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Ausgabe:

1980

Spalte:

347-349

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pope, Marvin H.

Titel/Untertitel:

Song of songs 1980

Rezensent:

Gerleman, Gillis

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 5

348

Mit gleicher scharfsinnig literarkritischer und exegetischer
Methodik nähert sich der Vf. in Kap. V (131-164) auch
der Perikope Gen 18, 22—33, die er inhaltlich vom Kontext
abtrennt. Behandelt wird darin die Frage, mit welchem
Recht um des Strafgerichts an einer sündigen Stadt willen
auch die, wenn auch wenigen, in ihr zu vermutenden Gerechten
zugrunde gerichtet werden dürfen, oder wie sich individuelle
Verantwortlichkeit für das eigene Tun zur kollektiven
Haftung verhält (148). Für Abraham steht fest, „daß
das Ergehen des Gerechten unter keinen Umständen vom
Geschick abhängen darf, das die Gesamtheit verdient hat"
(149), eine Einstellung, die nach Schmidt ohne die Verkündigung
Ezechiels nicht möglich ist (158). „Für die Abfassung
des Gesprächs kommt der gleiche Zeitraum in Frage wie für
den Grundbestand von Jon 3f. Als terminus a quo wird man
einige Jahrzehnte nach 587 ansetzen müssen." (164)

Ähnliche theologische Anfragen wie an das Jona-Buch
und Gen 18, 22 ff. richtet der Vf. in Kap. VI (165-191)
schließlich an Hi 1. Dieses Stück entstammt ebenfalls Kreisen
, in denen ein theologisches Denken gepflegt wurde, das
mit der Weisheit in Verbindung zu bringen ist (165). Auch
in diesem Zusammenhang dient die Verwendung des Gottesappellativs
Elohim zur Unterscheidung von den Stücken, die
den Jahwenamen gebrauchen. Als Grundbestand einer alten
Hioblegende kristallisiert der Autor die Elohim verwendenden
Verse 1-5.13-19. 20a-21aa. 22 heraus. Dagegen gebraucht
der Bearbeiter in den Versen 6-12. 20b. 21a/3b den
Jahwenamen.

In einem im Petit-Druck dargebotenen Teil (168—177) wird
ein Rückblick in die Forschungsgeschichte der Hiob-Rah-
menerzählung eingeblendet. Als Ergebnis wird festgestellt,
daß der Grundbestand von Kap. 1 des Hiob-Buches eine alte
Hioblegende widergibt, in der verdeutlicht wird, „wie sich
der wahre Fromme im Unglück zu verhalten hat" (177). „Als
der außergewöhnlich Gehorsame verfolgt Hiob keine eigenen
Wünsche und Ziele, die nicht mit dem Willen Jahwes
übereinstimmen und in ihm gründen." (182). Erst spätere
Bearbeitungen des Textes, auch in Kap. 2, ermöglichten
dann die weitere Ausarbeitung zum Hiobdialog, der hier
jedoch nicht erörtert werden soll. Auch die herausgeschälte
Hioblegende ist also ein Stück „erzählender Dogmatik", da
hier ja eigentlich Aussagen über Gott und sein Wesen gemacht
werden, die übrigens auch keinesfalls aus der vor-
exilischen Zeit stammen können (186).

Die gesamte Darbietung läßt deutlich einen eigenständigen
theologischen Entwurf erkennen. Das ist die Stärke dieser
Untersuchung und dann wohl auch gleichzeitig ihre
Schwäche. Zeitweilig wird der Leser von der Frage beunruhigt
, ob die scharfsinnigen Anfragen, die der Autor ventiliert
, nun wirklich aus dem Text hergeleitet sind, oder ob
hier nicht ein fast unduldsamer, systematisch-theologischer
Ansatz eine Einstellung zum Text gezeugt hat, unter der die
freilich schwächere theologische Reflexion des alttestament-
lichen Erzählers doch in eine Perspektive gerückt wird, die
sie ursprünglich nicht gehabt hat. Freilich darf von theologischen
Positionen bei der Aufzeichnung und Überarbeitung
von Erzählstoffen des Alten Testaments nicht abgesehen
werden, sondern sie muß stark in Erwägung gezogen
werden. Dennoch scheint der eigene Erzählungswille der
alttestamentlichen Autoren in dieser Untersuchung wohl
stark hinter die Auffassung der Interpreten zurückgedrängt
worden zu sein.

Halle (Saale) Gerhard Wallis

Pope, Marvin H.: Song of Songs. A New Translation with
Introduction and Commentary. Garden City, N. Y.: Dou-
bleday 1977. XXIII, 743 S., 1 Taf. gr. 8° = The Anchor
Bible, 7 C. Lw. $ 12,-.

White, John Bradley: A Study of the Language of Love in
the Song of Songs and Ancient Egyptian Poetry. Missoula,
Mont.: Scholars Press [1978]. 217 S. 8° = Society of Biblical
Literature, Dissertation Series, 38. $ 6,—.

