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Ausgabe:

1980

Spalte:

503-504

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Ulrich

Titel/Untertitel:

Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen Diasporajudentum 1980

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Seite 1

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ÖO.'i

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 7

51)4

tieren. De J. legt seiner Edition eine Texttheorie zugrunde, die
einer seiner Mitarbeiter, H. J. de Jongc, aufgrund seiner eigenen
Grundthese (The Testaments of the Twelve Patriarchs,
(1953) erarbeitete. Ein übersichtlich gestaltetes Stemma S. XXXIII
zeigt den Kontrast zu Charles S. XXXIX. Danach wird Familie
I (Mss. bk) stark favorisiert, hingegen die Menge der anderen
Mss., in mehrere Untergruppen gegliedert, als Familie II mit
deutlich minderer Qualität versehen beurteilt. Zwar gesteht
de J. nunmehr der inneren Textkritik das letzte Wort zu
(XXXIX), aber das Stemma wirkt doch massiv auf die editorische
Arbeit ein. Sicherlich, im Unterschied zur editio minima
kann der kundige Leser sich nun sein eigenes textkritisches
Urteil bilden — und diese Ermöglichung durch den ausgewählten
Apparat ist dankenswert —, aber dies hat auch seine Grenzen
.

Man kann sich das z. B. an TestSeb 6—8 klarmachen. Bei
Charles findet man den Text TestSeb 6,4-6.7 b; 7,1-8,3.6 b in
eckigen Klammern und dazu die Randbemerkung, dafj nur bdg
diesen Langtext enthalten. Damit ist aus Charles ersichtlich:
Von allen Charles bekannten Versionen und Mss. haben nur
die ausdrücklich als Gruppe gekennzeichneten Mss. bdg diesen
Text. Für ihn stellt er eine Erweiterung dar. De J. läßt den
Langtext ursprünglich sein und gibt im Apparat an, dafj cafchij
den Text nicht vertreten bzw. ihn auslassen. Er verschweigt,
dafj m. W. alle bis heute bekannten Versionen — also nicht
nur die meisten griechischen Texte - den Kurztext bieten
und übcrläfjt es auch dem Leser, erst indirekt zu erschlicfjen,
dafj nur bdg — für ihn keine Gruppe — den Langtext enthalten
. Die Mss. bdg, die auch sonst gar nicht so selten zusammengehen
, findet man im übrigen im Stemma S. XXXIII so
voneinander abgehoben, dafj dieses signifikante Zusammengehen
keinen Ausdruck findet. Nun kann man ferner vom Inhalt
her erkennen, dafj der bdg-Text eine sekundäre Erweiterung
ist, weil er vorgegebene Zusammenhänge unterbricht.
Dann aber ist der durchweg von de J. favorisierte b-Text hier
sekundär. Bei Charles sieht man das nicht nur vollständiger
und klarer, sondern auch im Ergebnis richtig. Dies ist nur ein
— freilich nicht ganz unbedeutendes — Excmpel und darf nicht
gleich zu einem verallgemeinernden Urteil führen. Trotz solcher
Beobachtungen bleibt die neue Textedition ein Meilenstein
nach vorn. Aber zeigt sich nicht erneut: Charles ist auch hier
immer noch nicht ganz entbehrlich?

Kurzum: Wer an den Test XII arbeiten will, muß die neue
Edition benutzen. Sie hat ihren Wert in der geduldigen Aufarbeitung
aller bekannten griechischen Mss. Sie ist befrachtet
mit einer eigenen textkritischen Theorie, die sich hinterfragen
läfjt. Sie zeigt die immer noch grofjen Lücken bei der Kenntnis
der anderen Versionen, was ihr angesichts des Forschungsstandes
nicht anzulasten ist. Die Arbeit mit ihr führt aber
hier und da auch dazu, dafj man immer noch auf Charles zurückgreifen
muß.

Kiel Jürgen Becker

Fischer, Ulrich: Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen
Diasporajudentum. Berlin - New York: de Gruyter
1978. VIII, 272 S. gr. 8° = Beiheft zur Zeitschrift für die
neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren
Kirche. 44. Lw. DM 62,-.

Um zu einer Eingrenzung des Stoffes zu kommen, hat F.
zunächst die erkennbar oder möglicherweise in Palästina entstandene
Literatur des Frühjudentums abgetrennt (5—8), dann
aus der des Judentums der westlichen Diaspora (so F. betont,
s. 2) die für sein Thema nicht (oder kaum) interessanten
Schriften ausgesondert (13—35), ebenso die zu diesem bereits
eingehend behandelten: Sap, test lob, or Sib 3, schließlich die
übrigen Bücher der or Sib sowie test XII, u. zw. auf Grund der
besonderen für beide je insgesamt offenen Probleme (9—11).
Für die Befragung der verbleibenden Texte unterscheidet er
„zwischen ,Eschatologie' im eigentlichen Sinn (kosmologische
und nationaljüdische Endzeiterwartung) und .(individueller)

