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Ausgabe:

1980

Spalte:

464-465

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Tworuschka, Udo

Titel/Untertitel:

Zilleßen, Dietrich [Hrsg.], Thema Weltreligion 1980

Rezensent:

Neidhart, Walter

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463

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

464

zahlr. Abb. 8° = Handbücherei für den Religionsunterricht
, 20. Kart. DM 38,-.

Die Problematik der Dritten Welt ist in Zeitungen, Zeitschriften
und auf kirchlichen Tagungen eins der bevorzugten
Themen. Aktuelle Anlässe, sich mit der sozialen Not und
Ungerechtigkeit in Lateinamerika und in den sog. Entwicklungsländern
zu beschäftigen, gibt es täglich allein schon
durch die Nachrichten und erschreckenden Bildberichte der
Massenmedien. Merkwürdigerweise gibt es aber für die
Religionspädagogik neben einigen kleineren Veröffentlichungen
in Zeitschriften und Unterrichtsbüchern kaum Arbeiten
, die der umfassenden Problematik des Verhältnisses
von Christentum und Revolution grundsätzlich biblischtheologisch
oder aktuell in Zuspitzung auf die jeweilige
Situation bestimmter Länder praktisch-sozialethisch nachgehen
und sie didaktisch und unterrichtsmethodisch aufarbeiten
.

Aber auch die wenigen vorhandenen Veröffentlichungen
beschäftigen sich hauptsächlich mit Fragen der Entwicklungshilfe
und gehen nur am Rande auf die revolutionäre
Situation in den Ländern der Dritten Welt ein. Sensibilisierung
und christliches Verantwortungsgefühl gegenüber
dem wachsenden sozialen Elend der Mehrheit der Weltbevölkerung
wurde so bisher nur unzulänglich geweckt.

Den Vff. war deutlich, daß in dieser Situation in der Bundesrepublik
das lediglich theoretische Postulat nach Einbeziehung
der Revolutionsproblematik in den Religionsunterricht
zu erheben und zu begründen nicht ausreicht,
wenn nicht zugleich detailliert beschrieben wird, „mit welcher
Intention und in welcher Weise die didaktische Bearbeitung
des Themas vorgenommen werden kann" (5).

Das nun vorliegende Arbeitsbuch bricht mit der sich
immer noch hartnäckig behauptenden Auffassung über die
Volksschule, daß sie ein Asyl des Friedens sein müsse, und
daher kirchliche Auseinandersetzungen ebensowenig in die
Volksschule gehörten wie politische Informationen und
Debatten (14). Die Vff. sind bemüht, die Schüler sich selbst
anhand des vorgelegten Materials zum Verständnis revolutionärer
Situationen durcharbeiten zu lassen und so sich
bewußt zu werden, in welcher Weise ihr eigenes Leben mit
den sozialen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
politischen Weltproblemen zusammenhängt, bei denen es
heute für die Menschheit um Untergang oder Überleben
geht.

Mit dieser Zielsetzung wird das Thema „Revolution und
Christentum" in dem einleitenden systematischen Teil
(13—118) in sachgerechter und aufgeschlossener Weise behandelt
. Man verfällt hier nicht in den Fehler, durch eine
theologische Überhöhung des Revolutionsbegriffs von der
ethischen Problematik der Beteiligung von Christen an politischer
Revolutionspraxis abzulenken. So wie in der Person
D. Bonhoeffers Theologie und Widerstandskampf eine
untrennbare Einheit bildeten, zeigen die sorgfältig ausgewählten
und kommentierten Informationsmaterialien und
Unterrichtsmedien im zweiten Teil des Buches (118—261)
Theorie und Praxis christlich verantworteten Engagements
gegenüber verhärteten und unbelehrbaren Machtstrukturen
multinationaler Großkonzerne und militanter Stützpunkt-
und Rohstoffpolitik neokolonialistischer Mächte. Kritisch
wird über die Berechtigung einer „Theologie der Revolution
" reflektiert und die Notwendigkeit einer „Theologie der
Befreiung" begründet, ihre Zielsetzung aber auch dahingehend
hinterfragt, zu „welchem Status" denn eigentlich
befreit werden soll.

Den Vff. geht es aber nicht nur um bloße Kenntnisnahme
der Mißstände und Entwicklungstendenzen, sondern sie
selbst lassen erkennen, daß ihr christliches Gewissen um der
ersehnten „Gerechtigkeit Gottes" und der „Liebe Christi"
willen nicht ruht. Sie sind der Meinung, daß revolutionäre
Gewalt eine Form der Verwirklichung christlichen Engagements
gegenüber den leidenden, hungernden Völkern und
der Solidarität mit den vielen Millionen ausgebeuteter und
gefolterter Menschen sein kann (117.194 u. ö.).

