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1980

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Systematische Theologie: Dogmatik

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

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Platonisierung der Theologie. Aber im Unterschied zum
neuzeitlichen Positivismus mit seiner „lebensgefährlichen
Verabsolutierung des Partiellen" (9) findet sich bei Piaton
ein „ .ekstatisches' Denken des Ganzen", in dem Gott „das
korrelative Mehr von Welt" ist. Und dieses Denken ist für
den christlichen Glauben der „angemessenste Anhalt, um
den Widerspruch zu artikulieren, der vom ,logos tou staurou'
(l.Kor.1,18) ausgeht" (ebd.), den Widerspruch nämlich zu
einem Reden, das Gott nicht als sich selbst gewährende
Liebe kennt (17). Piaton erinnert — in seinen „Gesetzen" —
an die unübersteigbaren Realitäten der Geschichte, die nur
die Verwirklichung des „Zweitbesten" zulassen — entgegen
allerlei unbegründeten Hoffnungen, wie sie im Namen des
Christentums immer wieder vertreten werden (12). In seiner
Lehre von der Seele artikuliert Piaton den „Prozeß der Eins-
werdung des Menschen" (23), was eine Vielzahl von Parallelen
zur christlichen Auferstehungsbotschaft (die als solche
allerdings das „potentiell mächtigere" Wort über die Zukunft
des Menschen ist, 45) aufweist (36 ff.).

Im zweiten Teil („II. Evangelium und Welt") setzt sich
Baur zunächst mit der neuzeitlichen Religionskritik auseinander
, der gegenüber er die Unausweichlichkeit von Religion
angesichts des Geheimnisses der Wirklichkeit, ihrer
„als unauslotbarer Tiefe und lastender Höhe gegenwärtigen
Macht des Mehr" (64) geltend macht — mit Formulierungen,
die z. T. an Tillich erinnern. Sodann macht er dem in Neuzeit
und Gegenwart verbreiteten Selbstverständnis des
christlichen Glaubens im Sinne eines bloßen „ethischen Reservoirs
" (77) für gesellschaftlich-politisches Handeln gegenüber
geltend, daß der Glaube das Ende der Geschichte
erwartet und gerade im Lichte dessen imstande ist, „die alte
Zeit zur Verantwortung anzunehmen" (90) und in ihr zusammen
mit den NichtChristen an der „möglichen Verbesserung
" der stabilisierenden Ordnungen der Welt nach dem
Urteil der Vernunft mitzuarbeiten (94). Wenn es allerdings
im Zuge dieses lutherischen Ansatzes zu dem Satz kommt:
„Die materialen Elemente des politischen Handelns sind
nicht aus dem Glauben zu gewinnen" (152), dann wird man
doch fragen müssen, ob den dem Evangelium entspringenden
ethischen Impulsen (z.B. Versöhnung; liebendes Sich-
Herabneigen) für das gesellschafts-politische Handeln von
Christen nicht doch eine stärkere materiale Bedeutung zukommt
, als es der Vf. zugestehen möchte. Baur selbst weiß,
daß es nach Luther so etwas wie einen „Vorschein des Heils
im Irdischen", nämlich im Raum der menschlich-politischen
Geschichte gibt (147); bedeutet diese Einsicht nicht auch
Erhebliches für das, was der Christ handelnd in das Feld
des Gesellschaftlich-Politischen einzubringen hat? Dies gilt
auch im Blick auf die vom Vf. in einem weiteren Beitrag angesprochene
Frage eines angemessenen Umgangs mit der
Schöpfung: Ist die „Freundlichkeit" Gottes des Schöpfers,
auf die mit Texten aus Joh. Arndt und P. Gerhardt eindrucksvoll
hingewiesen wird (102ff.), nicht zugleich ein
Ausdruck jener Liebe, die sich in Christus der Welt zugewendet
hat?

Im dritten Teil des Bandes („III. Gegenwart der Reformation
") tritt der geistlich-theologische Kern aller Argumentationen
Baurs noch deutlicher als in den beiden ersten
Teilen in den Blick. Im Zentrum steht die Rechtfertigungsbotschaft
, verstanden und interpretiert als Befreiung aus
einer letzten Nötigung zur Selbstbestätigung, als Einweisung
in ein „extra-zentriertes" Dasein, als Leben aus einem
Anderen und für den Anderen, darin zugleich ein „Heraustreten
" in die Verbundenheit und Verbindlichkeit der Gemeinde
, die dem Neuen Testament als Salz der Erde und
Licht der Welt gilt (92). Mit Recht sieht Baur in der ständigen
Nötigung zur Selbstbestätigung einen Grundzug gegenwärtigen
Daseinsverständnisses, der die Aktualität der reformatorischen
Botschaft erweist (132ff.). Mit Recht sieht er
an dieser Stelle auch die eindeutige Grenze des Gottesglaubens
der griechischen Metaphysik. Ob allerdings Thomas v.
Aquin nur an einer versteckten Stelle seines Systems (in der
Trinitätslehre) oder nicht doch auch etwa in den für ihn

