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Ausgabe:

1980

Spalte:

475-478

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Stahl, Rainer

Titel/Untertitel:

Die Überlieferungsgeschichte des hebräischen Bibeltextes als Problem der Textkritik - Ein Beitrag zu gegenwärtig vorliegenden textgeschichtlichen Hypothesen und zur Frage nach dem Verhältnis von Text-

Rezensent:

Stahl, Rainer

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

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teter Gestalt („Midrasch") vorlag. So kam es zur Annäherung
von Q.- und T.-Kr., ohne daß das grundsätzliche Problem
(literarische Q. und historische Glaubwürdigkeit einzelner
Nachrichten) im 19. Jh. gelöst wurde. Neben dem
beharrlichen Hinweis auf die theologische Relevanz des
Historizitätsproblems wurde der heuristische Wert der Q.Hypothesen
auch dort festgestellt, wo das textgeschichtliche
Problem (Gestalt der Sam/Rg-Vorlage der Chr) eine quellenkritische
Beantwortung (Midrasch als Bearbeitung von
Sam/Rg) fand. Es wird reklamiert, daß die Prophetentexte
der Chr in der Q.- und T.-Diskussion als Belegmaterial eine
große Rolle spielten, ohne daß ihre hermeneutische Funktion
für die Beantwortung der Frage nach dem Sinn und
Ziel der chron Geschichtsdarstellung beachtet wurde.

Daher werden im 2. Teil (112—328) Gesichtspunkte für eine
Kritik der Chr-Interpretation gewonnen, indem die Ergebnisse
der Einzelexegese des 19. Jh. am Beispiel der Prophetentexte
des chrGW untersucht werden. Der Mißerfolg der
Q.-Kr. für die Chr findet eine Begründung in der inadäquaten
Widerspiegelung des literarkritischen Befundes. Die
Trennung des Sondergutes von der Parallelüberlieferung
erfolgte auf der literarisch falschen Ebene (durch den direkten
Vergleich mit Sam/Rg) ohne Beachtung der Abgrenzungen
kleiner Einheiten und fehlender Spannungen. Die
quellenhypothetische Erklärung gewisser Spannungen und
Dubletten öffnete jedoch den Weg zur Beobachtung einer
nachchron Redaktion (bes. „levitische" Texte). Es liegt
nahe, das Sonderquellenproblem des 19. Jh. z. T. in der
Weise zu lösen, daß der Midrasch in den Chron, der vormalige
Chron in die nachchron Redaktion transportiert werden
. Das Einzelmaterial zeigt aber auch, daß die Bestimmung
der Tendenz des chrGW als levitisch oder antisama-
ritisch unzutreffend ist bzw. einer Präzisierung bedarf. Die
Redaktions- und Kompositionskritik, welche die Gestalt
der Sam/Rg-Vorlage nicht kennt, kann arbeitshypothetisch
so vorgehen, daß sie diejenigen Abweichungen der Chr von
Sam/Rg für das theologische Ziel des Chron auswertet, die
nicht isoliert dastehen, sondern konzeptionell wichtig wurden
oder sich durch sachliche Wiederaufnahme als Leitgedanken
erkennen lassen. Auch wenn die Abweichungen
nicht vom Chron verursacht wurden, kann dann die Textauswahl
gewertet werden. Die Auswertung der Auslegung
der genannten Texte führte uns auf 2 Grundzüge chron
Geschichtstheologie. Der eine besteht in der steten Begleitung
der judäischen Geschichte bis über die Katastrophe
des Exils hinaus durch eine warnende und mahnende Pro-
phetie, die Geschichte auf der Basis des mosaischen Gesetzes
deutet. Gehorsam oder Ungehorsam gegenüber dem prophetischen
Wort setzen Zäsuren im Leben des Königs wie des
Volkes. Der 2. Grundzug ist die Hochschätzung Davids um
der an seine Person gebundenen Verheißungen willen. Die
Dynastiezusage wird in Richtung auf ein Friedenskönigtum
(Modell: Salomo) akzentuiert und an die Existenz des Jerusalemer
Tempels gebunden.

Eine umfangreiche, auch das 20. Jh. umfassende Bibliographie
(348-532) und der Anmerkungsteil (533-793) beschließen
die Arbeit.

Stahl, Rainer: Die Überlieferungsgeschichte des hebräischen
Bibeltextes als Problem der Textkritik — Ein Beitrag zu
gegenwärtig vorliegenden textgeschichtlichen Hypothesen
und zur Frage nach dem Verhältnis von Text- und Lite-
rarkritik. Diss. Jena 1978. XIX, 202 S.

Das Anliegen der vorliegenden Untersuchung ist die Diskussion
und die Bestimmung des Zusammenhangs, in dem
textkritische Regeln angewendet werden müssen. Die Formulierung
des Titels kennzeichnet sowohl diesen grundlegenden
Zusammenhang als auch den damit erreichten
thematischen Umfang: Die Frage nach der Geschichte des
Textes ist geeignet, bis zur Differenzierung der Textkritik
von der Literarkritik Kriterien zu bieten.

