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Ausgabe:

1980

Spalte:

291

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Evans, Gillian R.

Titel/Untertitel:

Anselm and talking about god 1980

Rezensent:

Greshake, Gisbert

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291

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

292

Helmut Hesse; 1944 Hildegard Jacoby, Elisabeth von Thadden;
1945 Ludwig Steil, Helmut James Graf von Moltke, Hans Buttersack
, Georg Maus, Dietrich Bonhocffcr, Friedrich von Rabenau,
Ewald Dittmann, Karl Talazko, Friedrich Justus Pcrcls, Hans
Koch, Kurt Bornitz; unbekannt ist das Todesjahr von Inge
Jacobsen. Niemand wird diese Schicksale ohne innere Bewegung
zur Kenntnis nehmen können.

G. H.

Dogmen- und Theologiegeschichte

Evans, G. R.: Anselm and Talking About God. Oxford: Clarendon
Press 1978. XII, 211 S. 8°. Lw. £ 8,50.

Der Titel des Buches ist eine Untertreibung. Denn Gegenstand
dieser Arbeit über Anselm von Cantcrbury ist nicht nur
sein „Sprechen über Gott", vielmehr ist die - auch heute wieder
äußerst aktuelle - Frage nach der Möglichkeit und nach der
Art und Weise, über Gott zu sprechen, die durchgehende Perspektive
, in der der Autor das ganze Werk Anselms, seine
Methode und sein Interesse, sowie den geistesgeschichtlichen
Rahmen, den aktuellen biographischen Hintergrund und den
Zusammenhang der einzelnen Schriften entfaltet. Zu Recht bemerkt
Evans, daß es zwar viele Detailuntersuchungen über Anselm
gibt, daß aber "Anselm's theological ideas have still not
been studied as a whole to the extent which the internal con-
sistency and interdependence of his ideas would scem to de-
mand" (149). Eben diese Lücke versucht die vorliegende Arbeit
zu schliefjen, indem das „Sprechen über Gott" zur Leitidee
einer Gesamtdarstellung anselmischen Denkens wird.

Damit ist diese Studie sowohl eine ganz vorzügliche Hinführung
zu Anselms Person und Werk als auch eine glänzende
Interpretation seiner denkerischen Grundlagen und Grundbegriffe
. Nicht zuletzt fällt gerade von der sprachphilosophischen
und -theologischen Fragestellung her ein plausibles Licht
auf den in der ganzen abendländischen Gcistcsgeschichtc so
umstrittenen ontologischen Gottesbeweis sowie auf den Sinn
der Formel von der "fides quaerens intellectum" und auf die
genaue Bedeutung der "rationes necessariae". Keine weitere
Beschäftigung mit Anselm wird darum an dieser Untersuchung
vorbeigehen können.

Kritisch stellt sich mir nach der Lektüre dieses Buches nur
die Frage, ob es richtig ist, daß Anselm zwar vom Problem des
Sprechens über Gott ausgeht und die dabei gefundenen Lösungen
die steten Grundlagen seines weiteren Denkens bleiben,
da5 aber - so der Autor - in den späteren Schriften keine
eigentlich neuen Erkenntnisschritte hierzu gemacht werden.
Kann nicht doch im Spätwerk Anselms (etwa in „Cur Deus
homo" bezüglich der Frage der „Veränderlichkeit" Gottes) i m -
plizit mehr über das „Sprechen über Gott" gefunden werden
, als der Autor herausstellt?

Ein kleiner Schönheitsfehler noch: die Arbeit greift praktisch
keine deutschsprachige Sekundärliteratur über Anselm auf und
setzt sich mit ihr auseinander, es sei denn, dafj diese ins Englische
übersetzt ist. Dadurch fallen einige wesentliche Aspekte
ansclmischen Denkens, die in der deutschsprachigen Literatur
herausgearbeitet wurden (z. B. der von H. U. v. Balthasar u. a.
herausgestellte Freiheitsgedanke) aus.

Wien Gisbert GMshake

Pinomaa, Lennart: Die Heiligen bei Luther. Helsinki: Ari-paino
- Saarijärvi [1977). 170 S. gr. 8° = Schriften der Luther-
Agricola-Gesellschaft A 16.

Gödl, Siegfried: Melanchthons Stellung zur Heiligenanrufung.

Anrufung Gottes und Anrufung der Heiligen. Wien: Verband
der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs 1977. Iii,
181 S. 8° = Dissertationen der Universität Graz. Kart. ö. S.
155,-.