Dieser umfangreiche, mit zahlreichen Zeichnungen und
Photographien versehene Hoheliedkommentar von Marvin
H. Pope besteht aus zwei größeren Abschnitten: Übersetzung
und Einleitung (1-229) und eine Vers für Vers durchgehende
Auslegung (292-701). Zwischen den beiden Hauptabschnitten
findet sich eine ausführliche Bibliographie und
am Ende des Buches Register der Namen, Sachen, Wörter
und Textstellen.

In der Einleitung werden die Kanonizität, die alten Ubersetzungen
, der textliche Zustand und die Sprache sehr kurz
behandelt. Zur Datierung des Hhld werden mehrere Vorschläge
präsentiert, ohne daß der Kommentator seine eigene
Ansicht bekanntmacht. Am ausführlichsten wird ein Aufsatz
von Chaim Rabin referiert, nach welchem das Hhld
von der indischen Tamilpoesie abhängig sein soll. Indische
Mythologie wird öfter herangezogen, ohne daß der Leser
genau erfährt, welchen Wert sie für die Auslegung des Hhld
haben mag.

Der größte Abschnitt der Einleitung wird einem Auslegungsbericht
gewidmet. Jüdische und christliche Deutungen
aus ältester Zeit ebenso wie spätere und moderne Interpretationen
kommen hier zur Sprache. Auch in dem eigentlichen
Kommentar nimmt die Präsentation verschiedener
Deutungen einen breiten Raum ein; jedem Vers wird außerdem
eine Übersetzung des Targums mitgegeben. Diese
Schreibart macht den Kommentar zu einer wahren Fundgrube
für den Leser. Ihre Kehrseite ist ein weitschweifendes
und bisweilen unkritisches Anhäufen von Material. Ein urwüchsiger
Drang nach Assoziationen und „interessanten"
Parallelen hat den Kommentator zu weitschweifigen Ausflügen
gelockt, die ihn nicht selten vom Ziele weit entfernen.
Ein paar Beispiele! In Ugarit ebenso wie in frühchristlichen
Gemeinden soll bei den Begräbnisriten der Hund eine Rolle
als Symbol gespielt haben. Der Umstand, daß im Hhld dieses
Tier ja nirgends erwähnt wird, hat den Vf. nicht abgehalten
, dem Thema „Hund als symbolische Figur in den Begräbnisriten
" mehrere Seiten von Text und Abbildungen zu
widmen (211-215).

Noch befremdlicher ist die umfangreiche Rekapitulation
von Raphael Patais Arbeit „The Hebrew Goddess" (153 bis
179). Wenige Leser dieser 25 Seiten dürften einsehen, in welcher
Weise dies Buch für das Verstehen des Hhld Bedeutung
hätte, „its obvious relevance for the understanding of
the Song of Songs" (178).

Schon im Vorwort hat der Vf. auf den Satz hingewiesen,
den er als das eigentliche Thema des Hhld betrachtet: „Die
Liebe ist stark wie der Tod, und mächtig wie Scheol ist die
Leidenschaft", 8,6. Der Gegensatz von Liebe und Tod soll
Gipfel und Schwerpunkt des Hhld sein (210). Die Konfrontation
der beiden Mächte findet vor allem in der Trauerfeier
statt. Unter dem Namen marzeah erscheint in den ugariti-
schen Texten eine Trauerfeier mit bacchanalischen und
sexuellen Orgien. Das marzeafr-Haus von Ugarit soll nach
Pope in dem „Weinhaus", bet mischteh des Hhld eine Entsprechung
haben, „virtually synonymous" (221). Die Verknüpfung
von Trauerfeier und orgiastischer Trinkgelage soll
für die Auslegung des Hhld eine außerordentlich wichtige
Rolle spielen: „This approach seems capable of explaining
the Canticles better than any other and is able to subsume
aspects of other modes of interpretation as enfolding ele-
ments of truth" (228 f.). Die Leistungsfähigkeit dieses Deutungsschlüssels
wird indessen nur vereinzelt zur Probe gestellt
. Einen Hinweis auf die Trauerfeier findet Pope in 5,1,
u. zw. weil die in diesem Vers erwähnten Kostbarkeiten —
Myrrhe, Balsam, Honig — auch bei den Begräbnisriten zur
Anwendung kamen (222). Auch 7,10, vom Wein, „der über
die Lippen der Schlafenden schleicht", soll an Trauer und
Begräbnis denken lassen. Zur Teilnahme an den orgiasti-
schen Trinkgelagen wurden nämlich auch schlafende Menschen
befähigt, u. zw. mit Hilfe von Trinkröhren und Dienern
, die den Wein in den Mund der Schlafenden träufeln
ließ. Sogar ein Verstorbener konnte mit Hilfe von Röhren,
die in das Grab führten, am Trinken teilnehmen. Der Be-