zentralen Aussagen zu Glaube, Hoffnung und Liebe solches
Heraus-treten des Menschen mehr kennt, als Bauer wahrhaben
will, bliebe mit ihm zu diskutieren. Besonders eindrucksvoll
und schön kommt jenes auf Heraus-treten, Hingabe
, Gemeinschaft orientierte Verständnis des Evangeliums
in den Beiträgen zur „Trinitätslehre als Summe des Evangeliums
" (112ff.) und zur Christologie der FC (189ff.) zum
Ausdruck: im Evangelium sind „Identität und Kommunikation
versöhnt" (117), so wie es das Geheimnis des dreieinigen
Gottes und das Geheimnis von „Mitteilung und Erhöhung
, von Hingabe und Offenheit" (205) Gottes und des
Menschen im Gottmenschen Jesus Christus bezeugen —
ständiges Ereigniswerden einer (überraschend personal interpretierten
) „summa communio" (198).

Von diesem eindrucksvollen Verständnis des Evangeliums
her ist dann schließlich auch zu verstehen, was Baur über
Lehre und Lehrzucht sagt („IV. Bekenntnis und Widerspruch
"): Materiales Kriterium für rechtes Lehren (neben
dem formalen Kriterium der Schriftgemäßheit) ist vor allem
jene „exzentrische Konstitution" des Christseins (238) im
Gegensatz zu jeglicher Form des „Für-sich-sein-Wollens"
(231). Im Raum der Kirche führt solche Einsicht notwendigerweise
zum gemeinsam gesprochenen, verantworteten und
insofern auch maßgebenden Bekenntnis (239ff., hier eine
durchweg positive Bezugnahme auf K. Barth). Daß gerade
solches auch lehrmäßige Insistieren auf dem Bekenntnis
zur heraus-tretenden Liebe Gottes letztlich die Möglichkeit
bloßer Lehrgesetze übersteigt und damit eine echte Toleranz
in einer tieferen Schicht eröffnet wird (267 f.). gehört zu
den besonders nachdenkenswerten Aussagen Baurs in diesem
letzten Kapitel.

Baur hat uns mit der Sammlung seiner Aufsätze eine
Fundgrube von z. T. überraschenden und hilfreichen Überlegungen
und Einsichten so zugänglich gemacht, daß vor
dem Leser ein eindrucksvolles Gesamtbild entsteht. Wir
werden gewiß über vieles weiter nachzudenken haben: nicht
nur über die bereits angesprochenen Fragen einer zureichenden
Begründung christlicher Sozialethik, sondern z. B. auch
über das von Baur zu hörende, angesichts ökumenischer
(gerade auch theologischer) Erfahrungen aber nur schwer
nachzuvollziehende Urteil, „daß bis zur Stunde das Evangelium
keine Vergegenwärtigung gefunden hat, die angemessener
wäre als der Aufbruch der Schrift in der Reformation
" und daß es gefährlich sei, „Traditionen gegenwärtiger
anderer Kirchentümer in die Reformationskirche einzuführen
" (244, vgl. 286). Daß uns indessen die reformatorisch-
lutherische Tradition — auch in manchen ihrer orthodoxen
Gestaltungen — immer wieder neue Perspektiven zu eröffnen
vermag, daß sie also wert ist, in der Ökumene ernsthaftes
Gehör zu finden und daß von ihr aus mitunter Leitvorstellungen
in Kirche und Theologie der Gegenwart kritischer
, als wir es weithin tun, zu hinterfragen sind, das zeigen
die Beiträge dieses Bandes jedenfalls, und dafür gebührt
dem Vf. Dank.

Leipzig Ulrich Kühn

Biser, Eugen: Glaube nur! Gott verstehen lernen. Freiburg/
Br.: Herder [1980]. 144 S. kl. 8°= Herderbücherei, 800.
Kart. DM 5,90.

Hanselmann, Johannes: Fragen nach dem gnädigen Gott.

Für eine Reaktivierung der Rechtfertigungsbotschaft (LM

18, 1979 S. 280-282).
Der Heilige Geist im Widerstreit (Concilium 15, 1979, Heft

10):

Schweizer, Eduard: Was ist der Heilige Geist? Eine bibeltheologische
Hinführung (S. 494-498)

Ritsehl, Dietrich: Geschichte der Kontroverse um das Fi-
lioque (S. 499-504)

Fahey, Michael: Sohn und Geist: Theologische Divergenzen
zwischen Konstantinopel und dem Westen (S. 505 bis
509)

Stylianopoulos, Theodore: Sohn und Geist: Orthodoxe
Stellungnahme (S. 510-514)