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Ausgabe:

1980

Spalte:

355-357

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Latourelle, René

Titel/Untertitel:

L' accès à Jésus par les Évangiles 1980

Rezensent:

Dantine, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 5

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zendentalen Imperative und kategorialen Anweisungen ist
dann auch zu fragen, wie weit die einzelnen „operativen
Handlungsnormen" unter Umständen zeitbedingt gefaßt
sind (112).

In 5: ,„... und Lehrer'"10 schließlich handelt Sch. über „Die
geistliche Eigenart des Lehrerdienstes und sein Verhältnis
zu anderen geistlichen Diensten im neutestamentlichen Zeitalter
" (Untertitel; 116—156), unter gründlicher Verarbeitung
der Texte und weitreichender (z. T. kritischer) Vorführung
der Literatur. Dabei erscheinen in I die Weitergabe der
Paradosis und in II das Verhältnis von Lehr- und Leitungsfunktionen
als besonders bedeutsam. — Die Fülle der von
Sch. erhobenen historischen und weiterführenden Einsichten
kann hier nicht einmal angedeutet werden; bieten die Abhandlungen
doch reife Früchte jahrzehntelanger, in theologischer
Verantwortung getaner Arbeit am Neuen Testament
.

Halle (Saale) Gerhard Delling

1 Untertitel auf dem Umschlag: Exegetische Aufsätze III.

2 Zum Beispiel als Peritus des II. Vatikanischen Konzils und als
Konsultor der Päpstlichen Bibelkommission.

3 Der Band ist den Theologischen Fakultäten von Löwen und Upp-
sala zum Dank für die Verleihung der Würde eines Ehrendoktors
gewidmet.

« Sie sind z. T. überarbeitet, z. T. mit Nachträgen besonders zur
Literatur versehen.

5 Erstmals in Cath 25, 1971, 22-62. In anderer Fassung bei Erdmann
Schott (Hrsg.), Taufe und neue Existenz, Berlin 1973, 21-52.

« Einleitend erklärt Sch. die Zusage des Neuen Bundes als für alle
Beiträge des Bandes hintergründig bedeutsam (9.11).

» 2 erschien erstmals in ThQ 152, 1972, 303-316; 3 in Cath 26, 1972, 15
bis 37.

8 Zu dem in 3 und 4 behandelten Thema der Verbindlichkeit (zu 4
ausdrücklich im Untertitel angegeben) vgl. den ThLZ 102, 1977 Sp.
466 f. durch J. Wiebering referierten Aufsatz Sch.s.

9 Wie die „Konkretisierungen der Nächstenliebe" (101).

10 Zuerst in: Dienst der Vermittlung, Festschr. zum 25jährigen Bestehen
des Philos.-Theol. Studiums im Priesterseminar Erfurt, Leipzig
1977, 107-147.

Latourelle, Rene: L'acces ä Jesus par les evangiles. Histoire
et hermeneutique. Tournai: Descle; Montreal: Bellarmin
1978. 270 S. gr. 8° = Recherches, 20. Theologie. Kart. ffr.
39,-.

Rene Latourelle SJ., Fundamentaltheologe, zunächst in
Montreal, jetzt in Rom an der Gregoriana, legt eine kritische
Darstellung der Diskussion des Problems des historischen
Jesus und einen eigenen Lösungsversuch vor. Die Darstellung
ist knapp, klar und korrekt. Seine Kenntnis der
Diskussion ist gut, wenngleich verständlicherweise katholische
und französische Arbeiten mit Vorzug zitiert werden.
In Fragestellung und Denkstil ist es ein katholisches Werk,
was aber der grundsätzlichen Bereitschaft, andere Autoren
zu verstehen, keinen Abbruch tut.

Ausgangspunkt ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit
des Christentums. Denn: „das Problem der Glaubwürdigkeit
betrifft die Größe des Christentums ebenso wie die Radikalität
seiner Forderungen" (7). Diese Glaubwürdigkeit
ist nun offenbar durch die kritische Forschung in Frage gestellt
, da durch sie historisches Ereignis und Interpretation
auseinanderzufallen drohen. Auf der anderen Seite kann
nicht an der kritischen Forschung vorbeigegangen werden.
Vf. will sie einholen mit einer „totalen Exegese", die Ereignis
und Interpretation nicht trennt, auch wenn sie beides
unterscheiden muß (24).

In einem ersten großen Teil beschreibt er die Evolution
der Kritik, beginnend mit einer ersten Phase der Radikalisierung
(Reimarus bis Bultmann) bis zu den Positionen der
heutigen katholischen Exegese. Letzterer wird attestiert, daß
sie sich sowohl mit der historischen Forschung als auch mit
der Christologie im eigentlichen Sinne befaßt: „Was Jesus
wirklich war während seines irdischen Lebens unter uns,
ist normativ für alle weiteren Überlegungen: jene des
Neuen Testaments, jene der Konzilien und jene der Theologen
. Man muß Jesus als Quelle und Basis der Christologie
kennen" (98). Wird nämlich die Interpretation völlig vom
Ereignis, von der historischen Person Jesu getrennt, wird
aus dem Christentum eine Gnosis. In einem kurzen zweiten,

methodologischen Teil, stellt Vf. nochmals ausdrücklich fest,
daß die kritisch-historische Forschung geboten ist und auch
dem Charakter des Evangeliums selbst entspricht: „Indem
die Evangelien die Geschichtlichkeit als Dimension des Heiles
in Jesus Christus anerkennen, sind sie den Kriterien der
historischen Forschung unterworfen."

