Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1980

Spalte:

512-513

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Teles Cynicus, Teles (the cynic teacher) 1980

Rezensent:

Holtz, Traugott

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

511

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 7

512

gehaltenen Festlegung der Päpstlichen Bibelkommission vom
Mai 1907 mit der im Sinne des Vaticanum II gehaltenen Instruc-
tio „Mater Ecclesia" (40.42 Anm. 30) derselben Kommission
läuft parallel. Tovar nutzt alle die in dieser Instructio in Ziffer
714 bis 718 gegebenen Möglichkeiten (87 Anm. 11) und weiß
sich damit im Sinne seiner Kirche zu solchen Studien berechtigt
. Allerdings ist er bemüht, durch Zitate aus den Kirchenvätern
, den Scholastikern, den Konzilsbeschlüssen früher und
neuer Zeit sowie aus den Werken der Hl. Theresa (der spanischen
Nationalheiligen) einzelne Beobachtungen zu begründen
oder zu erhärten (215 f). Der kirchlich-dogmatische Gesamtrahmen
des Buches ist also unverkennbar (S. 80 Anm. 73;
186).

Jedoch ist Tovar nicht willens, alle Sätze des Vaticanum II
unbesehen hinzunehmen. Als Beispiel gelte seine Ablehnung
von Joh 19,25—27 als Grundlage mariologischer Dogmen
(225 f). In gleicher Freiheit argumentiert er andererseits auch
gegen Bultmann (158.125 Anm. 184) und C. H. Dodd (65 Anm.
45 u. ö.), der ihm sonst häufig Anregung gibt.

Tovar geht in seiner Arbeitsweise grundsätzlich vom Text
aus, „wie er ist" (260). Er erliegt nicht der Versuchung, eine
Quellenschrift zu rekonstruieren (87 Anm. 8), obschon er sehr
deutlich mit einer Überlieferung rechnet, die vor der Gesamtredaktion
des heutigen Textes liegt. Bemerkungen, wie etwa
die, daß Joh 12,27 f an falscher Stelle stehen, weil sie zum
Gebet in Gethsemane gehören oder die, Joh 19,25 sei schon
wegen der unterschiedlichen Nennung der Personen sichtlich
umgestellt (117), sind eine Ausnahme. Er lehnt auch die Eliminierung
der sakramentalen und eschatologischen Teile des gesamten
Evangelium ab, weil bereits die zu vermutende Grundschrift
sakramental und eschatologisch orientiert sei (125 Anm.
184). Die einzelnen Zeichen und Reden sind für ihn „historisch
richtig und tatsächlich", ihre Formulierung sei aber für und
durch den liturgischen Gebrauch erfolgt (221). Liturgie ist dabei
in einem sehr weiten Sinne als Beschreibung aller Tat und
Übung der Gemeinde verstanden.

Der 1. Teil des Buches (9—83) stellt die synoptischen und
johanneischen Texte von Passion und Auferstehung minutiös
nebeneinander. Durch den Vergleich von Satz zu Satz, ja von
Wort zu Wort, erschließt er, daß das JohEv. die Synoptiker nicht
gekannt und folglich nicht benutzt habe (71.145.235). Er bezieht
seine Folgerung auf das ganze JohEv., weil c. 18 bis 20
wegen der vielen „Gemeinsamkeiten" mit den Synoptikern aufschlußreich
seien, mehr als die anderen Kapitel. Diese unverkennbaren
Gemeinsamkeiten stammen nach Tovar aus einer
der Urgemeinde gemeinsamen Überlieferungen, die vielleicht
schon zu einer Niederschrift geringen Umfangs wurde (75),
wahrscheinlich ohne die Nennung des „leeren Grabes" (146
Anm. 279), hatte aber jedenfalls Passion und Auferstehung als
einen Komplex enthalten (262).

Der 2. Teil trennt den heutigen Text des JohEv. in eine
„Überlieferung" und eine „Redaktion". Das Urteil für jedes
Wort und jeden Satz beruht auf linguistischen, stilistischen und
vor allem christologischen Maßen (S. 119). Die Überlieferung
wird nicht näher präzisiert und heißt „vor-literarisch, vorevangelisch
, vor-synoptisch" (126 f). Sie geht auf die Predigt
des Zebedaiden Johannes zurück, der als „Zeuge" oder Gewährsmann
in Anspruch genommen wird. Der Verfasser dieser
ersten, kurzen Überlieferung ist unbekannt. Der Redaktor
(= Verfasser oder Evangelist) des heute vorliegenden Textes
ist ebenso ein Johannes, in Befolgung altkirchlicher Überlieferung
(S. 156 f). Er interpretiert „authentisch die Fakten, die
er aus der Überlieferung kennen lernt".

Der 3. Teil (173—257) untersucht nach christologischen Gesichtspunkten
die Zuordnung zu Überlieferung oder Redaktion.
Indiz der ersteren ist: Zitat aus dem AT oder alttestamentlicher
Zuschnitt (auch beim ego eimi), die Göttlichkeit und die Wirklichkeit
Jesu sowie der Titel „Herr" (S. 158; S. 159). Indiz der
Redaktion ist: Jesus ist der König, sein ist das „Reich", Passion
und Auferstehung werden als unteilbar Ganzes, nämlich als
„Weg zum Vater" verstanden. Damit will Tovar „das exegetische
Patt" zu Passion und Auferstehung überwinden helfen

(262). Einflüsse aus Mysterienkulten oder der Gnosis sind dem
Vf. undenkbar (237).

