredigt", „Heiliger Geist", aber auch „Zungenrede". Zitiert
wird dabei alles, was Rang und Namen hat, gleich welcher
Richtung von E. Schweizer bis zu Käsemann, von Cremer bis
Bultmann.

Die Väter des Pietismus sind vollzählig und zuverlässig versammelt
, allerdings mit einer Ausnahme nur die schon Verstorbenen
. Die eine Ausnahme bildet — der Rez. hat es nach
dem Lesen des Vorwortes erraten — Billy Graham, der bei
seinen „großangelegten Bekehrungsfeldzügen" „mühelos Millionen
erreichte". Hier wird deutlich, welchen großen und optimistischen
Raum im Bereich des Pietismus die „Erfahrung"
einnimmt, und offensichtlich verspricht man sich von dem
Lexikon nicht nur belehrende, sondern glaubensstärkende Wirkung
gerade durch Biographien. Bei der Mehrzahl von ihnen
ist die „Erweckung" oder „Bekehrung" besonders markiert,
aber der Artikel „Bekehrung" selbst zeichnet sich durch Nüchternheit
und Offenheit aus. Man muß dankbar bekennen, wie
sauber gerade die großen Artikel über die „Klassiker" von
Luther bis Spener geschrieben sind. Sie verarbeiten durchweg
den neuesten Stand der Wissenschaft und überlassen das Urteil
dem Leser.

Getreu der Zielstellung gibt das Lexikon Auskunft über eine
große Anzahl von Kommunitäten, Bruderschaften, Vereinigungen
und Vereinen, Arbeitsgemeinschaften usw., die sich alle
mit Mission im weitesten Sinne beschäftigen. Vermutlich wird
es wenige Bücher geben, in denen man sich auf so knappem
Raum so ausführlich in dieser Sache informieren kann. Dabei
wird vor allem dem Leser, der mit dem Pietismus nicht enger
vertraut ist, ins Gedächtnis gerufen, welche kirchlichen Aktivitäten
auf pietistische Quellen zurückzuführen sind. Vermutlich
tut der ganzen verfaßten Kirche solche Erinnerung in der
Gegenwart gut, in der sich manche diakonischen und sozialen
Arbeitsformen der Gemeinde nur allzuweit von diesen Quellen
entfernt haben, obwohl die Werke der Kirche fast samt
und sonders, aber auch die Diakonissenhäuser, die DCSV
(Deutsche Christliche Studentenvereinigung), die Schülerbibelarbeit
und der Kindergottesdienst hier ebenso ihre Wurzeln
haben wie die Bibelstunden und die Bibelwochen, um nur
einige Beispiele herauszugreifen.

Das Lexikon verbirgt aber nicht seine erzieherische Absicht.
Es will wohl vor allem Laien Anleitung geben, sowohl für
Mitarbeit in der Kirche als auch für den Alltag. So werden
etwa in dem Kapitel über die Bibel sämtliche vorliegenden
modernen Übersetzungen besprochen und beurteilt, für „Bibelarbeit
" und „Hauskreis" beispielsweise werden kurze, aber hilfreiche
Hinweise zur praktischen Arbeit gegeben. Bei „Christenverfolgung
" erfährt man, daß nicht nur NichtChristen, sondern
auch Christen Christen verfolgt haben. Dem Kapitel
„Ethik" ist eine Übersicht üoer sämtliche im Lexikon behandelten
ethischen Stichworte, dem Kapitel „Theologie" sämtlicher
dogmatischer Stichworte beigegeben. Zu den Kapiteln
über „Gruppendynamik", „Kirchentag" und „ökumenischer
Rat" wird die spezielle evangelikale Kritik zu diesen Dingen
vorgetragen, aber mit merklicher Zurückhaltung und ohne
zu verletzen. So ist das Stichwort „ökumenischer Rat" nicht.

wie man erwarten könnte, von Peter Beyerhaus bearbeitet,
sondern von Dr. Gcldbach, während Beyerhaus bei „Mission"
zu Worte kommt. Natürlich sind bei ihm die „heilenden und
helfenden Taten der Liebe" der Evangeliumspredigt untergeordnet
, aber sie werden doch als „Begleitung" verlangt, weil sie
zur „Kundmachung der Herrschaft und Heilstat Jesu Christi"
gehören. Es scheint so zu sein, daß die drei Hrsgg. mit großer
Sorgfalt darauf geachtet haben, daß das Lexikon nicht nur
einem Kreis von evangelikalen Eingeweihten zugänglich bleibt,
sondern gerade das notwendige und lebenswichtige Gut der
evangelikalen Bewegung korrigierend, helfend und heilend
zum Zuge bringt.

