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Ausgabe:

1980

Spalte:

362

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bainton, Roland Herbert

Titel/Untertitel:

Yesterday, today, and what next? 1980

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 5

362

so sehr heraus — Ordnung oder doch Neuordnung. Seitdem
sind sie wohl die für die Wissenschaft zugänglichsten ,Haus-,
Hof- und Staatsarchive' (um solche handelt es sich) der Welt.
Daß die Öffnung der Vatikanischen Geheimarchive insofern
eine unvollständige blieb, als viele Akten einzelner Kurienbehörden
(insbesondere der Glaubenskongregation, früher
der Inquisition, nicht aber interessanterweise der Propaganda
Fide), deren Existenz sich nur erraten läßt, bis heute
bei diesen Behörden lagern, deutet Chadwick nur eben an.
Ein weiteres Kapitel, das hinzuzudenken bliebe, ist die aus
alter diplomatischer Schule erwachsene Kunst, über bestimmte
Vorgänge überhaupt keine Schriftlichkeiten entstehen
zu lassen.

Chadwicks hier im Druck vorliegende Oxforder Vorlesungsreihe
von 1976 ist eine in mehrfacher Hinsicht beispielhafte
Studie. Sie erzählt in gepflegtem und klarem Englisch
einige besonders anschauliche Archiv-Vorgänge: den
verdeckten und offenen Kampf um die Akten des Galilei-
Prozesses, das Ringen um die amtlichen und nichtamtlichen
Papiere des Konzils von Trient und die Freigabe der Bestände
zu der nach dem Unfehlbarkeitsdogma von 1870 besonders
heiklen Gestalt des Borgia-Papstes Alexander XI.

Die Studie bedenkt ferner die Ausbildung einer eigenständigen
katholischen Geschichtswissenschaft, die beides
erreichte: nach außen wie nach innen die Anerkennung als
Geschichtswissenschaft und nach innen die Anerkennung als
römisch-katholisch. Zwei Herausforderungen hatte es hierfür
gegeben: die ältere, gegründetere und geübtere protestantische
Geschichtsschreibung und jene Geschichtsschreibung
, deren Autoren durchaus Katholiken waren, in ihrer
Arbeit aber alles andere als kirchliche Ziele verfolgten. Als
man noch die Protestanten fürchten und durch Gegendarstellungen
überwinden zu müssen meinte, wuchs der innerkatholische
Widerspruch und Gegensatz als die eigentliche
Gefahr heran. Es gehört zu der Größe Papst Leos XIII., dies
ahnungsvoll und dann immer bewußter erkannt und Entscheidungen
getroffen zu haben, die sich als nicht mehr
rücknehmbar erweisen sollten. Seitdem haben die Schätze
der Vatikanischen Geheimarchive die Geschichtswissenschaft
und die Geschichtskenntnis in einer kaum zu überbietenden
Weise bereichert. Das ist so fortgegangen, und als
eine seiner ersten bedeutsameren Amtshandlungen gab
Papst Johannes Paul II. am 22. Dezember 1978 eine weitere
Archivöffnung bis zum Ende des Pontiflkats gerade jenes
Leo-Papstes (1903) bekannt.

Chadwicks Studie reflektiert schließlich durchgängig die
Methodik von Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung
überhaupt. Die Männer und Denker vor 150 Jahren
waren noch ganz der Erwartung hingegeben, daß, wenn nur
alle Archive geöffnet würden, die Vergangenheit so ans
Licht träte und dargestellt werden könnte, wie sie wirklich
gewesen. Wir nun wissen: „Archives are bulky, history is
selective" (140), und mehr denn je erhält der Historiker die
Aufgabe, Geschichte so darzustellen, daß sie unter Menschen
auch wirklich mitteilbar wird.

Das Haupt- und Herzwort, das Chadwick hier gebraucht,
heißt Impartiality. Er definiert den Begriff nirgends und tut
gut daran. Was Chadwick leistet und liefert, ist selber ein
Stück Impartiality und insofern deren beste Definition. Impartiality
erscheint bei ihm als eine aus hingebungsvollen
Forschungen erwachsene neue Unbefangenheit — nicht so
sehr als Unparteiischkeit, die das unerläßliche lebendige Ich
des Historikers verleugnen würde. Der Historiker kann viel
von einem weisen Richter lernen, ein Richter selber aber ist
er nicht. Es gehört vielmehr zu den Voraussetzungen seiner
Unbefangenheit, dies erkannt zu haben.

