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Ausgabe:

1980

Spalte:

436-438

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Kontinuität und Umbruch 1980

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

436

gegeben ist. Ein Inhaltsverzeichnis, das die 95 Nummern
hintereinander aufzählt, suchte ich vergeblich. Dafür bietet
ein Register der Quellen einen guten Überblick; Register der
Bibelstellen und der Personennamen tragen ebenfalls zur
Effektivität der Nutzungsmöglichkeiten bei.

Ausführlich wird die Umwelt der alten Kirchengeschichte
berücksichtigt. Die ersten vier Texte betreffen noch gar nicht
die Kirche: 1) Altrömische Religion (Cicero), 2) Augustus
und die Konsolidierung des römischen Reiches nach seinem
„Tatenbericht" (Res gestae Augusti), 3) Die Lage der Landwirtschaft
um 50 n. Chr. (Columella, Uber die Landwirtschaft
), 4) Rückgang der Forschung (Plinius d. Ä. und Seneca
d. J.). Später kommt Epiktet mit vier Texten zum Abdruck
(Nr. 12), weitere vier Texte stellen die Mysterien der Isis
nach den Metamorphosen des Apulejus von Madaura vor
(Nr. 19). Unter der Überschrift „Diokletian und die Reorganisation
des Reiches" wird in Nr. 45b eine ganze Fülle von
Zahlen geboten, die Preise und Löhne jener Zeit nennen.
Solche weit gespannte Information ist sicher zu begrüßen;
leider geht sie aber unvermeidlich auf Kosten anderer
Quellenstücke, die man vergeblich sucht. So bietet Nr. 7
„Aus dem 1. Klemensbrief" nur die Kapitel 40—44; der entscheidende
Satz jener Schrift „lernet gehorchen" (Kap. 57)
fehlt ebenso wie die viel umstrittenen Kapitel 5 und 6, die
von der Neronischen Verfolgung und vom Romaufenthalt
des Paulus und Petrus (?) berichten. Tertullians Schutzschrift
wird vielfach zitiert, aber gerade das 39. Kapitel,
das vom Gemeindeleben und vom Gemeindeaufbau erzählt,
wird nicht berücksichtigt. Unter den instruktiven Cypriantexten
fehlt das wohl berühmteste Cyprianwort „Außerhalb
der Kirche ist kein Heil" (Ep. 73). Den Namen Wulfila
suchte ich vergebens, ebenso die Päpste Innozenz I. und
Zosimus, die im Kampf zwischen Augustin und Pelagius
doch von einiger Wichtigkeit waren. Aber Meinungsverschiedenheiten
wegen der Auswahl sind wohl unvermeidlich
.

Am Beispiel des Irenäus sei gezeigt, wie geschickt Wesentliches
herausgehoben wurde. Nr. 27: Irenäus von Lyon
und die Fixierung der „katholischen Normen". Darunter
stehen 3 Überschriften. I: Die Bedeutung der apostolischen
Tradition und Sukzession, darin a) Das Gemeindeamt in
apostolischer Sukzession, b) Die römische Gemeinde und
ihre einzigartige Würde, c) Die Glaubensregel. II: Irenäus
als Theologe des Kanons, darin d) Zwei Testamente, e) Die
Apostel im Vollbesitz der Wahrheit, f) Klarheit und „Suffi-
zienz" der Schrift, g) Die prinzipielle Geschlossenheit des
Vier-Evangelien-Kanons und ihre Kriterien. III: Irenäus
als Theologe der Heilsgeschichte. Aber auch die vorangehenden
Nummern 25 „Christlicher Gnostizismus" sowie 26
„Häretisch werdendes Judenchristentum" werten Irenäus
aus. Der Band führt die Entwicklung bis zur Primatslehre
Papst Leos I. im Abendland sowie zu einem Blick auf die
Geschichte des Nestorianismus im Osten.

Trotz der Kritik an Details kann man insgesamt nur wünschen
, daß auch die weiteren Bände der neuen Quellenreihe
so erfreulich aussehen möchten wie der hier vorgelegte
1. Band.

Rostock Gert Haendler

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Neuser, Wilhelm H.: Die reformatorische Wende beiZwingli.

Neukirchen—Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
[1977]. 160 S., 2 Taf. 8°. Kart. DM 29,-.

Der Wert dieses Buches für die Forschung besteht in einer
erneuten, z. T. erstmals ausführlichen Untersuchung von
Zwingiis Selbstzeugnissen über seinen Weg aus der römischkatholischen
Kirche heraus zu einem neuen Verständnis der
Heilsbotschaft sowie in der Erschließung neuer Quellen für
diesen Prozeß. Das Ergebnis der Untersuchung deckt sich mit

dem von Arthur Rieh vorgelegten: die „reformatorische
Wende" Zwingiis fällt in die zweite Hälfte des Jahres 1520,
u. zw. wohl in den Zusammenhang der Veröffentlichung der
Bannandrohungsbulle gegen Luther und der Lektüre von
Luthers De captivitate babylonica; sie ist erstmals greifbar
im Frühjahr 1521.