In diesem Zusammenhang werden die neutestamentlichen
Meditationen über die Nächstenliebe (93—99), über Jesus
und die Zeloten (102-110) und die Stellung Jesu zur Gewalt
(110-118) wichtig.

Einen entscheidenden Fehler christlicher Pädagogik hinsichtlich
der Revolutionsproblematik sehen die Vff. darin:
„Durch den Trick begrifflicher Ausweitung und Verwäs-
serung von .revolutionär' wird Revolution als gesellschaftlich
-politisches Phänomen für die theologische Fragestel-
ung um seine eigentliche Brisanz gebracht" (101).

Demgegenüber wird nun ein theologisch, soziologisch und
didaktisch verantwortetes Lehrplanmodell mit unterrichtsreifen
Projekten in fächerübergreifender, problemorientierter
Methode vorgelegt, als deren Merkmale bewußt herausgestellt
werden: „gesellschaftliche Relevanz, Interdiszipli-
narität, Problemorientierung, Praxisbezogenheit" (9). Die
Arbeitshilfen bringen nicht nur stichhaltige Informationen
über die wirtschaftliche, soziale und kirchliche Lage des von
schweren Sozialkrisen erschütterten südamerikanischen
Subkontinents, sondern durch die Zusammenarbeit mit den
Fächern Erdkunde, Geschichte, Sozial- und Wirtschaftslehre
und Religion (169-224; Übersichtstafeln 225-228) wird
lebendiges Wissen vermittelt, das zu eigener Stellungnahme
über den gewaltlosen Weg von M. L. King, zum Nachdenken
über die Lebensentscheidung von Camilo Torres (81 bis
92) oder zu einer Einschätzung des prunkvollen Eucharisti-
schen Weltkongresses in Bogota (74—77) führen kann.

Die denkerische Mitarbeit der Schüler wird durch Anfertigung
von Zeichnungen und Diagrammen, durch Kurzvorträge
und Kommentare zu Plakaten nach reichlich angebotenem
und gut erläutertem Material erheblich erleichtert
.

Ein in Anlage und Aussage bemerkenswertes Buch, das
von verantwortungsbewußten christlichen Pädagogen gewiß
viel Zustimmung wie von Gegnern einer „Solidarität der
Liebe" der schonungslosen Offenheit wegen.auch Ablehnung
erfahren wird. Das Buch und seine Unterrichtsprojekte sind
wohl zunächst für den schulischen Religionsunterricht entworfen
worden. Darüber hinaus stellt das Buch inhaltlich
wie methodisch aber auch eine wertvolle Handreichung für
die Konfirmandenarbeit, für Gemeindeseminare und selbst
für Pfarrkonvente in allen Landeskirchen dar.

Greifswald Günther Kehnscherper

Tworuschka, Udo, u. Dietrich Zilleßen [Hrsg.]: Thema Weltreligion
. Ein Diskussions- und Arbeitsbuch für Religionspädagogen
und Religionswissenschaftler. Frankfurt/M.—
Berlin—München: Diesterweg; München: Kösel-Verlag
[1977]. IV, 224 S. gr. 8°. DM 26,80.

Die Autoren dieses Sammelbandes sind überzeugt, daß das
Thema Weltreligionen für den Religionsunterricht heute von
zentraler Bedeutung ist. Zilleßen reflektiert in seiner Einleitung
über die Wiederentdeckung der Religion in den
letzten Jahren, die mit der Frage nach der Erfahrung göttlicher
Wirklichkeit zusammenhängt, und fordert einen Religionsunterricht
, der „Theorie und Praxis des Christentums
und fremder Religionen (bzw. fremder Religiosität)
dialogisch aufnimmt". S. M. Daecke, N. Smart, G. Mensching,
C. Colpe, H. Halbfas und A. Stock nehmen Stellung zu diesem
Beitrag. Sie sind übereinstimmend der Meinung, daß
das „Totenglöcklein für den konfessionellen Religionsunterricht
an der Schule geläutet hat" und daß „der Ausschließlichkeitsanspruch
einer bestimmten Theologie nicht
mehr akzeptabel ist". U. Tworuschka berichtet instruktiv
über die heutige Religionswissenschaft mit ihren verschiedenen
Forschungsrichtungen und über ihre Aporien mit dem
Postulat der Wertfreiheit der Forschung. Als Proben für
religionsvergleichende Arbeiten lesen wir Artikel verschiedener
Verfasser über Friede, Sexualität, Meditation, Schöpfung
, politische Verantwortung und Mission. Einige Artikel
beleuchten die gegenwärtige Situation eines Unterrichts in