Jenseitserwartung'" (3), Unter der Überschrift „Eschatologischc
Vergeltungslehre und individuelle Jenseitserwartung ..." behandelt
er in Teil 2 ape Hen sl B (2Hen, Kurzform), ape Bar
gr (4 Bar), 4Makk, Jos As (37-123). In 3 ist Thema der Auferstehungsglaube
bei Ps-Phokyl und Jos bell 3,362-382; 2,154-
158.153. In 4 geht es um „Das Problem einer nationalen Eschatologie
bei" Josephus und Philon (Philo praem 79-172), in 5
um „Jenseitserwartungen auf Sepulkralinschriften und in der
Sepulkralkunst des Diasporajudentums" (215-245). - Für die
Apokryphen und Pseudepigraphen werden die Einleitungs-
fragen erörtert, zumal im Blick auf die Ursprünglichkeit bestimmter
Fassungen oder Partien. 1

Zumal in 2 spielt neben den Stichwörtern der Überschrift
dieses Teils u. a. das der Anthropologie eine Rolle, zu ape Hen
sl, die besonders eingehend analysiert wird (37—70), auch das
des (zeitlich/räumlichen) „Äonendualismus". Für 4Makk wird
aufgezeigt, dafj hier nicht die Vorstellung der Unsterblichkeit
der Seele vorausgesetzt ist, entsprechend für Jos As. Fraglich
ist mir dagegen, ob Aseneth hier als das himmlische Jerusalem
verstanden werden soll (115-123).- Ein Deutungsversuch zu
dem schwierigen Abschnitt Ps-Phokyl 103-117 ist in jedem
Fall verdienstlich. - Daß in bell 2,163 die pharisäische Auferstehungserwartung
in die Seelcnwanderung umgesetzt sei und
darin die eigentliche Überzeugung des Diasporajuden Josephus
wiedergegeben werde (155), leuchtet mir nicht ein. Ebensowenig
scheint mir die Begründung dafür plausibel zu sein, daß
Josephus es vermeidet, die Heilserwartung für Israel auszuführen
(175-183).:1 - Im Blick auf Philon übersieht F. in
mehrfacher Hinsicht, daß die sinnbildliche Deutung einer biblischen
Aussage keineswegs ohne weiteres ihr literales Verständnis
ausschließt; beide können sehr wohl nebeneinander herlaufen
(so häufig z. B. in qu Gen). Philons Aussagen über die
Proselyten in praem sind nicht mit F. im Sinn einer Verwischung
der Grenzen zur Judenschaft zu verstehen; die Proselyten
werden vielmehr in die Judenschaft aufgenommen und
dadurch von der Heidenschaft ausgegrenzt (s. dazu die betonten
Ausführungen spec 1,52; 4,178; virt 102.214). - Der Überblick
über die Aussagen der Sepulkralkunst ist sehr knapp gehalten
. Das Material aus den Grabinschriften ist gewinnbringend
verarbeitet, wenngleich auch hier im einzelnen z. T.
etv/as anders akzentuiert werden könnte.

Die Vielfalt der Auskünfte der Quellen ermöglicht es dem
Vf. immerhin, abschließend zu sagen, daß „für fast alle . . .
untersuchten Zeugnisse . . . das gänzliche Fehlen apokalyptisch-
kosmologischer Zukunftserwartungen" charakteristisch ist (255),
daß andererseits die Erwartung einer postmortalen Vergeltung
„nach dem Zeugnis der meisten . . . Quellen weithin zum
Grundbestand jüdischen Glaubens in der westlichen Diaspora
gehört zu haben" scheint (257). Der erste Satz wäre freilich
differenzierter zu fassen, wenn die Zurückhaltung Josephus'
und Philons bezüglich der Zukunftshoffnung für ihr Volk
positiver interpretiert worden wäre und wenn die deutlich
jüdischen Partien der or Sib in die Untersuchung einbezogen
würden. Die stoffliche Einschränkung des Arbeitsfeldes (s. o.)
gab dem Vf. jedenfalls Raum für eine genauere Untersuchung
wichtiger Texte zum Thema, durch die in dieser Heidelberger
Dissertation ein anregender (die angedeuteten Anfragen zu
Arbeitsweise und Ergebnissen des Vf. mögen das belegen) und
weiterführender Beitrag zum Verständnis der Erwartungen
des Judentums der westlichen Diaspora vor allem im Blick auf
das Geschick des Menschen nach dem Tod und die damit zusammenhängenden
Vorstellungen geleistet wurde.

Halle (Saale) Gerhard Delling

1 Dem Leser, der nicht Fachmann ist, sollten Angaben zur Literatur entschlüsselt
werden: Titel von Festschriften werden nicht genannt (.FS Abrahams
1927" 244 A. 112 ist überdies eine Gedenkschrift) : ein Abkürzungsverzeichni-.
fehlt (MAMA 227 A. 47, ASAE 237 A. 81, usw.; Charles, AP u. ä.) ; bei Diss.
masch. wird der Ort nicht angegeben, usf.

2 Vgl. vielmehr Christoph Burchard, Untersuchungen zu Joseph und Aseneth,
Tübingen 1965, 117-120.

■1 Vgl. dagegen z. B. Martin Hengel, Die Zeloten, Leiden !1976, 245.297.392;
M. de Jonge, Josephus und die Zukunftserwartungen seines Volkes, in i Jose-
phus-Studien, Otto Michel zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974, 205-219, dort
211 f.