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Ausgabe:

1980

Spalte:

294-295

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Onasch, Konrad

Titel/Untertitel:

Der verschwiegene Christus 1980

Rezensent:

Urner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

294

hat hier ihre Fragen angemeldet, so daß der Vf. wichtige Vorarbeit
für weitere Untersuchungen geleistet hat. Der profectus
verbindet, was für die ökumenische Theologie nicht unwesentlich
ist, Luther nicht allein mit Bernhard, sondern mit der mönchischen
Tradition überhaupt.

Neben Luthers Absage an die falsche Hciligenverehrung muff
auch die andere Front des Kampfes gegen die Schwärmer gesehen
werden, wenn die „himmlischen Propheten" Gottes äußerliche
Ordnung zu etwas Innerlichem machen und umgekehrt (148).
Die beiden Extreme der falschen Heiligkeit haben das Gesetz,
nicht das Evangelium zur Voraussetzung. Insgesamt gewinnt
der Partialaspekt für den älteren Luther immer größere Bedeutung
, wenn unsere Wiedergeburt nur eine angefangene ist (158;.

Versucht man das Ganze zu würdigen, so erscheint zweierlei
als wichtig festzustellen, nämlich die knappe und präzise Erfassung
und Darstellung des Themas, vor allem aber die Exemplifikation
der Rechtfertigung am Thema der Heiligen. In diesem
doppelten Aspekt ist beides verbunden, Diskontinuität und
Kontinuität der Reformation. Die Rechtfertigung wird zum
kritischen Maßstab in der Auseinandersetzung mit der Tradition
und ihrer Aufhebung oder besser ihrer Neubegründung.

Unter einem Spezialthema der Lutherforschung verbirgt sich
hier das ganze Panorama der Theologie des Reformators, wie
es aus der Überlegenheit eines langen Forschcrlcbens entworfen
ist. Auch wenn die Arbeit in ihrer sachlichen und thematischen
Beschränkung diese Linien nicht weiter auszieht, so
liegt deren ökumenische Bedeutung am Tage. Es ist in diesem
Zusammenhang auch nicht unwichtig festzustellen, daß sich die
ökumenische Theologie diesem Thema noch nicht zugewandt
hat. Die Arbeit von L. Pinomaa könnte dafür ein wesentlicher
Anfang sein.

Gegenüber dieser breit angelegten Arbeit hat sich die Untersuchung
von S. G ö d 1, eine Grazer Dissertation, eine bescheidenere
Aufgabe gesetzt, nämlich Mclanchthons Stellung
zur Hciligenanrufung im Rahmen der Anrufung Gottes zu
untersuchen. Dabei wird die Theologie Mclanchthons mit ihrem
Streben nach Einheit als ökumenisches Vermächtnis gewürdigt
(29). Sein Verhältnis zu Luther wird an keiner Stelle pro-
blcmatisicrt, was auch vom Thema her nicht geboten ist. Besonders
hervorzuheben ist die sorgfältige Berücksichtigung des
Umfeldes. Von der ausführlichen Behandlung Luthers abgesehen
, werden auch Erasmus, Zwingli und Karlstadt genauer
untersucht. Hat Melanchthon bis 1530 einen doppelten Zugang
zum Gebet, nämlich durch das 2. Gebot und die Verheißung, so
tritt von da an ein Wandel ein, der zur Verwerfung der Heiligenanrufung
führt (72), weil das propter Christum zur
„Kurzformel" des Glaubens wird (75ff). Wer die Heiligen zu
Fürsprechern macht, setzt sie an Christi Statt und macht sie zu
Urhebern der Rechtfertigung und Versöhnung (77. 146. 149).
Unter diesen Voraussetzungen wird die invocatio zum „Schlüs-
selbcgriff" im theologischen Denken Mclanchthons. Insgesamt
ergeben sich dazu fünf Punkte, nämlich die Anrufung des wahren
Gottes, das Gebot Gottes, seine Verheißung, der Glaube,
der sich an das propter Christtum hält und dessen Hoher-
priester und Fürsprecher Christus ist, und schließlich die eigenen
Gebetsanlicgcn um Vergebung und Versöhnung, der die
Bitten um leibliche Güter folgen können (103). Zwar beten die
Heiligen für die Kirche. Das heißt aber nicht, daß wir sie anrufen
sollen (151). Auch wenn die Hciligenanrufung verworfen
wird, bleibt für Melanchthon die positive Einstellung gegenüber
der Hciligenverehrung im allgemeinen bestehen (152). In
den auf Augsburg folgenden zehn Jahren festigen sich die in der
Apologie festgelegten Auffassungen immer mehr (162).

Die endgültige Stellung Mclanchthons zur Heiligenanrufung
läßt sich nach zwei Seiten präzisieren. Diese kann nicht durch
patristische Argumente bewiesen werden. Sie widerspricht auch
der Lehre von der Anrufung, deren Adressat nur Gott sein
kann (164f. 168). Mit dem Regcnsburger Reichstag beendet Melanchthon
seine Gesprächsbereitschaft in der Frage der Hciligenanrufung
(175). Im Sinne seines ökumenischen Ansatzes
kommt der Vf. zu dem Ergebnis, daß die Heiligenanrufung zu
den Themen gehört, die ökumenisch neu zu überdenken sind.

