Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1980

Spalte:

457-458

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Umstrittene Versöhnung 1980

Rezensent:

Bassarak, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

457

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

458

2. So wenig Barth in seiner Intention als nur-politisch zu
verstehen ist, so wird durch Dannemanns Abhandlung eindrücklich
, wie er auf der ganzen Linie immer auch politisch
denkt, ob er sich in der Gotteslehre oder in der
Anthropologie, in der Sündenlehre oder im Zuge der Versöhnung
befindet.

3. Sinnig Dannemanns Schluß mit den letztüberlieferten Sätzen
Barths, die noch einmal deutlich machen, wie theologisch
Barth auch in politicis denkt, aber ebenso, wie sein
Horizont bis zuletzt den politischen Bereich und dessen
Belange einschließt: „...es wird regiert, und zwar
hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her!..."
(260; cf. K. Kupisch, Karl Barth, rm 174, S. 135).

Wuppertal-Schöller Jürgen Fangmeier

Steck, Karl Gerhard, u. Dieter Schellong: Umstrittene Versöhnung
. Theologische Aspekte und politische Brisanz.
München: Kaiser [1977]. 66 S. 8° = Theologische Existenz
heute, 196. Kart. DM 8,50.

In der von Trutz Rendtorff und Karl Gerhard Steck herausgegebenen
Reihe „Theologische Existenz heute" liegt
ein Heft zur Frage der Versöhnung vor. K. G. Steck referiert
nach einem Vortrag vor dem Beienroder Konvent am
21. 9. 76 über „Versöhnung oder Entfremdung" und dediziert
die Darlegungen Dolf Sternberger zum 70. Geburtstag. St. geht
davon aus, daß „Versöhnung... immer noch ein biblischchristliches
Grundwort (ist); Entfremdung ist... auch...
Grundwort..., aber es dient... der Kritik der christlichen
Wahrheit" (7). St. zeigt an F. Chr. Baurs Monographie von
764 Seiten aus dem Jahre 1838 (Die christliche Lehre von
der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung von
der ältesten Zeit bis auf die neueste) den „grandioseste(n)
Vermittlungsversuch der neueren Theologiegeschichte"
..zwischen der christlichen Überlieferung und der modernen
Wissenschaft" (10). Die weitere Entwicklung von Baur über
Tholuck, Hofmann, Ritsehl, Kahler, Kirn zu Barth — dessen
„Beitrag... zu einer ganzen christlichen Dogmatik geworden
ist" (Trillhaas, 21) wird dann nur kurz skizziert.

Zu „versuchsweiser Bewältigung" des „sehr komplizier-
te(n)" ..Entfremdungs-Komplex(es)" bezieht St. sich „auf
den von H.-H. Schrey herausgegebenen Sammelband" (ohne
zu sagen, auf welchen, 23). „Entfremdung... als Machtlosigkeit
, Bedeutungslosigkeit, Normlosigkeit, Isolierung
und Selbstentfremdung ... wird zum Universalbegriff, zum
Deutungsschlüssel für Geschichte überhaupt." (23). Hier werden
eine Anzahl Philosophen, Soziologen und Theologen gestreift
, um bei „zwei antagonistischen Positionen" anzukommen
: Karl Barth, für den Jesu Ruf in die Nachfolge
eindeutig Selbstverleugnung, Entfremdung heißt (28) — also
..Entfremdung als Versöhnung" erscheint — und Tilmann
Mosers „Gottesvergiftung". Als „Versuch der Zusammenfassung
ergibt sich:" bei Baur wird „Versöhnung zur universalen
Kategorie ..., Theologie und Philosophie sind ... versöhnt
" (33). Die Beiträge zum Snmmelband von H.-H. Schrey
führen „zu dem Urteil, daß wir in unsere Entfremdung geradezu
verliebt sind: wir kokettieren damit" (34).

