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Ausgabe:

1980

Spalte:

309

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Für Gottes Volk auf Erden 1980

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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309

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

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die Veröffentlichung im Interesse einer weiteren Wirkung dieser
guten Initiative zu begrüßen ist. Beispiele für neue Gottesdienste
, „offene Türen" im Gemeindelcben, familicnbczogenc
Arbeit, Hauskreise und andere Gruppen, Besuchsdienst usw.,
nicht zuletzt für verantwortliche Leitungstätigkeit durch sog.
Laien vermitteln ein anschauliches Bild von praktizierter Haushalterschaft
. Informationen über die Görlitzer Synode und ein
theologischer Beitrag „Zur Laienfrage" ergänzen die „Börse".
Kurze Einführungen sowie Zusammenfassungen mit Litcratur-
angaben und ein Sachwortverzeichnis erleichtern die Auswertung
dieser Publikation, die in erfreulicher Weise bezeugt, wie
synodale Arbeit praxisnah sein kann, wenn die „Laien" wirklich
zu Wort kommen.

E. w.

Für Gottes Volk auf Erden. Ökumenischer Fürbittkalender.
Hrsg. in Zusammenarb. mit der Arbcitsgem. christl. Kirchen
in der Bundesrepublik Deutschland, in der Deutschen Demokratischen
Republik und in der Schweiz vom Ökumcn. Rat
d. Kirchen. 2. Aufl. Frankfurt/M.: Lembeck und Knecht 1979.
230 S. gr. 8°. Kart. DM 16,80.

Dieser Band, nach wenigen Monaten in 2. Aufl. erschienen, ist
die Umsetzung einer Empfehlung in die Praxis. Der Bericht
über die Einheit der Kirchen auf der 5. Vollversammlung des
ÖRK in Nairobi 1975 rief dazu auf, alle Kirchen „mögen ihre
Mitglieder zu ständiger, konkreter Fürbitte für die anderen
Kirchen ermutigen und anleiten" (Bericht aus Nairobi, S. 35).
Hier liegt die deutschsprachige Fassung vor, die nach einem
Vorwort (5) eine Einleitung (7-11), dann unter der Überschrift
„Zur Verwendung" (12-14) detaillierte Hinweise gibt. Sodann
folgt das Fürbittkalendarium (16-222). Für jede Woche des
Jahres (insgesamt also 52 Teile) sind Kirchen eines Landes bzw.
einer Region ausgewählt, so daö festliegend in jeder Woche
einer bestimmten Region unserer Erde fürbittend gedacht werden
kann. Anhand einer schematischen Landkarte werden jeweils
die dort vertretenen Kirchen genannt, kurz beschrieben,
dann folgen Anregungen zu Dank und Fürbitte sowie ein aus
der betreffenden Region charakteristisches Gebet. „Fürbitte ist
der erste Schritt zu einer volleren Manifestation der Liebe" (10).

M. P.

Ökumenik: Allgemeines

Miguez Bonino, Jose: Theologie im Kontext der Befreiung.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (1977). 158 S. gr. 8°
Theologie der Ökumene, 15. Kart. DM 24,-.

Die im Frühling 1974 in Buenos Aires geschriebene, in den USA
1975 erschienene Arbeit (Fortress Press, Philadelphia; Original-
titcl: Döing Theology in a Rcvolutionary Situation, übers, von
Anneliese Gensichcn) liegt nun auch auf deutsch vor. Die Situation
der Unterdrückung hat sich in Lateinamerika seither weiter
brutalisiert, und zahlreiche Vertreter der sich hoffnungsvoll
artikulierenden Befreiungstheologie sind in den Verliesen der
Diktatoren verschwunden, gefoltert und verstummt, oder außer
Landes gejagt. So liest man das Buch nachgerade wehmütig
wie einen Nekrolog. Hinzu kommt, dafj Vf. schon 1974 sein
Unbehagen darüber nicht verhehlt, dafj die lateinamerikanische
„Theologie der Befreiung" (von der er sagt, ihre Vorkämpfer
seien je länger desto unglücklicher über den Begriff) „immer
mehr zu einem Konsumartikcl auf dem europäisch-nordamerikanischen
Markt der Theologie geworden" sei, (Vorwort, S. 5)
während er und andere lateinamerikanische Theologen eifersüchtig
die Authentizität ihrer Sache verteidigen. Allerdings ist
sie als eine „Frage an den christlichen Gehorsam unserer christlichen
Brüder anderswo in der Welt, wenn auch eine Frage,
die sie nur für sich selbst beantworten können" ausgegeben. Es
geht dabei um Besinnung auf den und über den Befreiungskampf
, die sich „in vielerlei Weise" äufjcrt: „in Gespräch oder

Lied, in Gebet oder Klage", und die an den unterschiedlichsten
Orten stattfindet: „irgendwo im Exil, in einem Klassenzimmer
oder Andachtsraum, bei Stadt- und Dorfgucrillas, in Gewerkschaften
oder politischen Parteien".

