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Ausgabe:

1980

Spalte:

295-297

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Link, Christian

Titel/Untertitel:

Die Welt als Gleichnis 1980

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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295

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

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bar der Einfluß von Rousseau, Renan, David Friedrich Strauß
auf Dostojewski ist (191 u. a.), so bleibt doch ein Zusammenhang
mit der orthodoxen Christologie gewahrt, die sich ihrerseits
damals z. T. durch David Friedrich Strauß „bestätigt" sah
(34). Dostojewski hat eine französische Übersetzung des „Lebens
Jesu" von Strauß 1847 kennen gelernt, zugleich mit den
französischen Sozialutopisten (33). Vorangegangen war die
Kenntnis von Chateaubriand und Lamennais (30-32. 37). Schon
bei Chateaubriand las Dostojewski über das Christentum: „II
devoile le veritablc homme" (31). Onasch tut recht daran, den
Begriff der „Humanisicrung" einzuführen. Fast wäre zu wünschen
, er hätte ihn schon im Titel statt des Begriffs „Po^tisic-
rung" gebraucht, der ohne den Hinweis auf Kierkegaard mißverständlich
bleiben muß und andererseits gerade mit diesem
Hinweis leicht den Gegensatz zwischen Dostojewski und Kierkegaard
übersehen läßt, der nicht nur auf Dostojewskis „ungebrochenem
Verhältnis zur Dichtung" und „seiner ständigen Kon-
taktnahme mit der Wirklichkeit" beruht (52), sondern auf der
sehr verschiedenen Sicht der Gestalt und der Bedeutung Jesu
Christi, um auch hier mit allem Bedacht nicht von „Christologie
" zu reden. Dostojewski versteht das „Erscheinen Christi
als Ideal des Menschen im Fleisch" (131). Die Idee des Archi-
mandriten Bucharew (1822-1871) vom „temporären Arianis-
mus" interpretiert Onasch so „daß Kirche und Theologie für
eine gewisse Zeit die Göttlichkeit Christi verschweigen sollten,
um die sittliche Dynamik seiner Menschlichkeit mit allen Kräften
zum Ausdruck zu bringen". Erst in unserer Gegenwart hat
die Russische Orthodoxe Kirche bei ihrer Mitarbeit in der Ökumene
diese Idee verwirklicht, während ein Teil der protestantischen
Orthodoxie sich noch immer sträubt, einen ähnlichen
Weg zu gehen. Dagegen scheint mir in einer seiner letzten Veröffentlichungen
Karl Ferdinand Müller (1911-1974) die Humanisicrung
des Christentums bei Dostojewski genauso verstanden
zu haben (Standortbestimmungen. Ein Traktat über die
Frage des Christlichen im Christentum anhand von drei Texten
aus dem Roman „Die Brüder Karamasoff" von F. M. Dostojewski
. In: Württembergischc Blätter für Kirchenmusik 1973).

Die Menschcndarstcllung Dostojewskis ist von Onasch nicht
etwa über dem Christusbild des Dichters vergessen worden.
Sic ist in der „Poetisierung" des Christentums inbegriffen. Theologische
Interpretation finden wir bei Müller. Der Psychologe
sagt von den Gestalten Dostojewskis: „Durch diese Existenzen
hindurch begegnet unser menschliches Dasein sich selbst" (Frederick
J. J. Buytendijk: Psychologie des Romans. Salzburg
1966, S. 52, von Onasch nicht erwähnt. Zwei Drittel des Buches
[33-129] handeln von Dostojewski).

Bcilin(Wcst) Hans Urncr

Systematische Theologie: Allgemeines

Link, Christian: Die Welt als Gleichnis. Studien zum Problem
der natürlichen Theologie. München: Kaiser 1976. 357 S.
gr. 8° = Beiträge zur evang. Theologie, 73. DM 39,-.

Diese Studie stellt eine nicht gerade leichte Lektüre dar,
hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal handelt es sich um
eine Habilitationsschrift (1976, Heidelberg), die dank eines
namhaften Zuschusses der Eltern zum Druck gelangte. Dem
Zweck einer Habilitationsschrift entspricht es, die Belesenheit
des Verfassers durch viele Zitate, Auseinandersetzungen mit
anderen Autoren und Exkurse kundzutun, aber es stellt sich
wieder einmal die Frage, ob es auch noch sinnvoll und zweckmäßig
ist, solche Arbeiten dann ohne starke Kürzungen und
Straffungen zum Druck zu bringen. Zumal die literarische Auseinandersetzung
mit einem theologisch doch recht eingeengten
Kreis von Autoren geführt wird. Die große Untersuchung von
Kurt Leese über Recht und Grenzen natürlicher Theologie wird
gar nicht erwähnt, die ausgewogene kleine Schrift von Hudoll
Hermann wird nur in einer Anmerkung genannt und auch die