Impartiality in einem weiteren Sinne und für größere
Themenbereiche — etwa für den des Papsttums — wird sich
nur im fortwährenden Prozeß der Geschichtsschreibung erstreben
und erheben lassen. Wer heute nur Leopold von
Ranke oder nur Ludwig von Pastor sich auf den Arbeitstisch
stellt, wird die Papstgeschichte — um bei diesem Beispiel zu
bleiben — nicht hinreichend impartial erfassen. Daß wir aber

so vorzügliche und einander ergänzende Werke besitzen, ist
eine der überraschendsten Folgen des einstigen Auseinandergehens
in Kirchen und Konfessionen.
Bensheim Heiner Grote

Bainton, Roland H.: Yesterday, Today, and what Next? Re-

flections on History and Hope. Minneapolis: Augsburg
Publ. House 1978. 141 S. 8».

Der Vf., Prof. em. in Yale, ist durch verschiedene Publikationen
zur Luther- und Reformationsgeschichtsforschung
bekannt geworden. In dem vorliegenden Band bietet er eine
Reihe von Essays, die alle von verschiedenen Seiten her
prinzipielle Probleme von Geschichtserfassung, -Verständnis
und -interpretation theologisch reflektieren. Das geschieht
nicht abgesondert von der Geschichte, die der Vf. selbst erlebt
hat und erlebt. Gerade diese Weise des Nachdenkens
über das Geschichtsproblem macht den Band so lesenswert.
So erfährt man des Vf. Meinung zu verschiedenen wichtigen
und auch aktuellen Themenstellungen, die das Verhältnis
sowohl von Geschichte und Glaube als auch von Geschichte
und Ethik betreffen: Historismusproblem, Fortschritt, Gott,
Jesus, Auferstehung, Kirche. Für Bainton konzentriert sich
alles auf die Frage, „whether one can make sense of it all?"
(9).

M. P.

Kötting, Bernhard: Kirchengeschichte im Wandel — Rückblick
auf ein halbes Jahrhundert. Abschiedsvorlesung, gehalten
am 16. Februar 1978. Glaubensfreiheit — Religionsfreiheit
— Toleranz. Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft
in Rom, gehalten am 24. April 1978. Münster (W.):
Aschendorff 1979. 38 S. 8° = Schriften der Gesellschaft zur
Förderung der Westfälischen Wilhelm-Universität zu
Münster, 66. Kart. DM 3,-.

Der 1. Vortrag des katholischen Kirchenhistorikers nennt
neu erschlossene Quellen und konstatiert einen Wandel zu
mehr geistiger Weite und Freiheit, der auch eine positivere
Beurteilung anderer Religionen mit einschließt. Der 2. Vortrag
läuft auf eine Gegenüberstellung hinaus zwischen den
Positionen des Kirchenvaters Augustin und denen des zweiten
Vatikanischen Konzils.

G. H.

Brauer, Jerald C: Conversion: From Puritanism To Revi-
valism (JR 58, 1978 S. 227-243).

Brox, Norbert: Fragen zur „Denkform" der Kirchengeschichtswissenschaft
(ZKG 90, 1979 S. 1-21).

Constantelos, Demetrios J.: The ,neomartyrs' as evidence for
methods and motives leading to conversion and martyr-
dom in the Ottoman Empire (GOTR 23, 1978 S. 216-234).

Lafont, Ghislain: La pertinence theologique de l'histoire.
Dialogue avec Pierre Gisel (RSPhTh 63, 1979 S. 161-202).

Meijer, Alberic de; Schrama, Martijn: Bibliographie histo-
rique de l'ordre de Saint Augustin 1970—1975 (Aug[L] 28,
1973 S. 448-516).

Retzlaff, Georg: Die äußere Erscheinung des Geistlichen im
Alltag: eine Untersuchung zur Frage des ,habitus cleri-
calis' im Spiegel synodaler Entscheidungen von 398 bis
1565 (IKZ 69, 1979 S. 88-115. 129-208).

Schieder, Theodor: Selbstverständnis und Lage der Geschichtswissenschaft
heute (Univ. 33, 1978 S. 245—251).

Schmidt, Kurt Dietrich, u. Gerhard Ruhbach: Chronologische
Tabellen zur Kirchengeschichte. Beigefügt Synoptische
Zeittafeln, bearb. von H. Reiler. 4. Aufl. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1979]. 90 S. u. 17 S. gr. 8» =
Grundriß der Kirchengeschichte. Erg. Bd. Kart. DM 19,80.