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Ausgabe:

1980

Spalte:

471-474

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Benedict, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Internationalismus und Ökumene 1980

Rezensent:

Bassarak, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

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als solcher und ihre unbekümmerte Identifikation mit der
geschichtlichen Stunde von heute" (77), überzeugen ebensowenig
wie die Behauptung, Schwarze Theologie zeige u. a.
„in der Fixierung auf die eigene Not als dem Kardinalproblem
der Menschheit" ihre Fragwürdigkeit (83). In der
Tat geht es hier eben nicht um irgendeine Not neben vielen
anderen, sondern um das politisch-gesellschaftliche Kardinalproblem
der Gegenwart, nur daß es für Schwarze in
noch verschärfter Form besteht: um die Überwindung der
alten, durch und durch ungerechten Gesellschaftsformation.

Vf. befürchtet ferner, „daß die Schöpfungstheologie, die
hier entsteht, in die Nähe einer Naturreligion gerät" (90).
„Göttliches und Welthaftes gehen leicht ineinander über"
(91). Daran mag etwas Richtiges sein. Dennoch ist es schwer
vorstellbar, daß einer Theologie, deren zentrales Thema
„Gerechtigkeit" ist, die „ .forensische' Struktur des Gott-
Mensch-Verhältnisses" fehlen, sie also nichts davon wissen
sollte, „daß für biblisches Denken der Mensch Gott gegenüber
stets in Verantwortungsdistanz steht" (ebd.). Und daß
„ein radikaler Messianismus in Verbindung mit vorchristlichen
oder unchristlichen Gottesvorstellungen" droht
(95), trifft auf die Masse der schwarzen Christen ebenfalls
nicht zu, da sie ihr politisches Engagement mit echter biblischer
Frömmigkeit, nicht selten geradezu „evangelikalen"
Typs, zu verbinden weiß.

Das letzte, kurze Kapitel unterstreicht, daß der Tenor des
Buches nach dem Willen des Vf. nicht die Einwände gegen
die Schwarze Theologie, sondern ihre Bejahung oder zumindest
das Offensein für sie sein soll. Dabei wird als Hintergrund
dieser Einstellung ein christlich-universalistischer
Optimismus erkennbar. Ob dieser berechtigt ist, muß dahingestellt
bleiben, denn sollte die Zukunft in der Tat „ Regionale
', unter Umständen sogar kontinentale' Christentümer"
bringen (106), dann wird man sie aus ökumenischer Perspektive
sicher nicht nach Analogie der alten „branch"-Theorie
oder auch des neuen Schlagworts von den „reconciled diver-
sities" zu schöner Harmonie vereinigen können. Was speziell
die Schwarze Theologie betrifft, so ist sie Teilerscheinung
der großen Systemauseinandersetzung unserer Epoche.
Sie kann gar nicht anders, als an der Härte des hier bestehenden
Gegensatzes teilzuhaben, also „einseitige" Positionen
zu beziehen, und kann beanspruchen, daß sie in solcher
„Parteilichkeit" akzeptiert wird und die Ökumene sich als
fähig erweist, die damit gegebene Spannung auszuhalten.

Die weiße Christenheit ist auf jeden Fall gut beraten,
wenn sie sich von der Schwarzen Theologie rechtzeitig „herausfordern
" läßt, das Gespräch mit ihr sucht und Fragen
an sie richtet. Daß Vf. dies alles tut und seine Hörer und
Leser ermutigen möchte (5), sich ihrerseits daran zu beteiligen
, ist in hohem Maße verdienstvoll. Wo immer freilich
Dialog und Frage der Schwarzen Theologie ungebeten zu
Hilfe kommen und eine Art Mäeutik für ihre Weiterentwicklung
darstellen wollen, werden sie mehr zur Abgrenzung
als zum Brückenschlag führen: Diese Art theologischer
„Proexistenz" wird mit Recht als Paternalismus empfunden
und darum abgelehnt. Da Vf. auf Bangkok verweist, sei abschließend
daran erinnert, daß der den Weißen dort gegebene
Rat lautete, sie sollten doch endlich lernen, einmal gar
nichts anderes zu tun als „zu hören, zu hören, zu hören!".

Leipzig Siegfried Krügel

Benedict, Hans-Jürgen: Internationalismus und Ökumene.
Probleme praktizierter Solidarität. Stuttgart—Berlin—
Köln-Mainz: Kohlhammer [1975]. 116 S. kl. 8° = Urban-
Taschenbücher, 610. T-Reihe. Kart. DM 12,-.

