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1980

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 7

514

(erstmalig) übersetzt worden sind. Sie geben, auch mit ihrer
ganzen Geschichte, einen nicht untypischen Einblick in einen
Sektor der griechischen Literatur- und Geistesgeschichte, der
für das Verständnis der Entstehung und Ausbreitung christlicher
Gemeinden in der griechischsprechenden Welt kaum
hoch genug eingeschätzt werden kann.

Die Ausgabe folgt im griechischen Text fast völlig O. Hense,
Teletis reliquiae, Leipzig 21909 (geht seinerseits zurück auf
Ioannis Stobaei Anthologicum, rec. C. Wachsmuth et O. Hense,
Berlin 1884—1912). Dieses Verfahren ist angesichts des Charakters
der Reihe und ihrer Zweckbestimmung berechtigt. Nur
überrascht dann um so mehr das Urteil, das O'Neil in der
Introduction zunächst über Hense und seinen Text fällt und
das in dem Satz gipfelt: „As things stand, one may almost say
that Hense wrote Teles" (XVIII), ein Urteil, das gleich auch
noch auf die ganze ältere klassische Philologie, speziell die
deutsche, ausgedehnt wird. Solche - unpassenden - abwertenden
Urteile über die klassische Philologie finden sich leider
auch sonst noch gelegentlich. Schlie51ich schreibt der Hrsg.
doch über die Ausgabe von Hense, sie sei den Umständen entsprechend
„an excellent edition" (XIX).

Man wünscht, daß diese Ausgabe auch Studenten der Theologie
dazu anregt, solche Texte seminaristisch zu lesen und
durchzuarbeiten.

Halle (Saale) Traugott Holtz

Schreiber, Alfred: Die Gemeinde in Korinth. Versuch einer
gruppendynamischen Betrachtung der Entwicklung der Gemeinde
von Korinth auf der Basis des ersten Korintherbrie-
fes. Münster/W.: Aschendorff [1977]. VI, 190 S. gr. 8" =
Neutestamentliche Abhandlgn, 12. Lw. DM 54,-.

Die Dissertation A. Schreibers gehört zu jenen neueren Arbeiten
, die sozialwissenschaftliche Methoden in die Exegese
einführen. Gegen derartige Arbeiten werden immer wieder
drei Einwände erhoben: Sie seien 1. in unverständlicher Terminologie
geschrieben, 2. methodisch fragwürdig und brächten
3. im Grunde nichts Neues. Keiner dieser Einwände trifft
diese Arbeit.

1. Sie ist verständlich geschrieben. Gruppentheoretische Gedanken
werden ausführlich dargestellt. Das Buch setzt keine
Vorkenntnisse voraus.

2. Die methodische Problematik einer Übertragung gruppentheoretischer
Überlegungen auf historische Phänomene wird
klar gesehen. Der gröfjte Teil der Arbeit wird darauf verwandt
nachzuweisen, daß die kor. Gemeinde eine Gruppe im Sinne
moderner Gruppentheorie war, d. h. daß sie Interaktion, Gruppenemotion
, Normen, Ziele und Rollenverteilung, Leitung und
Führung besaß- Erst aufgrund dieses Nachweises sieht sich der
Vf. berechtigt, gruppentheoretische Annahmen zur Deutung
des Gemeindelebens heranzuziehen. Diesen stark theoretischen
Teil (12—116) hätte man m. E. kürzen können. Entscheidend
ist nämlich der dritte Punkt (117 ff; 147-168):

3. Führt die Anwendung gruppentheoretischer Annahmen
zu neuen Erkenntnissen? Wirklich Neues enthält die Arbeit
Schreibers m. E. bei der psychoanalytisch inspirierten gruppendynamischen
Interpretation der Beziehung von Gemeinde
und Apostel. Die Abwesenheit des Apostels habe, vergleichbar
den Folgen eines Autoritätsentzugs in heute beobachtbaren
Gruppen, zunächst zur Idealisierung der Vatergestalt, dann —
als Reaktion auf den Vorbrief (IKor 5.9) — zur Revolte gegen
sie geführt, einer Revolte, bei der die Autorität der Vatergestalt
auf die Gruppe als ganze übertragen worden sei. Eine
Folge dieser Gruppenrevolte sei a) eine ungeheure Steigerung
des Selbstwertgefühls der Gruppe: der kor. Enthusiasmus, b)
eine Zunahme libidinöser Bindungen der Gruppenmitglieder
untereinander: das gesteigerte Interesse an sexuellen Fragen
IKor 7, c) ein Hervortreten von Untergruppierungen und eine
Auseinandersetzung um eine neue Autoritätsstruktur: der kor.
Parteienstreit. Die Vielfalt konkreter Gemeindeprobleme wird
damit auf eine gemeinsame Gruppensituation zurückgeführt —

ein gutes Argument gegen literarkritische Teilungshypothesen
(169-173).