Meiner Ansicht nach leistet das Lexikon in diesem Zusammenhang
einen besonderen Dienst innerhalb der Auseinandersetzung
der evangelikalen mit der charismatischen Bewc
gung, d. h. mit all denen, die in irgendeiner Weise „pfingst-
lich" orientiert sind. Hier merkt man dem Ganzen an, daß es
nach Lausanne 1974 geschrieben ist und ernstzumachen versucht
mit Bekehrung zu Christus, verbindlichem Leben in der
Gemeinde und christlicher Verantwortung für die Welt (so
etwa zu „Arbeitsgemeinschaft Jugendevangclisation" und öfter).
Das schließt Selbstkritik ein. Und deshalb wird für die Zcrris
senheit der früher einmal in den Gnadaucr Konferenzen zusammengeschlossenen
Gruppierungen nicht mehr nur die andere
Seite verantwortlich gemacht. Man sieht vielmehr der Tatsache
ins Auge, daß die Erweckungen seit der Jahrhundertwende
an den evangelikalen Gruppen vorübergegangen sind
und das anderenorts urchristliche Charismen der Gemeinde
neu in Erscheinung treten. Auch das Zungenreden wird als
solche Gabe anerkannt, wenn ihm auch zu Recht der Absolut-
heitsanspruch verweigert wird, den es oftmals in charismatischen
Kreisen als angeblicher Erweis der Geistestaufe bekommen
hat. Sogar ein Mann wie Jonathan Paul wird sehr zurückhaltend
und gerecht beurteilt. Es wird ihm bescheinigt, daß
er „die Zungenrede nicht als das Zeichen der Geistestaufc, sondern
als eine Möglichkeit bezeichnet", und seine auch in neueren
Monographien angegriffene Lehre vom reinen Herzen
wird hier nur vorsichtig umschrieben als Streben „nach völliger
Erlösung und dem .ununterbrochenen Bleiben in Jesus'".
So wird der Schmerz über die Trennung in einer legitimen
Weise wachgehalten, ja, es werden Ansätze für Brücken gezeigt
, die vielleicht einmal über den Riß geschlagen werden
können.

Um die Weite und Brauchbarkeit des Lexikons zu unterstreichen
, sei noch auf ein paar Informationen hingewiesen, die
dem Rez. bisher unbekannt waren oder die er doch gerade in
diesem Buch nicht erwartet hat. Sie haben natürlich nur Bei-
spiclcharakter! So erfährt man (bei „Andacht"), daß das Händefalten
einem germanischen Gefolgschaftsbrauch entstammt,
daß es einen „Offenen Abend Stuttgart" gibt mit vierzehntägig
400 bis 1 000 Besuchern, daß die Orthodoxie die „schönste
Frucht der reformatorischen Lehre", die Hausandacht, gestärkt
habe, man erfährt, was ein „Randsiedler", was die „Curricu-
lum-Thcorie" im Religionsunterricht, was die „Theologie der
Revolution" ist, daß „Sakrament" ursprünglich eine Geldsumme
bezeichnete, daß man sich fragen muß, ob nicht „die Barriere
des Bibelprogramms für einen fernstehenden Schulkameraden
zu hoch ist" (bei „Schülerarbeit") und daß Basketball
und Volleyball eine Erfindung des CVJM ist.

Das Lexikon trägt seinen Namen „Evangelisches Gemeindclexikon
" zu Recht. Möge es auch Zugang zu den Gemeinden
finden.

Dresden Dietrich Mendt

Anstöße. Arbeitsmappe für Gesprächsrunden und Gemeinde-
seminare. Hrsg. vom Sekretariat des Bundes der Evangelischen
Kirchen in der DDR. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
1979. 55 S. 8°. M 2,-.

Biscr, Eugen: Der schwierige Weg. Zum Problem der religiösen
Sprach- und Kommunikationsbarrieren (StZ 104, 1979 S. 651-
664).