Der eigene Lösungsversuch beginnt scheinbar auf einem
Nebengleis: Vf. unterscheidet zwischen interner und externer
Kritik, wobei erstere den Text in sich selber sieht, die
externe Kritik die Aufnahme und Behandlung der Texte
durch andere Zeugen, vor allem durch die neuapostolische
Kirche beachtet. Diese Kritik hätte noch immer Bedeutung,
u. zw. bezüglich der Verfasserschaft, der Autorität der Evangelien
in der Kirche und der Haltung der Kirche gegenüber
abweichenden Strömungen. Der nächste Schritt stellt eine
Kritik der formgeschichtlichen Methode dar, deren Verdienst
herausgestrichen wird, die aber den Bruch zwischen
dem historischen Jesus und dem geschichtlichen Christus
überbetont habe. Auch habe sie die Urgemeinde in ihrem
gesellschaftlichen Milieu, ihr Verhalten gegenüber der Umwelt
studiert, nicht aber ihr inneres Verhalten. Schließlich
habe sie auch die Redaktionsgeschichte vernachlässigt. Hier
rekurriert Vf. besonders auf die Arbeit von H. Schürmann,
der die Aufmerksamkeit darauf lenkt, daß die vorösterliche
Gruppe der Jünger und die nachösterliche Gemeinde ja
nicht nur in einer „Kontinuität der Erinnerung" („eine
ziemlich brüchige Luftbrücke"), sondern in einer „wahrhaften
Kontinuität der Tradition" verbunden sei (160). Hat
die Formgeschichte den „externen Sitz im Leben" behandelt
(sichtbare Situationen und Aktivitäten), ergänzt Schürmann
sie durch die Beachtung des „internen Sitzes im Leben
", der sich ergibt aus den interpersonellen Beziehungen,
die die Glieder der Kirche untereinander vereinen im gleichen
Glauben und in den gleichen Wertvorstellungen (162).
So ist die Achse der Problemlösung gefunden. Es geht darum
, zu wissen, „welches die Beschaffenheit des kirchlichen
Milieus ist, der Gebärmutter und des Nährbodens der Tradition
" (171). Die Antwort darauf ist durch eine „Art der
Psychoanalyse" zu finden, durch die semantische Prüfung
der Hauptvokabeln: „Wenn wir durch das Studium der privilegierten
Vokabeln dahin gelangen, den internen Sitz des
Lebens der Urgemeinde (Tendenzen, Haltungen, Uberzeugungen
, Mentalität) zu bestimmen, sind wir im Besitz eines
wichtigen Kriteriums, die Eigenschaft des kirchlichen Milieus
zu beurteilen, in dem sich die evangelische Tradition
geformt hat. Die Treue der Evangelisten zur Kirche hat zum
Garanten die Treue der Kirche selbst zu Jesus. Wir werden
dann nicht nur gezeigt haben, daß es eine Kontinuität zwischen
Jesus und der Kirche gibt, sondern auch, daß es auch
Kontinuität der Kirche zu Jesus gibt, denn die Haltung der
jungen Kirche in den Jahren, in denen sich die Tradition
geformt hat, ist in radikaler Weise die der Treue gewesen"
(172). Im folgenden werden die Vokabeln Paradosis u. a.
untersucht und deren Bedeutung sehr hoch veranschlagt:
„Eine Gemeinschaft, die so sehr unter dem Zeichen der Paradosis
lebt, lebt unter dem Zeichen der Treue und nicht
der abenteuerlustigen Innovation" (175). Aber die Tradition
wurde nicht mechanisch, sondern dynamisch weitergegeben
(182). Ebenso werden die Vokabeln Zeuge, Apostel
u. a. und die Ämter untersucht. Das Ergebnis ist gleich: „Das
Basis-Vokabular zeigt nur eine einzige Intention: Jesus und
die Treue zu Jesus" (196). Dieses Ergebnis wird schließlich
abgestützt durch eine Darstellung neuerer Arbeiten zur Redaktionsgeschichte
und durch Überlegungen über Kriterien
für die Authentizität. Dabei habe letztlich zu gelten: „In
dubiis stat traditio" (235 ff.). Damit ist die Arbeit abgeschlossen
, die Verbindung zwischen Ereignis und Interpretation
hergestellt, der Historiker kann sagen, was Jesus gesagt
, was er getan hat. Es kann vermieden werden, daß das
Evangelium eine „einfache Lehre, eine Ideologie wird, abgelöst
von seinem Autor, eine Botschaft ohne Boten, was
ein entscheidender Fehler wäre in diesem Fall, denn die
Botschaft hat zum Gegenstand den Boten selbst" (253).