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Ausgabe:

1980

Spalte:

331-338

Autor/Hrsg.:

Jenssen, Hans-Hinrich

Titel/Untertitel:

Die Polarität von Zeitnähe und Offenbarungstreue in der Naturpredigt 1980

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 5

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törM dann ein neues Verständnis geprägt, zumindest aber
eine Entwicklung des innerjüdischen Gesetzesverständnisses
unterstützt. Immerhin hat die so negative Gesetzesinterpretation
eines Marcion dieses strenge und unduldsame Gesetzesverständnis
zum Ausgang genommen, das alle Freude
am Gesetz ersterben läßt.

Dennoch bleibt die hingebungsvolle Liebe zu dem Gebot
und der Ordnung Gottes kräftiger Anspruch auf das ganze
Leben. Die Lebensbewältigung und Daseinsbejahung haben
mit einem verengten Gesetzesbegriff freilich eine empfindliche
Einbuße erlitten. Setzt man aber den Glauben an Gottes
Schöpfung und seinen gütigen Schöpferwillen und seine
erhaltende Treue stärker in Rechnung, als man es gemeinhin
tut, so wird man bei allen Problemen und drohenden
Gefahren sicher froher, freudiger und zuversichtlicher die
menschliche Existenz in dieser Welt sehen.

1 TWNT 4, 1942, 1037 f.

2 Vgl. Rom 3, 19; IKor 14,21, wo unter der Bezeichnung „Gesetz"
Zitate aus ganz anderen Büchern des Alten Testaments herangezogen
werden als aus dem Pentateuch.

3 J. Wellhausen, Israelitisch-jüdische Geschichte, 51904, S. 209.

4 RGG3 2, 1958, 1525.

5 416b-417a.

6 G. östborn, Tora in the Old Testament, a semantic study 1945,
S. 4 ff.

' J. Beglich, Die priesterliche Thora. BZAW 66, 1936, S. 63-88; RGG3
2, 1958, 1513 f.; THAT 2, 1976, 1032-1043.
8 Rom 3, 23; aber auch Hi 4, 17; 25. 4.

9 BHS.

10 S. Mowinckels Studie: „Loven og de 8 termini i SL 119, NTT 61,
1960, 95-159, war mir nicht zugänglich.

" A. Deißler, Psalm 119 (IIB) und seine Theologie. Ein Beitrag zur
Erforschung der anthologischen Stilgattung im Alten Testament.
München 1955, S. 74-86.

" Zuletzt S. Bergler, Der längste Psalm - Anthologie oder Liturgie
, VT 39, 1979, 257-288.

13 Vgl. A. Deißler, S. 270-281.

14 Vgl. 12. 26b. 124b; sc. Ordnungen 108b.

15 Vgl. 48c; sc. Befehle Jahwes 78b; sc. Vermahnungen 99b.

16 Vgl. 45b.

17 Vgl. 158.

18 Vgl. 79b.

11 Vgl. 141. 55b; sc. Jahwes Befehle 4b. 63b. 134b; sc. Jahwes Vermahnungen
88b. 146b. 167b. sc. Ordnungen 106b.

» Vgl. 9b. 57b.

21 Sc. Befehle 56b. 69b. 100b; sc. Vermahnungen 22b. 129b; sc. Gebote
115b; sc. Bestimmungen 145c; sc. Verbum näbäl 6.

22 Vgl. 61. 109; sc. Befehle 141b; sc. Gebote 176; sc. Vermahnungen
83b; Ordnung negativ 139b.

23 Vgl. 62b. 75a. 106b. 172b, denn Jahwe ist gerecht und rechtschaffen
.

24 Vgl. 40b. 149; sc. als Zusage 154b; sc. Gottes Wort 25b. 107b.

25 Vgl. 154b; 81b. 147b.

26 Vgl. auch 43c.

27 Vgl. 113b. 163b; mit anderen Begriffen verbunden 40a. 159a. 167b.

28 17. 38. 49. 65. 76. 84. 94. 124. 125. 135.

29 Wobei vielleicht an nächtliche Gottesdienste zu denken ist Ps
1,2; 8, 4; Jes 30, 29; 1QS VI 6 f.; Sukkoth 51b; Josephus, Contra
Apionem I, 22.

30 FS f. A. Berlholet, 1950, 418-437.

31 EvTh 10, 1950/51, S. 337-351.

32 Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge; BEvTh 78.
S. 55-78.