Hinter dem Titel der neuen Untersuchung des bekannten finnischen
Lutherforschers Pinomaa verbirgt sich mehr, als

der Titel erkennen läßt, handelt es sich doch um die Darstellung
der sich langsam ausbildenden Rechtfertigungstheologie
des Reformators im Zusammenhang mit seiner Kritik an der
überkommenen Hciligenvcrehrung. Die Rechtfertigung allem
durch den Glauben und das ihr entsprechende verborgene Leben
der Heiligen im neutestamentlichen Sinne führt zum
Bruch mit einem wesentlichen Teil der Frömmigkeit und
der spätmittelaltcrlichcn kirchlichen Praxis. Nach beiden Seiten
ist Luthers Rechtfertigungslehrc keine Lehre im verengten
Sinne, sondern sie schließt in hervorragender Weise die
praxis pietatis mit ein.

In zwei großen Abschnitten über die Heiligen in Luthers
Frühzeit und über die Umwandlung des Heiligenbildes oder
dessen neues Verständnis entfaltet der Vf. den Stoff. Die Frühzeit
Luthers, vor allem in der 1. Psalmenvorlcsung und in der
Römerbriefvorlesung, ist durch das Stichwort der humilitas gekennzeichnet
(19), während schon in der letzteren die sanc-
titas im Sinne der iustitia aliena verstanden wird (27). Mit der
Hebräerbriefvorlesung verschwindet das humilitas-Motiv (21).
An seine Stelle tritt der Glaube, der in der Heiligung lebt (28).
Schon in der l.Psalmcnvorlesung spricht Luther vom profectus
des Christen im Sinne einer cschatologisch ausgerichteten Hoffnung
(42f). Dieses vor allem auf Bernhard zurückweisende
Motiv wird in der Römerbriefvorlesung von der Glaubensgerechtigkeit
her interpretiert (46). Damit fällt die Idealisierung
der Heiligen im überkommenen Sinne immer mehr dahin
(51).

Bei der Umwandlung des Heiligenbildes im Sinne der Recht
fertigungsichre wird die Kritik an der Heiligsprechung zugleich
zur Kritik am Papsttum (58ff). Luther kritisiert vor allem das
Fehlen des biblischen Grundes. Heiligkeit im biblischen Sinne
ist etwas Verborgenes und muß verborgen bleiben, weil im
Glauben geschehen (62). Der Heiligendienst der mittelalterlichen
Kirche ist daher Abgötterei, denn dieser streitet gegen
Christus und sein Erlösungswerk (70). Bemerkenswert ist, wie
in einem Exkurs über die Heiligenfestc gezeigt wird, daß Luther
seine Predigttätigkeit aus deren Anlaß bis zum Ende seines
Lebens beibehalten hat, allerdings mit der folgenden Einschränkung
: die mariologischen Feste (Purificatio, Annuntiatio
und Visitatio) bleiben aus christologischen Gründen neben den
Feiertagen der biblischen Heiligen wie Johannes der Täufer,
Peter und Paul und Michaelis (71).

Innerhalb eines besonderen Abschnitts über die ethischen
Fragen werden die Mönchsgelübde behandelt (100-116). Wenn
sich die Gelübde nicht auf Gottes Wort gründen, wenn sie dem
Glauben, der christlichen Freiheit, dem Gebot Gottes und der
Vernunft entgegenstehen, so bedarf das, wie die Untersuchung
von H. M. Stamm neuerdings gezeigt hat, der Einschränkung
auf die von Luther vorgefundene Situation, so daß eine Verallgemeinerung
zu sehr vereinfacht.

Luthers Kampf gegen die falschen Heiligen entspricht der
Aufbau eines neuen Heiligenbildes, ausgehend vom Glauben
an Christus (118). Wenn unsere Gerechtigkeit die fremde, nämlich
die Gerechtigkeit Christi ist, so ist die wahre Heiligkeit
mit Christus in Gott verborgen (124). Nur der in diesem Sinne
gute Mensch tut gute Werke (123). Die verborgene Heiligkeit
des Glaubens ist damit das Gegenteil des Quietismus. Luthers
neues Bild der Heiligen ist also aus der Rechtfertigung heraus
entworfen, u. zw. als Total- und Partialaspekt (125f. 146ff).
Rechtfertigung und Heiligung gehören zusammen. Zum Glauben
gehört der profectus. Es ist besonders dankenswert, daß
der Vf. der hier häufig unsicheren Forschung zu größerer Klarheit
verholfen hat.

Gerade dieser Komplex wird in hervorragender Weise neu
erschlossen, wenn die Rechtfertigung zweiseitig verstanden
werden muß, nämlich forensisch im Totalaspekt, zugleich aber
durch den profectus der Heiligen als Partialaspekt. Beides steht
in der Klammer des Glaubens. Bei dem traditionellen Überhang
des forensischen Rcchtfcrtigungsverständnisscs nicht nur
bei Melanchthon, sondern auch bei Luther wurde der Partialaspekt
bisher nur vergleichsweise zurückhaltend dargestellt.
Nicht nur die katholische, sondern auch die pietistische Tradition