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Ausgabe:

1980

Spalte:

430-432

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Albrecht, Evelin

Titel/Untertitel:

Zeugnis durch Wort und Verhalten 1980

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 6

430

schienenen Dissertation „Naherwartungen" (vgl. ThLZ 95,
1970 Sp. 274f.); er bestimmt den Umfang der Redaktion jetzt
anders (als viel geringer) als vorher. Trotzdem kann man
fragen, ob das Bild des Redaktors von Kap. 13 sich wirklich
mit dem Gesamtbild bei P. verträgt. In der Schätzung
des markinischen Einsatzes in Kap. 13 schwankt denn auch
P. selbst zwischen der Auskunft, daß hier „die mk Redaktion
als viel intensiver und durchgreifender erkennbar ist als
im ganzen Evangelium sonst" (Bd. I, 39) und der anderen,
daß ..Markus sich auch im aktuellsten Kapitel seines Werkes
... als der konservative Redaktor" zeigt, „als den ihn
das ganze Evangelium ausweist" (Bd. II, 267).

Außerhalb von Kap. 13 vermag P. nur wenige redaktionelle
Zusätze des Markus zu entdecken; wo möglich, behandelt
er die Perikopen nach dem Grundsatz in dubio pro tra-
dito als einheitlich. Auch viele Bemerkungen, die gemeinhin
fast selbstverständlich als markinisch gelten, schreibt
er der Tradition zu; so z.B. 8,30, 12,12, 14,28 und 16,7. So
berechtigt der Protest des Vf. gegen eine Uberschätzung
der theologischen ..Leistung" des Markus an sich ist, scheint
er doch in das andere Extrem verfallen zu sein. So soll z. B.
das Redeverbot 8,30 auch historisch glaubwürdig eine Situation
der Gefährdung Jesu widerspiegeln (obwohl hier nicht
einmal ein Herrenwort vorliegt, sondern nur eine farblose
Bemerkung in indirekter Rede). Wie ist aber dann das Auftauchen
eines fast gleich formulierten Schweigegebotes an
die Dämonen in 3,12 zu erklären, wenn beide Gebote nach P.
aus vormk Überlieferungen stammen, aber doch aus verschiedenen
Tradentenkreisen (3,12 aus einer missionarischen
galiläischen Gruppe, 8.30 aus dem Jerusalemer Jüngerkreis
)? Die Annahme mk-redaktioneller Herkunft beider
Verse liegt doch viel näher. Auch die Bestreitung der mk-
redaktionellen Einfügung von 14,28 (und folglich von 16,7)
leuchtet nicht ein; gegen P.s Meinung hat J.Jeremias keineswegszeigen
können.daßproa gein „Terminus technicus
der Hirtensprache" sei (Joh 10.4.27 wird das Wort eben nicht
gebraucht) und der Vers somit ungezwungen mit V. 27 zusammenhinge
.

Was dem zweiten Band jedoch am stärksten ein eigenes
Gepräge gibt, ist die Annahme einer überraschend umfangreichen
, schon mit dem Petrusbekenntnis einsetzenden vor-
markinischen Passionsgeschichte, der ein gründlicher Exkurs
gewidmet ist (S. 1—27). Sie soll folgende Abschnitte
enthalten haben: 8,27-33; 9,2-13; 9,30-35; 10,1.32-34; 10,46
bis 52; 11,1-23; 11,27-33; 12,1-12; 12,13-17.34c; 12,35-37;
12,41-44; 13,1-2; 14,1-16,8. Diese Rekonstruktion beruht
z.T. auf sprachlichen und stilistischen Beobachtungen, vor
allem jedoch auf der „Unterscheidung von selbständigen
und nicht-selbständigen Texteinheiten" (vgl. S. 7.11).

Dabei spielt es eine wichtige Rolle, daß 14,lf zwar zur vormk
Passionsgeschichte gehöre (also gegen eine verbreitete Meinung
nicht redaktionell sei), „aber nicht als der eine längere Erzählung . . .
eröffnende Erzählanfang gelten kann"; mit dem ZeitanschluB, der
Präzisierung des Vorhabens der Gegner und ohne Nennung von
Jesus setze diese Bemerkung „einen voraufgehenden Erzählkontext
, insbesondere 11.18 (und damit 11,15-19) sowie 12.12 (und damit
11.27-12.12) deutlich voraus" (S. 11). Diese Einsicht hat P. dazu gezwungen
, die Materialien in 11.1-13.2 In eine Uberprüfung mit elnzu-
beziehen mit dem Ergebnis, daß lange Strecken des Abschnitts der
Passionsgeschichte zugesprochen werden. Aber auch 11.1 kann kein
den Gesamtzusammenhang eröffnender Erzählanfang vorliegen
(Ortanschluß in einem temporalen Nebensatz, wieder ohne Nennung
Jesu). So müsse man noch weiter rückwärts gehen. Erst in
8.27 liege „einwandfrei ein einen längeren Erzählzusammenhang
eröffnender Erzählanfang vor": hier werden denn auch Jesus und
seine Jünger Im einführenden Satz namentlich genannt.

Diese Überlegungen sind nicht ohne weiteres einleuchtend. Auch
8.27 sieht kaum wie der Anfang einer langen Geschichte aus (weshalb
z. B. das Verb exelthen ohne jede Nennung des Ortes, von wo
Jesus „hinausging"?). Auf der anderen Seite kann man fragen,
weshalb Markus nicht den Anfang einer älteren Geschichte hätte
neu formulieren können, als er sie in sein Werk einverleibte. Das
hat er jedenfalls in 4,lf getan, wo er auch nach P. die traditionelle
Einleitung der Glelcnnissammlung verarbeitete. Aber dabei ist
eben der Name Jesus ausgefallen! P.s Überlegungen setzen voraus,
daß Markus die (folgerichtig als schriftlich vorgestellte) Passionsgeschichte
fast Wort für Wort abschrieb, aber gerade das kann man
bezweifeln. Und sollten Stellen wie 11.18 und 12.12 - gegen P. - doch
redaktionell sein, dann schwankt die ganze Konstruktion sofort
erheblich.