33 SVT 1, 1953, S. 120-127 = GfcS. Stud. 272-280.

34 Anal-Bilb. 52 = Recherches Africaine de Theologie 5, Rom 1973.

35 BWNT 4, S. 1016 f.

Die Polarität von Zeitnähe und Offenbarungstreue in der Naturpredigt

Vergleich von vier Predigten im Lichte der Strukturtheologie
Otto Haendlers

Von Hans-Hinrich Jenssen

Otto Haendler zum 90. Geburtstag

Zunächst seien drei der vier Predigten, um die es geht, in
Beschränkung auf den entscheidenden Vergleichspunkt,
kurz geschildert. In seinem Band „Predigten für Zweifler"
von Rudolf Schulz, München 1978, S. 149—155, der in einem
der nächsten Hefte der Theologischen Literaturzeitung besprochen
wird, findet sich eine Erntedankfestpredigt über
Pred 9,7—10 mit dem Thema „Erntedank ohne Nostalgie".
Der Prediger kommt darin auch auf die Dürrekatastrophe der
Monate Juni/Juli 1976 zu sprechen. Er erzählt, wie er während
der Dürreperiode in seinem Urlaubsort am Mittelmeer
Zeuge des Gespräches zweier deutscher Touristen wird. Sie
kritisieren scharf eine Zeitungsmeldung „Pfarrer beten um
Regen", in der gesagt wird, Pfarrer einer deutschen Landeskirche
hätten am letzten Wochenende Gott inständig um das
Ende der Dürreperiode gebeten. „Sie hielten es nicht für
möglich, daß Menschen des 20. Jahrhunderts in unserem
Kulturbereich annehmen könnten, durch Gebet werde der
Regen herbeigerufen. Einer der beiden Gesprächspartner
meinte, unter solchen Umständen müsse er sich überlegen,
ob er einer Kirche noch angehören könne, die sich den Regen
von Gott erhofft. Der andere gab zu verstehen, er habe
bereits vor zwei Jahren den Kirchenaustritt erklärt und
sehe sich jetzt in der Richtigkeit dieser Handlung bestätigt."
Dann zitiert der Prediger die Parole: „Ohne Gott und Sonnenschein
bringen wir die Ernte ein." Und er zieht dann das
Resümee: „Beide Szenen — das Beten jener Pfarrer um Regen
ebenso wie — in negativer Version — die Spruchband-
Provokation der LPG — signalisieren so etwas wie theologische
Nostalgie. Sie bedeuten nämlich einen Rückfall in
jene Zeit, als die Götter noch für Regenmacher gehalten
wurden. Im übrigen — der erbetene Regen kam noch lange
nicht. Die Dürre fing erst richtig an. In anderen Gegenden
dieser Erde — etwa in der total ausgedörrten Sahel-Zone —
ist der Regen trotz inständigen Betens bereits seit Jahren
ausgeblieben. Wenn vor zweitausend Jahren Menschen von
den Göttern Regen und Sonnenschein erbaten und erwarteten
, so war das eine ihrem Wissensstand angemessene Haltung
. Wenn jemand das in unserem Kulturkreis heute tut,
dann ist das eine nicht zu verantwortende theologische Nostalgie
. Die Reaktion meiner Strandnachbarn am Mittelmeer
ist voll verständlich. Die massive Erwartung, den Gebeten
werde der Regen folgen, ist nichts anderes als in
christliches Gewand gekleideter Aberglaube. Gott ist kein
Wolkenschieber" (151). Der dann folgende letzte Teil der
Predigt verläßt dementsprechend das Thema Wetter und
Gott und ermutigt dazu — im Sinne des Predigttextes — ohne
falschen Asketismus das Leben in Dankbarkeit zu genießen.
Dazu gehört, daß man lernt, im Alltäglichen das Wunder
und das Dankenswerte zu sehen, denn angesichts der Begrenztheit
menschlichen Lebens sind Nahrung und eigene
Leistungsfähigkeit keineswegs selbstverständlich. „Erntedankfest
ohne Nostalgie! Essen und Trinken dürfen etwas
Schönes sein. Geben wir unserer Freude Raum! Unsere Tage
sind flüchtig. Bringen wir unsere Dankbarkeit zur Sprache!
Darin bleiben wir in Gott, öffnen wir die Hand für diejenigen
, die ohne unsere Hilfe brot-los sind. Das wäre dann der
Dank der Beschenkten" (154).

In stärkstem Kontrast zu dieser Predigt steht die von
Pfarrer Lic. Fritz D o s s e über Hiob 37, 2—13, die in den
zwanziger Jahren in der Gemeinde Wiershausen an dem
dort am 27. Mai jährlich noch üblichen Hagelfeiertag gehalten
wurde (Natur- und Wetterpredigten, hrsg. von Fritz
Dosse, Dresden 1929, S. 26—29): „So sagen wir mit unserem
Textwort und mit unseren Vätern: Unser Gott ist ein Gott
des Wetters. Und wir lernen daraus erstens: Wir sollen ihn
fürchten, zweitens: wir sollen zu ihm beten, drittens: wir
sollen ihm danken." Nach einem kurzen Hinweis auf die
naturwissenschaftliche Erklärung des Gewitters heißt es
dann: „Ja, aber woher kommt diese Elektrizität in die Luft
und wer regiert die Gewitter? Ist es ein bloßer Zufall, wenn
hier ein Unwetter vorüberzieht und wenn es an einer anderen
Stelle niederkommt und alle Frucht auf den Feldern
vernichtet? Das wäre doch ein armseliger Gott, der in seiner
Schöpfung nichts zu sagen hätte, und der den Segen, den er