Auch wenn die beiden besprochenen Arbeiten vom Thema her
einen unterschiedlichen Radius haben, erscheint in der gegen
wärtigen Auseinandersetzung über Luther und Melanchthon
vor dem Hintergrund einer katholischen Anerkennung der Con-
fessio Augustana - was immer das sein mag - der Vergleich
beider auch in dieser Sache als instruktiv, weil beide aus dem
Zentrum der Rechtfertigung heraus argumentieren.

Hannover Ulrich Alendorf

Christliche Kunst und Literatur

Onasch, Konrad: Der verschwiegene Christus. Versuch über die
Poetisicrung des Christentums in der Dichtung F. M. Dostojewskis
. Berlin: Union Verlag [1976]. 242 S., 16 Taf. 8°.
Lw. M 9,80.

Es bleibt das Verdienst Eduard Thurncysens, der evangelischen
Theologie - „trotz Mcreschkowski" (Dostojewski. München
'1925, S. 77) - einen neuen Zugang zu Dostojewskis
Werk eröffnet zu haben. Er schrieb aber sein Buch zwischen
Kulturkritik und dialektischer Theologie, ohne besondere biographische
und litcraturwisscnschaftlichc Studien, ohne Kennt
nis sowjetischer Literatur. Erwähnt wird sein Buch, soweit ich
sehe, nur noch bei Martin Doernc (1900-1970) (Gott und
Mensch in Dostojewskis Werk. Göttingen -1962, S. 111. Toi
stoj und Dostojewskij. Göttingeil 1969, S. 7), für den „das beste
Buch, das in Deutschland über D. geschrieben wurde" von Julius
Meier-Graefe stammt (Dostojewski der Dichter. Berlin 192o.
Vgl. Doernc, Tolstoj . . . S. 184). Der evangelische Theologe,
der mit unermüdlichem Fleiß ohne vorgegebenen theologischen
Aspekt das Werk und das Leben Dostojewskis unter ständiger
Beachtung der sowjetischen Literatur neu erschlossen hat,
bleibt Konrad Onasch (vgl. Dostojewskij und kein Ende? ThLZ
83, 1958 Sp. 569-576). Die theologischen Aspekte erschließen
sich ihm in seiner intensiven historischen Forschung. Dabei
spricht Onasch ebensowenig wie Docrne von der Theologie Do
stojewskis (Doernc, Tolstoj . . . S. 135: „. . . sein denkerisches
Vermögen ist beinahe vollständig eingegangen in sein Dichter
tum"). Der Begriff der „Poetisicrung" ist bereits in dem frühe
ren Buch von Onasch: Dostojewski als Verführer. Christentum
und Kunst in der Dichtung Dostojewskis. Zürich 1961 (vgl.
Doerne ThLZ 88, 1963 Sp. 91-98) durch den Hinweis auf Kierkegaard
im Motto bestimmt: „Das Poetische war das Plus, das
er von sich aus der Wirklichkeit hinzufügte ..." („Aus dem
Tagebuch des Verführers"), auch im vorliegenden Buch S. 85-86.
Gegenüber literaturwissenschaftlichen Methoden dort haben
hier Biographic und Theologicge.schichtc den Vorrang. Die Auswahl
aus dem immensen Stoff, auch aus Dostojewskis eigenen
Werken, ist so konzentriert und erhellend dargeboten, daß der
„Versuch" zum Grundriß einer größeren Gesamtdarstellung
wird. Die Thematik, in drei große Abschnitte gegliedert, wird
in prägnanten Titeln angedeutet: I. Der junge Dostojewski (11
bis 63). II. Auf der Suche nach dem „Neuen Wort" (64-99).
III. Vollendung: Das „vorletzte Wort" (100-205). Den Abschluß
bildet ein Exkurs zur Wirkungsgeschichte (206-218). Im An
hang erst bekommt der Leser einen Einblick in die benutzte
Literatur. Nur durch die Nennung der gegenseitigen Rezensionen
in dieser Zeitschrift, nicht durch neue Darlegung der
Kontroverspunkte, erinnert der Vf. an seine Auseinandersetzung
mit Doernc. Die Anmerkungen mit Hinweisen auf sowjetische
Literatur sind möglichst knapp gehalten. Schlciermachcr wird
im Text ohne Belegstellen zitiert. Von wem stammt der zitierte
Satz über Dostojewskis litauische Herkunft (12)? So nützlich
wie die biographische Zeittafel wäre ein Namen- und Begriffsregister
, besonders für Dostojewskileser, die vielleicht bisher
noch nie ein Buch über Dostojewski gelesen haben.

„Die „Poetisierung" ist die „Mitteilung des Christentums durch
das Medium der Dichtung" (31), nicht nur Dichtung als „tiefes
Zeugnis der Mitmenschlichkeit" (23f). Die „Menschlichkeil
Christi" ist für Dostojewski „Ephiphanie" (191). So unbestreit-