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Ausgabe:

1980

Spalte:

300-303

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Die Realisierung der Freiheit 1980

Rezensent:

Krötke, Wolf

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200

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

die Gewinnung des theologischen Gegenstands-Begriffs, die sich
in und mit der Anselm-Interpretation .Fides quaerens intellec-
tum' vollzieht (lOlff). Barth ist nicht mehr von „ekklesiolo
gischem Doketismus" bedroht (106), ohne daß die Seins-Kategorien
den theologischen Gegen-Stand in unzulässigem Sinn
beherrschten (111. 118f). Die Kirche hat bzw. erhält teil an der
sekundären Gegenständlichkeit der menschlichen Natur Jesu
Christi (123. 129), u. zw. zusammen mit Israel (132ff) und
(wie schon für die früheren Phasen betont) in Ausrichtung auf
die Welt (135. 140f). Die Kirche ist eine, so wahr das Wort
Gottes eines, so wahr Jesus Christus - so wahr Gott einer
ist (136ff). Es gibt eine Pluriformität der Kirche, die ihrer Einheit
nicht widerspricht (141f). Und es gibt die Sünde der Spaltung
, die „schlicht . . . ontologisch-unmöglich" ist. (KD IV, 1,
756), die wir aber nicht zu überwinden vermögen (144). Zugleich
gibt es, um der angefochtenen Wahrheit willen, die Notwendigkeit
des Gegensatzes und Kampfes (KD I, 2, 702). Also
Unmöglichkeit der Spaltung („ontologische Unmöglichkeit") um
der wesenhaften Einheit und zugleich Unmöglichkeit der Einheit
(„ontologische Schwäche", KD IV, 1, 818) um der Sünde
bzw. um der angefochtenen Wahrheit willen (145ff)! Dieses
Dilemma führt nun Barth nicht zu einer Schaukeldialcktik,
sondern, weil durch Christus die Sünde die vergehende und
Gottes Reich die kommende Wirklichkeit ist, im Zusammenhang
der Kampfes- und Siegesgeschichtc Jesu Christi (KD IV, 3!) zu
hoffnungsvollem Engagement für die Einheit der Kirche (148.
181). Es geht dabei um das Finden und Anerkennen der Einheit
, die in Jesus Christus besteht - durch das Hören auf
Ihn: Unitas ex auditu (154ff); bzw. „durch Bewegung von allem
Kirchentum weg zu Jesus Christus hin" (Barth, bei B. S. 157).
Der eschatologische Vorbehalt fällt nicht dahin (162), aber er
hindert die Bewegung nicht. Zugleich schlieft die Hinwendung
zu Christus (vgl. o.) mit der biblischen die konfessionelle und
die kirchliche Haltung nicht aus, sondern ein (166ff). Baier
spricht im Sinne Barths, aber selber formulierend von „Konfessionskirchengemeinschaft
" (171), deren konstante Struktur
das Gespräch, deren Ziel gemeinsames Bekenntnis des Glaubens
(in umfassendem Sinn), nicht zuletzt Dienstgemeinschaft
an der Welt ist (172f).

Baier stellt am Schlufj die Würdigung der unerschöpften ökumenischen
Potenz der Barthschen Theologie (182ff) vor die
Skizzierung seiner starken bisherigen ökumenischen Wirksamkeit
(188ff). So ist wegweisend, dafj für Barth die Frage der
biblischen Haltung einer Kirche mehr zählt als das Problem
philosophischer Verkleidungen - weshalb er die Unterschiede
zwischen lutherisch und reformiert nicht als kirchentrennend
gesehen hat (183f). Sein Hinweis auf die eschatologische Komponente
der Einheit bedeutet Befreiung von zwanghaften Bemühungen
(184f). Besonders verheißungsvoll wird seine unbestechliche
Ausrichtung auf die Sache selbst, auf Jesus
Christus als die Offenbarung Gottes gesehen: dafj Einigungsbemühungen
gerade kein Sonderinteresse beanspruchen, weil
sich die Einheit wirklich als unitas ex auditu ereignet.
In solchem Sinne sei auch Barths Dogmatik „als kirchliche
Dogmatik' unter der Hand zu einer .Ökumenischen Dogmatik'"
geworden (185). Bemerkenswert schließlich Barths Integrations-
kraft; in seiner Ekklesiologie ist beieinander, was in heutiger
Ökumene auseinanderstrebt: 1. persönliches Bekenntnis, 2.
kirchlich-konfessionelle Haltung (wobei aber, dynamisierend,
als „doctrina" das Evangelium verstanden wird und
„Lehre" durch Lernen, „Übereinstimmung" durch Einstimmen
in Gottes Bewegung zur Welt und zum Menschen
interpretiert wird!), 3. Engagement für die Welt und ihre Probleme
(185f).