N. stellt den Weg Zwingiis zu dieser „Wende" als einen
mehrstufigen Prozeß dar, der mit der wechselnden Stellung
Zwingiis zu Erasmus und Luther zusammenhängt (95 ff.).
Zwingli selbst hat seine frühere Begeisterung für Erasmus
in seinen Selbstzeugnissen verschwiegen, weil seine Selbstzeugnisse
erst beginnen, als er sich von Erasmus zu distanzieren
beginnt. Das bedeutet, daß die Tendenzkritik für die
Auswertung der Selbstzeugnisse für N. von großer Wichtigkeit
wird.

Unter den neu erschlossenen Quellen ist besonders wichtig
die Beschäftigung mit der Flugschrift „Die göttliche
Mühle" von 1521 (127ff.). N. will Zwingiis Anteil an ihr
höher einschätzen als es Zwingli selbst behauptet hat. Mir
bleibt fraglich, ob N. damit recht hat, solange nicht Herkunft
und theologische Eigenart der beiden eindeutig bezeugten
Hauptverfasser genauer untersucht sind.

Im Endergebnis stellt das Problem für N. sich so dar, daß
Zwingli einen eigenen Ansatzpunkt für seinen Weg gefunden
hat, dieser Weg dann Luthers Weg gekreuzt hat und
ihm ein kleines Stück gefolgt, aber selbständig weitergegangen
ist. Von daher wird der Sinn des Terminus „reformatorische
Wende" fraglich, weil das, was N. als „reformatorisch
" bezeichnet — Gnadentheologie im Zusammenhang
mit Wort- bzw. Predigttheologie — an Luther orientiert ist
und für Zwingli jedenfalls nur Durchgangsstation war.
Zwingiis Entwicklung ging ja weiter und ist in ihrer späteren
Form „reformatorisch" wirksam geworden.

Zwei Abbildungen verdeutlichen die (m. E. mit Recht)
hergestellte Beziehung zwischen der Flugschrift und der
Ikonographie der göttlichen Mühle (Bern).

Ein paar Versehen sind stehen geblieben: Bei der S. 23 erwähnten
Lutherschrii't dürfte es sich nicht um die 95 Thesen handeln, sondern
um eine der Ablaßschriften des Jahres 1518 (Resolutiones oder
Sermo) - (vgl. S. 86). Der Verfasser des S. 42 erwähnten Sentenzenkommentars
kann natürlich nicht Petrus Lombardus selbst gewesen
sein. Das Buch, dem liturgische Verehrung erwiesen wurde, war
nicht das Vierevangelienbuch, sondern das Buch, das die Evangelienlesungen
der Messe enthielt (S. 45). - Von den reichlich ein Dutzend
Druckfehlern seien erwähnt S. 132 Z. 11: verschmäht, ferner - besonders
heikel - S. 54 Z. 13: Kapitel (nicht: KapitalI).

Leipzig Ernst Koch

Nolte, Josef, Tompert, H., u. Christof Windhorst [Hrsgg.]:
Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in
Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum
16. Jahrhundert. Beiträge zum Tübinger Kolloquium des
Sonderforschungsbereichs 8 „Spätmittelalter und Reformation
" (31. Mai-2. Juni 1975). Stuttgart: Klett-Cotta
[1978]. II, 338 S., 25 Abb. auf 16 Taf. gr. 8° = Spätmittelalter
und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung
, 2. Lw. DM 96,-.

Der Sonderforschungsbereich 8 „Spätmittelalter und Reformation
" in Tübingen ist in drei Projektbereiche unterteilt
, die je einen eigenen Leiter - nämlich Heiko A. Ober-
man, Josef Engel und Ernst Walter Zeeden — haben und
sich besonders mit der Erforschung des spätmittelalterlichen
Augustinismus, der oberdeutschen Stadtreformation und der
Flugschriften beschäftigen. Engel und Zeeden haben 1978
mit der Reihe „Spätmittelalter und Frühe Neuzeit: Tübinger
Beiträge zur Geschichtsforschung" für die Mitarbeiter
des gesamten Sonderforschungsbereiches 8 eine Möglichkeit
geschaffen, Ergebnisse ihrer Forschung zu veröffentlichen.
Oberman gibt in der Reihe „Spätmittelalter und Reformation
", die seit 1972 erscheint, zunächst Veröffentlichungen
zum Augustinismus heraus. Von 1978 bis 1982 sollen die
Opera des Johannes von Paltz (f 1511) in 3 Bänden und die
des Gregor von Rimini (| 1358) in 7 Bänden erscheinen.