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Ausgabe:

1980

Spalte:

307-308

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Gemeinden erleben ihre Gottesdienste 1980

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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307

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

308

die Vikare ihre primäre Legitimation für den Bcrufsvollzug in
den konkreten Begegnungen mit Menschen gewinnen. Die diversen
gemeindlichen Handlungsfcldcr werden dabei unterschiedlich
gewertet.

In der kurzen Zusammenfassung (158-160) weist Fischer
darauf hin, daß die Vikare in dem krisenreichen Prozefj der
„Icbcnsgcschichtlichen Aufschichtung von Relevanzen" zu einer
Problcmvcrarbeitung kommen, die „eine befriedigende berufliche
Praxis" möglich macht. In Frage gestellt ist die Legitimation
im Handeln, wenn der Vikar „aufgrund seines religiösen
oder wissenschaftlichen Orientierungssystems' nicht in der
Lage ist, „situationsflcxibcl auf seine Klienten einzugehen" (159).

Mich beruhigt das vorsichtig positive Ergebnis dieser dankenswerten
Arbeit nicht. Ich lese die Vikarsäußerungen als
eine dringende Herausforderung aller derer, die junge Theologinnen
und Theologen auf ihrem Weg in den Beruf vorbereiten
und begleiten.

WiltL-iibcry Hansjürycn Schul/.

Daiber, Karl-Fritz, Dannowski, Hans-Werner, Lukatis, Wolfgang
, u. Ludolf Ulrich: Gemeinden erleben ihre Gottesdienste
. Erfahrungsberichte. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn [1978J. 136 S. 8°. Kart. DM 28,-.

Beiträge zur empirischen Homiletik bzw. Liturgik gewinnen
immer mehr an Bedeutung, und dies zurecht! Wird doch so
aller bloßen Theorie gewehrt und die Adressaten kommen
deutlicher in den Gesichtskreis praktisch-theologischer Arbeit.

In unserem Falle haben vier Theologen unter Anleitung durch
Professor Daiber vier Gottesdienste besucht, die 1975/76 in der
Paul-Gerhardt-Gemeinde und in der Paulus-Gemeinde in Lüneburg
, in der Michaelsgemeinde in Rotenburg (Wümme) und
in der St. Nicolai-Gemeinde in Verden gehalten wurden. Pastor
Walter Weber war der Prediger in allen besuchten Gottesdiensten
. Der Predigt lag als Text immer Mk 9,14-29 zugrunde.

Ausgewertet wurde nicht nur die Predigt, sondern der Gottesdienst
in seinen unterschiedlichen liturgischen Formen. Der Gottesdienst
A wurde nach Agende I (VELKD) gestaltet, während
Gottesdienst B dieselbe liturgische Form aufwies, aber mit Ncu-
formulicrung von Begrüßung, Lesungen, Gebeten und Segen.
Der Gottesdienst C war als Predigtgottesdienst so gestaltet, dafj
Wechselgesang, zweite biblische Lesung und Credo fehlten und
lediglich im Schlußgebet eine Neuformulierung eingebracht
wurde. Der Gottesdienst D lief) nur noch Grundstrukturen von
Agende I erkennen. Die meisten liturgischen Elemente wurden
erheblich verändert.

Die in sich ähnlichen Gemeinden haben im Anschluß an den
jeweiligen Gottesdienst in einer Fragebogenaktion und in
einem Nachgespräch ihre Eindrücke wiedergegeben. Erklärte
Absicht der Befragcr war, den möglichen Einfluß der Gestalt
des Gottesdienstes auf das Hören der Predigt zu erkunden, ja
zu erfahren, ob unterschiedliche Gottesdienstformen auch unterschiedlich
erlebt werden.

Während beim Gottesdienst A alle Kritik, positiv oder negativ
, vor allem auf die Predigt konzentriert war und relativ
wenig Eindrücke zur liturgischen Form wiedergegeben wurden
, sah das bei der Gottesdienstform B anders aus. Hier
wurde deutlich, daß für einen Teil der Besucher Sprache und
Inhalt liturgischer Texte problematisch geworden sind. Die
Lieder wurden am stärksten kritisiert, während die Lebensnähe
der Gebete und der biblischen Neuübersetzungen mehr
Zustimmung fand. Insgesamt hat die Gemeinde das vertraute
„wie immer" wahrgenommen.

Im Gottesdienst C ging es um das Pro und Contra der Liturgie
und der Lieder. Die Contra-Position hob die deutliche Herausstellung
der Predigt hervor ob der „Klarheit" und „Verständlichkeit
" willen. Andere sprachen sich pro Liturgie aus:
„Man ist nicht so sehr Einzelperson, die dahin (in den Gottesdienst
) geht, um nur die Predigt zu hören." (84)

Am lebhaftesten wurde der Gottesdienst D diskutiert. Die
Zustimmung war groß. Bestimmte Elemente dieses Gottesdienstes
, so bezeugen einige eTilnchmer, haben ihnen auch das Hören
der Predigt erleichtert.