P. schreibt der von ihm rekonstruierten Passionsgeschichte
ein sehr hohes Alter zu (sie sei vor dem Jahr 37 entstanden,
da Kajafas unerwähnt bleibt, was ihn als noch amtierend

ausweise), wie auch im ganzen große historische Zuverlässigkeit
. Die Geschichte stamme aus der Gruppe der Jerusalemer
Jünger Jesu und lasse sich für die Rekonstruktion
der Geschichte Jesu reichlich ausbeuten. P. ist kritisch gegen
die moderne Skepsis über unser Wissen vom historischen
Jesus. Allerdings gleitet er zuweilen ziemlich leicht über
historische Schwierigkeiten hinweg (wie das Gebet Jesu in
Getsemani authentisch überliefert werden konnte, oder wie
die Christen zuverlässige Nachrichten vom Ablauf des Prozesses
Jesu zu erhalten vermochten, beschäftigt ihn nicht
allzusehr). Doch muß sich die Forschung der eindrucksvoll
durchgeführten literarkritischen These mit ihren historischen
Implikationen ernsthaft stellen und sich eindringlich
mit ihr auseinandersetzen.

P. hat einen wichtigen und herausfordernden Kommentar
geschrieben, für den man nur dankbar sein kann. Der Leser
wird eine reiche Fülle von Einsichten und Informationen
zu den verschiedensten Fragen finden, die mit dem Verständnis
des ältesten Evangeliums zusammenhängen. Es
kann allerdings sein, daß das Werk mit der Zeit der Jesus-
Forschung mehr Anregungen geben wird als der Interpretation
des Buches des Markus.

An störenden Versehen sei vermerkt: S. 105 z. 4 v. u. und S. 106
Z. 1 wird das griechische Verb falsch angegeben; s. 109 Anm. 6 und
S. 112 (Llt.) lies E. Wilhelms pro Wilhelm; S. 397 Z. 4 von unten lies
xylon pro xylos; S. 406 Z. 2 v. u. lies Schwertern pro Schwestern.

Helsinki-Tübingen Heikki Räisänen

Albrecht, Evelin: Zeugnis durch Wort und Verhalten untersucht
an ausgewählten Texten des Neuen Testaments. Basel
: Reinhardt i. Komm. 1977. VIII, 236 S. 8° = Theologische
Dissertationen. 13. Kart. DM 29,80.

Die zunächst unter L. Goppelt erarbeitete, nach dessen
Tode unter Bo Reicke zu Ende geführte Dissertation möchte
in einem aktuellen theologischen Streit exegetische Klärung
bringen: in der Frage, ob kirchliche Verkündigung mit dem
Wort heute noch Chancen hat oder ob sie nicht viel mehr —
oder gar ausschließlich — in einem neuen Handeln und Verhalten
bestehen muß, aus dem Gottes Heil für die Welt
deutlich werden müßte. Nun mag man von vornherein fragen
, ob Exegese allein in dieser Frage entscheiden kann, da
die befragten Schriften des NT ja eben noch nicht in der
auf S. 1 geschilderten Situation einer „nachchristlichen"
Welt stehen, in der das verkündigende Wort seine Kraft
zum Teil deshalb verloren hat, weil seine Inhalte allzu bekannt
sind bzw. zu sein scheinen. Aber natürlich ist die exegetische
Rückfrage nicht belanglos, also auch nicht der Aufweis
, daß für das NT in ganz verschiedenen Schriften Wort-
und Verhaltenszeugnis immer zusammengehören und daß
das verkündigte Wort nicht ohne eine Entsprechung im Tun
und Verhalten der Christen bleiben kann.

Es leuchtet unmittelbar ein, daß E. A. zu diesem Zweck in
zweien der vier Hauptteile besonders das Matthäus-Evangelium
(Teil B, S. 95-133) und den 1. Petrusbrief (Teil D,
S. 167-214) heranzieht. Für Mt läßt sich wohl der Satz, daß
„Verhalten als Zeugnis" die „thematische Leitlinie" der
Bergpredigt sei (S. 126), angesichts des programmatischen
Abschnitts 5,13—16 durchaus vertreten; jedenfalls ist klar,
daß nach Mt die Zugehörigkeit zu Jesus nicht ohne die
praktische Übung der „Gerechtigkeit" denkbar ist. Dabei
betont die Vfn., daß diese Forderung von Mt theologischgrundsätzlich
gemeint ist und daß eine besondere Verfolgungssituation
— die nur noch diesen Weg des Zeugnisses
übrigließe — dabei keine Rolle spielt. Die Tat ist also weder
Ersatz noch auch nur Begleitung für die Verkündigung, sondern
gehört mit ihr grundsätzlich zusammen. — Ähnliches
gilt für den IPetr, der freilich das Bild einer stärker unter
Leidensdruck stehenden Christenheit zeigt. Aber auch hier
entfällt die Verpflichtung zum Wortzeugnis nicht (IPetr
2,9f. - S. 170-180). Doch erfährt hier das Moment des Verhaltenszeugnisses
stärkere Konkretion, wobei sich E. A. besonders
der Weisung an die christlichen Ehefrauen (3,1 f. —