Einige Bedenken gegen diese interessante Deutung der Vorgänge
in Korinth seien kurz skizziert:

1. Die Opposition gegen Paulus läfjt sich nicht ausschließlich
aus gruppenimmanenten Prozessen heraus erklären. Ohne die
Einwirkung von außen kommender konkurrierender Missionare
wäre die Entwicklung anders verlaufen. Die Parteienbildung
könnte weniger Reaktion auf den Führungsanspruch des Paulus
als auf den des Petrus bzw. seiner Anhänger sein. Das ist
kein grundsätzlicher Einwand: Von außen kommende Personen
gewinnen oft erst durch gruppenämmanente Prozesse an
Bedeutung.

2. Die Revolte gegen den Führer soll nach der zugrunde gelegten
Gruppentheorie Selbstwertgefühl und Solidarität der
Gruppe steigern (S. 120). Der kor. Enthusiasmus droht jedoch,
die Solidarität der Gruppe zu zerstören. Er hat individualistische
Züge. Er richtet sich nicht gegen Paulus. Vielmehr scheint
er sich auf paulinische Gedanken zu berufen bzw. an seine
Verkündigung anzuknüpfen.

3. Das erhöhte libidinöse Interesse der Gruppenmitgliedcr
aneinander läßt sich aus IKor 7 nur teilweise belegen. Einerseits
werden hier auch asketische Strömungen sichtbar (man
müßte sie psychoanalytisch als Reaktionsbildung interpretieren,
um die Theorie zu retten), andererseits richten sich sexuelle
Interessen auch auf Personen außerhalb der Gemeinde (IKor
6,12 ff).

4. Wenn man von einer Gruppenrevolte gegen den Apostel
spricht, so müßte man sie zwischen den 1. und 2. Kor datieren.
Der 2Kor wird leider gar nicht ausgewertet, obwohl gerade er
Zeuge eines stark affektiv geladenen dramatischen Verhältnisses
zwischen Apostel und Gemeinde ist.

Wichtig ist: A. Schreiber will keine exegetische Untersuchung
vorlegen, sondern „den Versuch einer Einordnung exegetischer
Ausagen durch gruppentheoretische Interpretation" (175). Sein
Versuch ist zu begrüßen. Die Methode ist gut, die oben skizzierte
Hypothese bestechend, aber ihre Überprüfung am historischen
Detail müßte gründlicher geschehen, Alternativen müßten
erwogen, das Quellenmaterial umfassender ausgewertet.
Einwände entkräftet werden. Zu wünschen wäre etwas mehr
hist.-krit. Exegese, etwas weniger Gruppentheorie. Zu wünschen
wäre aber auch, daß die in dieser Arbeit enthaltenen Anregungen
aufgegriffen werden. Denn die neutestamentliche
Wissenschaft hat Anregungen nötig, sonst wird sie steril.

St. Augustin Gerd Theifjen

Aus, Roger D.: Paul's Travel plans to Spain and the „Füll
Number of the Gcntiles" of Rom 11,25 (NovTest 21, 1979
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Birdsall, J. Neville: The Dialogue of Timothy and Aquila and
the Early Harmonistic Traditions (NovTest 22, 1980 S. 66-
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Blank, Reiner: Eine kritische Analyse der formgeschichtlichen
Arbeiten von M. Dibelius und R. Bultmann (Theol. Promotion
, Basel 1978).

Bolognesi, Pietro: Rilievi sulla genealogia di Gesie secondo
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Cavallin, H. C. C.: The False Teachers of 2Pt as Pseudo-
Prophets (NovTest 21, 1979 S. 253-270).

Corsani, Bruno: Hör tutto ciö che non c di fede, e peccato
(Protest. 34, 1979 S. 65-81).

Dupont, Jacques: La Question du Plan des Actes des Apötres
ä la lumiere d'un Texte des Lucien de Samosate (NovTest 21,
1979 S. 220-231.)

Elliott, J. K.: Temporal Augment in Verbs with Initial Diphthong
in the Greek New Testament (NovTest 22, 1980 S. 1-
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Fallon, Francis T.: The Gnostics: The Undominated Race

(NovTest 21, 1979 S. 271-288).
Fee, Gordon D.: A Text-Critical Look at the Synoptic Problem

(NovTest 22, 1980 S. 12-28).