Abschließend schätzen die Befrager das Ergebnis nüchtern
ein. Es ist auffallend, daß z. B. die Teilnehmer der Gottesdienste
A und D zahlreicher und deutlicher ein Predigtziel formulieren
konnten als die Besucher der Gottesdienste B und C.
Als Ergebnis wird festgestellt: „Die liturgische Form des Gottesdienstes
beeinflußt die Aufnahme der Predigt deutlich." (92)

Wichtiger sind die Schlußfolgerungen, die die Veranstalter
aufgrund der mündlichen und schriftlichen Befragungen nennen
: Es gibt gegenüber dem Gottesdienst „ritualkritische" und
„ritualbcjahende" Orientierungsmuster. Nur schwer nachvollziehbare
Gottesdienste machen die Befragten „sprachlos".

Schließlich sei noch erwähnt, daß die vier Theologen bei der
Auswertung immer deutlicher auch ihre eigene Sicht der Dinge
verrieten, die vor und während der Aktion in den Hintergrund
getreten waren. Nun aber werden unterschiedliche Akzentsetzungen
deutlich. Diese Untersuchung hat einmal mehr erkenn
bar gemacht, wie seit einigen Jahren der Gottesdienst in den
Brennpunkt der Probleme gegenwärtiger Theologie und Kirche
geraten ist. Die Unsicherheiten über seinen Sinn und seine
Funktion sind vielerorts groß und die Antworten kontrovers.
Um so erfreulicher ist dieser Versuch einer nüchternen Einschätzung
von der „gottesdienstlichen Basis" her. Man erkennt,
daß Chancen, durch neue Formen gottesdienstlichen Lebens die
Kirche im ganzen zu erneuern, begrenzt sind. Doch man weiß
auch, daß es Gottesdienste gibt, die besser als andere dazu anleiten
, heute als Christ zu leben. Es kommt also auf die „kleinen
Schritte" an, die uns auch vor Resignation bewahren und
die Gelassenheit geben, die hier vonnöten ist.

Leipzig Gottfried Kretzschmar

Bohren, Rudolf: Geist und Gericht. Arbeiten zur Praktischen
Theologie. Neukirchen: Ncukirchcner Verlag [1979J. 204 S.
8°. Kart. DM 38,-.

Die 17 in diesem Band vereinigten Aufsätze und Vorträge,
von denen 6 bisher nicht veröffentlicht waren, stammen aus
den Jahren 1965-1977. Auf eine Würdigung Thurneysens folgen
7 Beiträge zur Homiletik: „Reformatorische und neupro-
testantische Definition der Predigt" (22-36, ein Vergleich dci
Predigtdefinitionen von Bullingcr und E. Hirsch); „Definition
der Predigt bei Karl Barth" (37-47); „Die Laienfragc als Frage
nach der Predigt" (48-67); „Kanzelpredigt als Kirchcnlcitung"
(68-74); „Predigt und Predigtlied - akute Diskrepanz" (75-88);
„Warum eigentlich noch Predigt im Gottesdienst?" (89-99);
„Predigt verantworten" (100-121). Diese Aufsätze enthalten vieles
, was aus Bohrens Büchern, besonders aus der Predigtlehre,
bekannt ist.

Beiträge zum Verständnis der Seelsorge, zum Gespräch und
zum Verhältnis von Verkündigung und Poesie schließen sich
an: „Gemeinde und Seelsorgc" (129-142); „Pneumatologie und
Gespräch" (143-149); „Scelsorge als Kirchenleitung" (150-157);
„Bittgebet und Klage" (158-164); „Gebet und Gedicht" (165
bis 168); „Novalis: Verheißung und Versuchung der Romantik"
(169-180); „Schriftsteller als Gerichtsprediger" (181-187); „Das
Schweigen" (188-196). Ein Register der Namen, Bibclstcllen
und Stichworte schließt den Band ab, dessen Autor auf seine
Art das Erbe Thurneysens aufnimmt und mitunter kräftig gegen
den Strom schwimmt.

E. W.

Grengel, Christa u. Dietrich Mendt [Hrsg.]: Der Laie in Gemeinde
und Kirche. Materialien der Bundessynode vom 13.
bis 17. Mai 1977 in Görlitz, im Auftrag der Synode des Bundes
der Evang. Kirchen in der Deutschen Demokratischen
Republik hrsg. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1979]. 238 S.
8°. Kart. M 7,80.

Die auf der Görlitzcr Bundessynode 1977 gezeigte „Börse
der Möglichkeiten' enthielt so viele anregende und ermutigende
Erfahrungen aus den verschiedensten Gemeinden, daß