Eine Einleitung (1-5) klärt die Möglichkeit der gestellten
Aufgabe, die mit der Frage nach Methodischem zur alttesta-
mentlichen Textkritik angeregt worden war, und erarbeitet
einen durch zwei Aspekte ausgefüllten Rahmen: Alttesta-
mentliche Textkritik arbeitet sowohl im Sinne eines „historischen
Aspekts", der Textgeschichte rekonstruiert, als auch
im Sinne eines „hermeneutischen Aspekts" ', der Variantenkritik
betreibt. Damit wird versucht, Textgeschichte und
Variantenkritik in ein innertextkritisches systematisches
Verhältnis zu setzen.2 Diese Vorüberlegungen führten zur
Aufteilung der Arbeit in zwei Teile, von denen der erste den
„historischen" und der zweite den „hermeneutischen
Aspekt" textkritischer Arbeit zum Gegenstand hat.

Der erste Teil (6—160) erarbeitet eingangs in einer Forschungsgeschichte
(6—24) und einer eigenen Darstellung (25
bis 73) die beiden hauptsächlichsten gegenwärtigen textgeschichtlichen
Hypothesen: „Die „Vulgärtext-Theorie" von
Paul E. Kahle und die „Lokaltext-Theorie" von F. M.
Cross Jr.

Basierend auf Untersuchungen zum Pentateuchtext rekonstruiert
Paul E. Kahle eine Textgeschichte, deren wesentlichstes
Kennzeichen die Unterscheidung zwischen
einem „Vulgärtext", d. h. einem noch nicht standardisierten
Text, und einem Standardtext ist. Wertmäßig — gemessen
daran, wie weit die einzelnen Zeugen in den „Vulgärtext"
zurückreichen — ergibt sich dabei die Reihenfolge Masore-
tischer Text, Samaritanus und Septuaginta. Ein Exkurs über
„Möglichkeit und Tragweite der Differenzierung zwischen
einem ,vormasoretischen' und einem ,masoretischen' Text"
bestimmt im Anschluß an die Arbeiten von Paul E. Kahle
als Kriterium für die Definition als vormasoretisch/maso-
retisch Konsonantentext und Ausspracheüberlieferung. Damit
ist in Rechnung gestellt, daß die Frage nach vormasoreti-
schem oder masoretischem Text nicht nur interne Unterschiede
betrifft — eben zwischen masoretisch = kanonisch
und vormasoretisch —, sondern zugleich die Abgrenzung von
anderen Texttraditionen versucht: In Auswertung der
Funde von Qumran wurde im Rahmen der „Vulgärtext-
Theorie" die Existenz verschiedener Textstränge postuliert
(für den Pentateuch drei und für die Nebiim zwei).

Demgegenüber fußt die „Lokaltext-Theorie" von F. M.
Cross Jr. auf Erkenntnissen, die einzelne Handschriften zu
biblischen Büchern aus Höhle 4 von Qumran ermöglichten.
Weil die Texte dieser Höhle noch nicht ediert wurden, sind
— sozusagen als Anhang zum Referat der textgeschichtlichen
Hypothese von F. M. Cross Jr. — die Handschriften 4QEx=»,
4QExo, 4QDTQ, 4QSama, 4QSamt> und 4QJer& teilweise
eigens vorgestellt worden. Aus diesen Texten wird von
F. M. Cross Jr. ein Geschichtsbild erarbeitet, nach dem sich
der alttestamentliche Bibeltext in drei großen Traditionen —
als ägyptischer, palästinischer und babylonischer Text —
entwickelt habe. Septuaginta ist hier das Endstadium der
ägyptischen Tradition, Samaritanus lediglich eine späte Abspaltung
von der palästinischen Tradition und der Masore-
tische Text der Endpunkt einer Geschichte der palästinischen
mit der babylonischen Tradition.

Schon die unterschiedliche Bewertung der einzelnen Textzeugen
forderte die Diskussion dieser beiden Hypothesen
an Hand eines Textes. Diese geschah bei grundlegender Anerkennung
der Tatsache, daß textgeschichtliche Hypothesen
schon die Verallgemeinerung von Erkenntnissen darstellen,
die aus dem Material der Textkritik gewonnen wurden.
(Hatte doch schon die Darstellung der textgeschichtlichen
Hypothesen von Paul E. Kahle und F. M. Cross Jr. die jeweilige
Abhängigkeit vom zugrundeliegenden Textmaterial
deutlich werden lassen!)

An die darstellenden Abschnitte wurde deshalb eine Textuntersuchung
zu llQPsa3 angeschlossen, die die Berechtigung
vorliegender textgeschichtlicher Hypothesen und deren
Verhältnis zueinander erfragte (74—154). Nach der Erschließung
der Geschichte jedes einzelnen Psalms und jeder einzelnen
Dichtung dieser Rolle machte sich eine genauere Dis-