Nach „Vorwort" und „Einleitung" fragt Vf. in einem I. Teil:
„Eine neue Christenheit?" und entfaltet die Frage in vier Kapiteln
: (1) Jenseits von Kolonialismus und Neokolonialismus,
(2) Zum Verständnis unserer Welt, (3) Erwachen des christlichen
Bewußtseins, (4) Die Theologie der Befreiung. Im II. Teil geht
es um „Kritische Reflexion"; sie betrifft (5) Hermeneutik, Wahrheit
und Praxis, (6) Liebe, Versöhnung und Klassenkampf
(7) Reich Gottes, Utopie und geschichtlicher Auftrag, (8) Kirche,
Volk und Avantgarde. Der Verlag empfiehlt den Band als Vereinigung
einer Geschichte der Theologie der Befreiung vor
dem Hintergrund der lateinamerikanischen Gesamtsituation und
eines eigenständigen, konstruktiven Beitrags eines Protestanten
dazu. Er macht geltend, daß „die katholischen Ansätze . . . hier
ebenso zu ihrem Recht (kommen) wie die protestantischen, die
sozio-politische Analyse wie die eigentlich theologischen Aussagen
". Der Vf. kenne die neuralgischen Punkte des Gesprächs
mit der nordatlantischen Theologie und suche sie ganz bewußt
auf.

Die Einleitung beginnt bei einem Doppclcreignis von - nachträglich
betrachtet - kaum zu übertreffender Dramatik: Im
April 1972 tagte in Santiago de Chile UNCTAD III („ziemlich
erfolglos über die verzerrten Bedingungen des Handels zwischen
dem entwickelten und dem unterentwickelten Teil der
Welt" diskutierend), und „nur auf der anderen Straßenseite . . .
die .Christen für den Sozialismus'". Die letzteren hat man eine
„neue Art von Christen" genannt.

I.

Was heißt das? Vf. skizziert die Geschichte des Christentums
in Lateinamerika, das dorthin in „zwei historischen Bewegungen
" gelangte: durch „Eroberung und Kolonisation im 16. Jahrhundert
" und durch „Modernisierung und Neokonialismus im
19. Jahrhundert" (17). („Der Protestantismus - eine bis 1850 in
den meisten Ländern geächtete Religion - hatte bis zum Ersten
Weltkrieg etwa 200 000 Anhänger. Danach stieg ... die Zahl
besonders durch die Pfingstbewcgung zu der phantastischen
Höhe von über 10 Millionen." S. 22). Nun hat „Lateinamerika
. . . die grundlegende Tatsache seiner Abhängigkeit . . . entdeckt
. . . Ein zweiter wesentlicher Faktor ist die Aufdeckung des
.Schwindels der Demokratie ". (25) Der Irrtum besteht in der
Meinung, daß jedes Land, das die Prinzipien der Demokratie,
des freien Unternehmertums und der Bildung (neuerdings
kommen noch Technologie und Planung hinzu) übernehme, zu
Macht und Reichtum aufsteigen müsse. Hier ist übersehen, daß
„die nordatlantische Entwicklung . . . auf der Untcrentwicklung
der Dritten Welt gegründet ist" (26). Nun sind beide
geschichtlichen Entwürfe zusammengebrochen, und das Christentum
, das sich „im kolonialen und neokolonialen System . . .
zur religiösen Sanktionierung und ideologischen Rechtfertigung
in Anspruch nehmen ließ, sieht . . . sich nun einer qualvollen
Selbstkritik ausgesetzt . . . Diese .traumatische Erfahrung' . . .
leitet ein neues Suchen . . . nach einem nachkolonialcn und nach-
neokolonialen Verständnis des christlichen Evangeliums (ein)."
(27f)

Im 2. Kap. zeichnet Vf. die „enorme Arbeit" nach, die geleistet
wurde, um zur „Basisanalysc" der „Christen für den Sozialis-,
mus" zu kommen. Die Fakten, die reale Situation der von den
USA, die auch vor militärischer Intervention nicht zurückschreckten
, ausgebeuteten Massen Lateinamerikas, können hier
nicht referiert werden. Vf. rechtfertigt die Tatsache, daß die
„Christen für den Sozialismus" sich der analytischen Methoden
des Marxismus bedienen: „Sein konfliktbetontes Verständnis
von Wirklichkeit kam unserer Situation näher" als die Soziologie
„der funktionalistischcn und strukturalistischcn Richtung."
Den „parteiischen Charakter dieser Analyse" zu verurteilen
haben gerade diejenigen kein Recht, deren „auf Untcrentwicklung
zielende Soziologie" weil davon entfernt sei, „objektiv und
unparteiisch zu sein", sie sei vielmehr reaktionär (41). Für die