In engagierter Weise diskutiert B. „Probleme praktizierter
Solidarität". (Untertitel) Ausgehend von der Analyse der
beiden Berichte an den „Club of Rome" („Die Grenzen des
Wachstums" und „Menschheit am Wendepunkt") stellt er
die Frage: „Welche internationalen Kräfte sind in der Lage,

größere soziale Gerechtigkeit in weltweitem Maßstab herzustellen
bzw. dazu beizutragen?" (9) und überprüft sie an
„zwei Bewegungen mit universalem Anspruch": Sozialismus
und Christentum. „Die sozialistische Arbeiterbewegung
hatte von Anfang an die internationale Solidarität auf ihre
Fahnen geschrieben ... Das macht eine (erg.: kritische) Darstellung
des sozialistischen Internationalismus nötig", zumal
„der Marxismus in Gestalt kommunistischer Staaten die
Möglichkeit hat, der Solidarität Nachdruck zu verleihen."
Demgegenüber „kann das Christentum... nur als eine von
vielen machtlosen nichtregierungsamtlichen internationalen
Organisationen... agieren". B. skizziert kurz die Geschichte
des Christentums, beginnend mit „Jesu Antizipation" des
Reiches des Friedens „in der tätigen Solidarität mit den
Elenden und Verachteten am Rande der Gesellschaft", in
der paulinischen Verkündigung, „die dem Universalismus
n hellenistischer Terminologie Ausdruck verlieh", weiterwirkend
, bis sich „dieser Universalismus zu einem kirchlichen
Imperialismus" verkehrte, als das Christentum Staatsreligion
wurden Das machte die Kirchengeschichte zu einem
„ .Mischmasch aus Irrtum und Gewalt' (Goethe)" (10). Nach
dem I. Weltkrieg — so B. — „besannen sich die Kirchen auf
den frühchristlichen Internationalismus... In einem mühsamen
und langwierigen Prozeß haben sich die universalen
Prinzipien des Friedens und der Gerechtigkeit in den Kirchen
wieder Geltung verschafft." Das sei untrennbar mit der
ökumenischen Bewegung verbunden. Allerdings sei das parteiliche
Engagement für die Armen und Unterdrückten nicht
unumstritten. B. streitet dafür, daß in der BRD sowohl
kirchliche als auch säkulare — zumindest kleine — Solidaritätsaktionen
(„trotz Angst und Konkurrenz") Zustandekommen
möchten.

Drei Instrumentarien, die ihre Wurzeln im 19. Jh. haben,
fragt B. auf ihre heutigen Möglichkeiten für Weltinnenpolitik
ab: Die UNO, die internationale Protest- und Friedensbewegung
, die multinationalen Unternehmen. Ein schneller
Blick auf das 19. Jh. führt zu dem Facit: „Marx hat die zerstörerischen
Wirkungen dieses ökonomischen Internationalismus
durchaus gesehen ... Marx war mit dieser Beschreibung
seiner Zeit weit voraus. Seine kühnen Prognosen werden
erst heute, im Zeitalter der multinationalen Konzerne,
volle Wirklichkeit... Es macht nachdenklich genug: Obwohl
große Teile der Erde kommunistisch geworden sind,
konnte die Herrschaft des internationalen Kapitalismus
nicht gebrochen werden." (18f.). Dazu liefert B. zwei UNO-
Beispiele:

a) Friedenssicherung. Nach Feststellungen wie: „Das kollektive
Sicherheitssystem der UNO geht von einer realpolitischen
Einschätzung der internationalen Machtverteilung
aus" und: „Die Vereinigten Staaten, die im Sicherheitsrat
wie in der Vollversammlung jederzeit mühelos eine
Mehrheit für sich mobilisieren konnten, versuchten die UNO
ihren Zielen dienstbar zu machen" folgt das Korea-Beispiel
1950. Doch dann fragt B.: „Wie sieht die Bilanz aus?" und
kommt zu vielleicht nicht überwältigenden Zahlen, aber
doch zu eindrucksvollen Ergebnissen, wenn man bedenkt,
wie die Sache ohne UNO aussähe: „55 von 108 maßgeblichen
Konflikten zwischen 1945 und 1965 sind der UNO ... zur Beilegung
übertragen worden... In 37 Konflikten... gab es
offene kriegerische Handlungen; in zwölf Fällen gelang es
ihr, einen Waffenstillstand auszuhandeln oder das völlige
Ende der Feindseligkeiten zustandezubringen; in fünf weiteren
Fällen ... scheiterte (sie)." (21). „Daß zwischenstaatliche
Konflikte, Militärputsche, Bürgerkriege in der Nachkriegszeit
zu 90 Prozent in der Dritten Welt stattfanden, ist
nicht einfach das Ergebnis der Unerfahrenheit und Unvernunft
junger Nationen. Entscheidende Ursache ist vielmehr
die von den USA begonnene Verlagerung des Ost-West-
Konflikts in die Dritte Welt durch Bekämpfung nationaler
Befreiungsbewegungen ..." (22).

b) Entwicklungspolitik. Hier zeichnet B. die Leidensgeschichte
von UNCTAD nach und kritisiert die Entwicklungs-