In einer abschließenden Anmerkung fragt Vf., ob Barth in
seinen letzten Jahren über eine Vereinigung zwischen evangelischer
und römisch-katholischer Kirche optimistischer gedacht
habe, als es seinem Gesamtduktus entspreche (252). Schade,
daf; Baier sich hier den gerade in dieser Sache so ergiebigen
Briefwechsel Barths hat entgehen lassen (K. B., Briefe 1961 bis
1968 = Gesamtausgabe Bd. 6). Sie dokumentieren ein äußerst
intensives und angelegentliches Fragen und Sich-fragen-Lassen

hinüber und herüber bei dem Achtzigjährigen, der sich nun als
„eine Art .Grenzgänger'" bezeichnen kann (ib. 390) - zwischen
(so .Letzte Zeugnisse' 62:) seiner „e v a n g c 1 i s c h - katholischen
" und der „p e t r i n i s c h - katholischen" Konfession.
Dabei hat Barth in unbestechlicher Weise unitas verstanden
und gelebt als unitas ex auditu.

Wuppcrtal-Schöller Jürgen Fangmeicr

Rendtorff, Trutz [Hrsg.]: Die Realisierung der Freiheit. Beiträge
zur Kritik der Theologie Karl Barths von F. Wagner,
W. Sparn, F. W. Graf u. T. Rendtorff. Gütersloh: Gütersloher
Vcrlagshaus Gerd Mohn [1975], 167 S. 8°. Kart. DM 34,-.

Theologie heute ist eine Theorie des Selbstbewußtseins in
den geistigen und gesellschaftlichen Bewegungen der Neuzeit.
Diese These T. Rcndtorffs (vgl. Theorie des Christentums.
Historisch-theologische Studien zu seiner neuzeitlichen Verfassung
, Gütersloh 1972, 182ff) bildet in dem vorliegenden Band
die Basis für vier kritische Analysen der Theologie Karl Barths.
Auch Barths Theologie kann und soll aus dem Zusammenhang
des „neuzeitlichen Theoriebildungsprozesses" heraus verstanden
werden. Das wirft freilich sofort Probleme auf. Denn dieser
Theoricbildungsprozeß wird von den Vff. als Selbstbestimmungsprozeß
des autonomen Selbstbewußtseins des Menschen
verstanden (vgl. 13f). Barth selbst jedoch hat seine Theologie
ausdrücklich in kritischer Auseinandersetzung mit diesem Pro
zeß entfaltet; ja, er hat in der exklusiven Autonomie des Menschen
geradezu ein Grundphänomen der menschlichen Sünde
gesehen (vgl. KD IV/1, 458ff). Die Vff. bestreiten das nicht.
Sie sind jedoch daran, was Barth selbst möchte, gar nicht primär
interessiert. Als eine Form des neuzeitlichen Theoriebildungsprozesses
wird für sie Barths Theologie vielmehr erst
dann durchschaubar, wenn man sie „entpositiviert" bzw. „entgegenständlicht
" (vgl. lOf). Erst die „entgegenständlichte" Theologie
Barths läßt ihr „Konstruktionsprinzip" erkennen, das
durch und durch dem Konstruktionsprinzip neuzeitlicher Theoriebildung
verhaftet ist. Dieses Prinzip heißt: unbedingte
Selbstbestimmung. Barth habe nämlich das, was er beim Menschen
als Sünde verurteilt, zum Prinzip Gottes gemacht. Gott
ist per negationem all das, was der autonome Mensch der Neu
zeit sein möchte. Er ist freie, allgemeine, an nichts gebundene
Subjektivität, der gegenüber nichts anderes ein eigenes Recht
beanspruchen kann, zu sein. Die Entdeckung dieses angeblichen
Prinzips der Barthschen Theologie ermöglicht es den Vff.,
ihre Analyse als „Rekonstruktion der Konstruktion" (10) dieser
Theologie voranzutreiben. D. h. sie „konstruieren" von dem
durch „Entgegenständlichung" gewonnenen Prinzip her Barths
Theologie noch einmal neu, u. zw. so, daß diese Theologie
durchweg als verkehrte Form „neuzeitlicher Thcoriebildung"
erscheint.

Falk Wagner beschäftigt sich mit der Christologic
K. Barths („Theologische Gleichschaltung. Zur Christologie
K. Barths, lOff). Dabei ergibt sich: in der KD wird die Christo
logie der „Selbstexplikation des allgemeinen und absoluten
Subjekts" „gleichgeschaltet" (13). D. h. diese Christologie läßt
für anderes neben Gott keinen Raum. Sie ist Christologie des
deus per se und nicht des deus pro nobis (vgl. 19). Diese
Barths eigene Ausführungen ins Gegenteil verkehrende Behauptung
wird vor allem an der theologischen Einschätzung
des wahren Menschseins Jesu durch Barth gewonnen. Wagner
meint nämlich, nach Barth gehe Gott in Jesus Christus gar
nicht in das sündige Menschsein ein, das wirklich ein „starkes
anderes" (21) neben Gott ist. Er werde nur ein „schwaches anderes
", nur ein der Selbstexplikation Gottes „gleichgeschaltetes''
Menschsein. Und das ist „bloßer Schein" (28). Indem Barth
nicht erkennt, daß in der Sünde (!) das „Recht des Andersseins
des Menschen" (29) liegt, erklärt er den Sünder zur „Unperson '
(30). Darum kann Barths Theologie für diesen Menschen auch
nicht praktisch werden. Sic verharrt in „positionellcr Verfaßt
heit" (38), die da, wo der Mensch praktisch erreicht werden