Die Überlieferung ist noch zur Glanzzeit des Tempels vor 66
geschrieben worden. Die Redaktion ist 20 Jahre jünger und
zeigt den Zuschnitt der Gemeinde nach der Trennung von der
Synagoge (201). Für Überlieferung wie Redaktion sind die
Ausbreitung des Glaubens, Paränese, Predigt, Katechese, Gedenktage
und vielleicht Wallfahrten Anlaß zur Niederschrift
gewesen. Nach Abschluß der Redaktion hat ein Anonymus das
Kap. 21 hinzugefügt und Änderungen eingebracht (z. B. 19,35
im Vergleich zu 21,24), die den Lieblingsjünger als Gewährsmann
und Zeugen nennen (120).

Man muß dankbar sehen, daß Tovar das gesamte Evangelium
vom Prolog an bis zum Nachtrag in einen festen Zusammenhang
gestellt hat. Freilich wird man kritisch fragen müssen
, ob seine Auskunft, im JohEv. sei keine Beziehung zu den
Synoptikern zu sehen, nicht überspitzt ist. Der Hinweis auf
eine allen vier Ew. gemeinsame Vorstufe der Überlieferung ist
zu vage, die Gemeinsamkeiten zu erklären. Ebenso sind die
zahlreichen symbolischen Deutungen im 3. Teil unnötig und
oft anfechtbar. Sie gehören nicht in eine Forschungsarbeit,
sondern könnten allenfalls Teil einer Geschichte der Forschung
oder Auslegung sein. Gelegentlich benutzt der Vf. im Bestreben
, das ganze JohEv. als ein Ganzes begreifbar zu machen,
das Vokabular der Vulgata. So bemerkt er nicht, daß er das
„Sehen" von 1,14 mit dem von 20,25 gleichsetzt. Ein Buch, das
alle Rätsel des JohEv. löst, wird nicht in allen seinen Folgerungen
bejaht werden können.

Der Text, besonders der in den diffizilen Anmerkungen, ist
äußerst sorgfältig hergestellt worden. Sogar die vielen deutschen
Zitate sind bis auf Kleinigkeiten fehlerlos. Ein umfangreiches
Literaturverzeichnis sowie ein Namen-Register sind beigefügt
. Leider fehlen in spanischen Veröffentlichungen immer
wieder einzelne, notwendige Register. Hier fehlen ein Sach-
und vor allem ein Bibelstellenregister. Dadurch wird das Lesen
des Buches, abgesehen von der Sprachbarriere, eine harte Aufgabe
. Gleichwohl erlaubt sich der Rez. die Frage, ob eine
Übersetzung in die englische oder deutsche Sprache erfolgen
könnte. Ein weiterer Leserkreis wird dafür dankbar sein.

Bremen Walter Nagel

O'Neil, Edward N.: Teles (The Cynic Teacher). Missoula, Montana
: Scholars Press for The Society of Biblical Literature
[1977]. XXV, 97 S. gr. 8° = Society of Biblical Literature,
Texts and Translations, 11. Graeco-Roman Religion Series, 3.

Die Ausgabe bietet die erhaltenen Texte des Kynikers Teles.
Sie sind nur als Exzerpte im Werk des Stobäus überliefert, der
sie seinerseits auch nicht direkt dem Werk des Autors verdankt
, sondern der Epitome eines sonst unbekannten Theodo-
rus. Der Hrsg. weist auf die Möglichkeit hin, daß noch weitere
unbekannte Zwischenglieder eingeschaltet waren.

Teles selbst ist nur soweit bekannt, wie aus den Texten
unter seinem Namen über ihn zu erkennen ist. Er gehört etwa
in die Mitte des 3. Jh. v. Chr. O'Neil variiert die herkömmliche
Ansicht über seine Herkunft aus Megara, indem er ihn für
einen Athener hält, der nur zeitweise — im (freiwilligen?) Exil
— in Megara lebte. Jedenfalls war er Kyniker und jedenfalls
gehörte er zu den Wanderpredigern und Pädagogen, keinesfalls
zur geistigen Oberschicht der griechischen Philosophie.

Gerade das Letzte macht ihn nach O'Neil — berechtigterweise
— interessant. Das ist er auch wegen der zahlreichen Zitate
und Anspielungen auf andere Autoren, die sich in den Exzerpten
finden. Schließlich und vor allem aber ist er es deswegen,
weil diese Texte das früheste erhaltene Beispiel für die hernach
— auch für das Neue Testament und die altchristliche Literatur
— so wichtige Stilform der Diatribe bieten. Aus den genannten
Gründen lohnt es in jedem Fall, sich mit ihnen zu
beschäftigen und es ist daher zu begrüßen, daß sie in der vorliegenden
Weise mit einer instruktiven Einleitung und einem
kommentierenden Anmerkungsteil neu herausgegeben und