interessante geschichtliche Untersuchung von Wolfgang Philipp
über die Physikotheologie führt m. E. zu systematischen Konsequenzen
, mit denen man sich doch wohl auseinandersetzten
müßte, wenn man das Thema grundlegend behandeln will. Angesichts
der entscheidenden Bedeutung von Stellen wie Acta 17,
22ff und Rom 1, 18ff für das Thema wundert man sich, daß an
eigentlichen Kommentaren zu diesen Stellen nur der Römerbrief
von Käsemann herangezogen wird und die exegetisch
systematische Geschichtsstudic von Max Lackmann, die sich explizit
mit Karl Barth auseinandersetzt, auf den sich Link so
stark stützt, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird. Bei
solcherart Vorauswahl der Autoren, mit denen man sich aus
cinandersetzen will - Paul Althaus wird allerdings etwas stärker
gewürdigt - verliert die Arbeit als zusammenfassender
Literaturüberblick zur Problemlage doch stark an Wert. Aber
eine systematische Untersuchung kann und soll u. E. überhaupt
mit Zitaten und literarischen Anspielungen sparsam umgehen,
entscheidend ist die Sacherörterung selbst. So ist das Aussparen
dieses oder jenen Buches keinesfalls der Haupteinwand gegenüber
der Studie von Link.

Die Lektüre ist vor allem deshalb so schwierig und quälend,
weil der Vf. so etwas wie die Quadratur des Zirkels versucht,
indem er einerseits klar und deutlich berechtigte Motive und
Anliegen der Tradition der natürlichen Theologie herausstellt,
aber andererseits auf jeden Fall jede wirkliche Anknüpfung
an die bisherige Tradition natürlicher Theologie vermeiden
will. Die vorwärtsweisende Lösung bleibt dementsprechend
unklar und wenig überzeugend, was dem Vf. wohl auch bewußt
ist: „Wir haben die Richtung des zu beschreitenden Weges bezeichnet
- mehr allerdings auch nicht. Hinter dem Ziel einer
befriedigenden Ausarbeitung sind wir weit zurückgeblieben.
Mehr noch, wir haben nicht einmal die Kosten des geplanten
Neubaus in überschaubaren Grenzen angeben können", so daß
der Autor meint, das Bedenken sei „kaum auszuräumen, hier
sei vielleicht doch nur mit einem Salto mortale das Problem
der Aufklärung übersprungen" (339).

Wie sieht nun der zu beschreitende Weg aus, den der Autor
uns bezeichnet? Als das berechtigte Motiv der Tradition natür-
licher Theologie wird an verschiedenen Stellen der Arbeit das
Geltendmachen des universalen Charakters der Offenbarung
genannt, aus dem sich eine Verbindlichkeit auch für nichttheo-
logischc wissenschaftliche Erkenntnis ergibt, denn „der Einklang
von Erkenntnis und Glaube ist das unaufgebbare Ziel
theologischer Arbeit" (75).

„Die Wahrheit der Offenbarung ist unteilbar; sie setzt sich
über die Grenzziehung zwischen Theologie und Philosophie
hinweg. Sie kann nicht auf einen abgesonderten Bereich des
Glaubens eingeschränkt, für den Bereich des Welt-
erkennens aber suspendiert werden. Schließt nämlich die
Offenbarung die Wirklichkeit auf, tritt sie gerade nicht als ein
.irrationales' Element einem geschlossenen Kosmos der Ratio
gegenüber, dann muß sie sich - wie verborgen auch immer -
in dieser Wirklichkeit bezeugen; sie muß auch dem .profanen'
Verstehen der Well zugänglich und vernehmbar sein. Der christliche
Glaube wird zwar, was seinen Inhalt anlangt, nicht in
oder durch unsere Wclterfahrung verantwortet, aber gewiß
auch nicht ohne und gegen sie. Das hat die natürliche Theologie
zu allen Zeiten gewußt, und darum bestand sie darauf, daß der
Mensch . . . auch von der Welt her unter den Eindruck der
Wirklichkeit Gottes gestellt sei" (249).

„Tritt die Theologie den Bereich der Natur kampflos an die
neuzeitliche Wissenschaft und das in ihr zum Zuge gekommene
Verständnis von Wahrheit - das .Gewissen der Tatsachen' -
ab, dann verzichtet sie nicht nur auf jede Beglaubigung ihrer
Sätze durch die Erfahrung, sondern begibt sich zugleich der
Möglichkeit zu sagen, für welche Wahrheit ihre eigenen Begriffe
einstehen: sie hört auf, sich über ihren Glauben denkend
Rechenschaft abzulegen" (254).

Der Autor meint daher, sogar den „methodischen Atheismus"
der modernen Wissenschaft anfragen zu müssen: „Wer das
Bekenntnis zu Gott denkend verantworten will, muß es als ein
der Wirklichkeit gemäßes Bekenntnis erweisen. Man kann das