Sehr viel weiter auf das Feld der heutigen Auseinandersetzung
als St., der den Part der „Theologischen Aspekte"
übernommen hat, gerät Dieter Schellong mit seinem
Beitrag „Versöhnung und Politik. Zur Aktualität des Darmstädter
Wortes". Für Geschichte und Vorgeschichte beruft
er sich auf Hartmut Ludwigs Darstellung (Sonderheft
„Standpunkt" und gleichzeitig Beiheft zur „Jungen Kirche").
Das Leitwort der Darmstädter Erklärung sei „Versöhnung",
aber nicht im Sinne des „später so gewichtig gewoi-dene(n)
Reden(s) von Versöhnung in der Politik" (40). Weil das vom
Nazismus propagierte Feindbild weitergepflegt wird, war
das Darmstädter Wort nötig. So fänden sich denn auch „in
den Angriffen etwa von Asmussen und Künneth gegen das
Darmstädter Wort prompt alle Klischees des Feindbildes
vom Kommunismus ..." (54), auf das „die kirchliche Mehrheit
nach wie vor... fixiert ist und damit die Mehrheitsüberzeugung
in der Bundesrepublik teilt" (55). Dazu gehört
als Situations- und Ursachenschilderung: ..Das Unbehagen
an der Moderne wird abgeladen auf den Kommunismus —
als ob er .atheistischer' wäre als die moderne Wissenschaft,
als irgendeine beliebige Verwaltung, Bürokratie oder sonstige
moderne Einrichtung — als ob gar die kapitalistische
Produktionsweise ein christliches Menschenbild gelten lassen
könnte!" Aber — so Iwands Entwurf zu These 5 — „dieses
Feindbild hat wesentlich dazu beigetragen, daß dem
Nazismus nicht widerstanden worden ist. daß Einschränkungen
von Recht und Freiheit akzeptiert wurden, wenn es
gegen diesen Feind geht." So sei die Aktualität des
Darmstädter Wortes deutlich.

Sch. erörtert schließlich einige Fragen im Zusammenhang
mit dem Terrorismus in der BRD und reflektiert über ..Sachlichkeit
und Menschlichkeit im Atomzeitalter." Er schließt
mit der Feststellung, daß das Darmstädter Wort in die Zukunft
und über sich hinausweise.

Berlin Gerhard Bassarak

Systematische Theologie: Dogmatik

Baur, Jörg: Einsicht und Glaube. Aufsätze. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1978. 294 S. gr. 8°. Kart. DM 28,-.

Dieser Band mit Aufsätzen des Göttinger Systematikeis
aus den Jahren 1967—1978 (sie sind bis auf eine Ausnahme
bereits an anderen Orten erschienen) sind der ev.-theol. Fakultät
München „in Dankbarkeit und Widerspruch" gewidmet
. Daß sich Theologie beim Nachdenken über das Evangelium
zu kräftigem Widerspruch genötigt sehen kann, dokumentieren
diese gehaltvollen, bewußt der lutherischen
Tradition verpflichteten, weithin aber nicht leicht zu lesenden
Beiträge auf Schritt und Tritt: Widerspruch z. B. gegen
die „momentane Hausse der antiphilosophisch konzipierten
sog. Humanwissenschaften" (7); gegen die Ethisierung des
Politischen und die Politisierung der Ethik sowie eine damit
verbundene „Legierung der idealistischen Sollensforderung"
(71 f.); gegen den „mit beinahe unkrautartiger Hartnäckigkeit
vertretenen Gemeinplatz der Moderne...: die Meinung
nämlich, der Mensch des 16. Jh. sei der Rechtfertigungsfrage
mit einer unvergleichlichen Offenheit, mit einer exzeptionellen
Ansprechbarkeit gegenübergestanden", wohingegen
das Fehlen solcher Offenheit heute die Theologie angeblich
zu anderen Bemühungen als denjenigen um die Rechtfertigungslehre
nötige (155); gegen die Meinung, daß „Mühe um
reine Lehre und Lehrzucht überständig und unzeitgemäß"
sei (230).

Um die damit angezeigten vier thematischen Schwerpunkte
gruppieren sich die in dem Band vereinigten Beiträge
, die insgesamt geprägt sind von dem Bemühen, das
Potential der „vorbürgerlichen Tradition des Christentums"
für die gegenwärtige theologische Besinnung fruchtbar zu
machen (270): neben dem lutherisch-reformatorischen Erbo
vor allem dasjenige der altlutherischen Orthodoxie — seit
jeher das besondere Arbeitsgebiet des Vf. —, wie jetzt besonders
die Aufsätze über Martin Chemnitz (154 ff ), Flacius
(173ff.), die Christologie der Konkordienformel (189 ff.) zeigen
; aber auch das Erbe der altkirchlichen Trinitätslehre
(112 ff.). Nur die mittelalterliche Theologie wird ziemlich
einlinig kritisch bewertet, wie der Aufsatz über Thomas
v. Aquin zeigt (206 ff.). Aus der neueren philosophischen
Tradition wird Hegels Votum mehrfach in positivem Sinne
zu Gehör gebracht (258 ff., 280 ff.), wahrend es im übrigen
vor allem Piaton ist, bei dem es für Baur immer wieder
Erstaunliches zu entdecken und gegenwärtiger „Gedankenlosigkeit
" ins Gedächtnis zurückzurufen gilt.

Mit einem „Plädoyer für Plato" setzt denn auch der erste
Teil des Buches („I. Theologische Lehre und philosophische
Überlieferung") ein. Baur votiert gewiß nicht für eine neue