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Ausgabe:

1980

Spalte:

253-258

Autor/Hrsg.:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

Titel/Untertitel:

Welche Bedeutung hat das kirchliche Bekenntnis für die Arbeit an der Predigt? 1980

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

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Welche Bedeutung hat das kirchliche Bekenntnis für die Arbeit an der Predigt?

Von Ernst-Rüdiger Kiesow, Rostock

Otto Hacndler zum 90. Geburtstag am 18. 4. 1980

Otto Hacndler hat auf unsere Titelfrage einst u. a. geantwortet
: „Die Bedeutung des Bekenntnisses für den Prediger und
für die Predigt . . . bestimmt sich nicht durch die Tatsache, daß
der Prediger dem Bekenntnis seiner Kirche verpflichtet ist, sondern
durch die Art, wie er dieser Verpflichtung nachkommt."1
Die Frage war damals auf dem Hintergrund des Kirchenkamp-
fcs der dreißiger Jahre gestellt worden, wollte aber umfassender
verstanden sein als etwa nur im kirchenpolitischen Sinne;
das zeigt die Überschrift des Abschnittes, in dem sie erörtert
wurde: „Theologie und Bekenntnis als Schicksal des Predigers"
(S. 106-121). Haendlcr schilderte in seinen dortigen Ausführungen
drei verschiedene Haltungen: „das Bekenntnis ist für die
einen adäquater Ausdruck ihrer eigenen Überzeugung, die anderen
werten es vorwiegend als Grenze gegenüber anderer
Überzeugung, . . . bei den dritten überwiegt die Frage, die sie
an das Bekenntnis richten müssen." (113) Über die Art und
Weise, wie in der konkreten Arbeit an der einzelnen Predigt
das Bekenntnis als Orientierung oder als Gegenstand der Auseinandersetzung
auftritt, hat sich Hacndler allerdings nicht näher
geäußert. Hingewiesen werden muß aber auf den Abschnitt
„Verständnis von Lehre und Dogma aus der Meditation" (189
bis 195), weil dort der homiletische Ort bezeichnet ist, an dem
die Beziehung auf die dogmatisch-konfessionelle Tradition aktuell
wird.

In den beiden anderen evangelischen Predigtichren, die aus
derselben Zeit stammen, wird das Bekenntnis nur kurz erwähnt.
W. Trillhaas- stellt lapidar fest: „Die Predigt muß bekenntnis-
mäfjig, d. h. kirchlich sein." (32) Auf etwa einer Seite stellt er
die grundsätzliche Funktion des Bekenntnisses dar, die darin
besteht, daß »die Kirche sich selbst und der Welt Rechenschaft
von ihrem Schriftverständnis, ihrem Glauben, von ihrem Selbst-
verständnis und von ihrem Verhältnis zur übrigen Christenheit
auf Erden wie zu der Welt" gibt (a. a. O ). Diese Funktion des
Bekenntnisses wird in der Predigt offenbar mehr vorausgesetzt
als in ihr selbst aktualisiert, denn Trillhaas spricht davon nur
im prinzipiellen, nicht im pastoralcn oder formalen Teil seiner
Homiletik. Im § 8 „Vom Text zur Predigt" (75ff)geht es um
Auslegung des Textes, Horizontverschmclzung mit der heutigen
Situation; auch um Gcmcindcgemäßheit, aber nicht mehr um
Bckenntnisgemäßheit. - Auch H. Schreiner' begnügt sich mit
der prinzipiellen Feststellung, daß die „Ausrichtung der Botschaft
" „vom Bekenntnis der Kirche her bestimmt" sei (99);
methodische Erwägungen über die Auswirkung der Bekenntnisbestimmtheit
auf die Predigtarbeit fehlen. Schreiner hat jedoch
in seinem großen Kapitel „Die Botschaft" (130-227) in matc-
rialer Hinsicht eine Reihe von Themen behandelt, die eng mit
dem kirchlichen Bekenntnis zusammenhängen, z. B. „Das Wort
vom Kreuz", „Die Predigt des Gesetzes", „Die letzten Dinge der
Rechtfertigung in der Predigt".

In der Zeit der theologischen Neubesinnung nach dem Zweiten
Weltkrieg bietet L. Fendt'' innerhalb seiner „Systematik der
Predigt" (24-43) einen kurzen Abschnitt mit der Übcrschrill
„Der konfessionelle Einschlag". Er versucht, den lutherischen
Typ der Predigt vom reformierten und auch vom katholischen
oder vom ostkirchlichen Typ abzuheben, gibt dann aber zu i
..in Wirklichkeit unterscheidet sich eine lutherische und eine reformierte
Predigt ... so wenig, daß nur Geübte einen Unterschied
finden können." (43) Immerhin fallen in diesem Zusammenhang
die bemerkenswerten Worte: „kein Prediger wird
ohne Hilfe in die Bibel gesandt, sondern die Hilfe der Reformation
wird ihm zuteil im Bekenntnis".

Über das kirchliche Bekenntnis als Hilfe, freilich auch als
Cl enze und als Frage, hatte Hacndler noch am intensivsten reflektiert
. Je näher wir der Gegenwart kommen, desto wortkarger
werden die evangelischen Prcdigtlchrcn bei uns an dieser
Stelle. Viele neuere Autoren erwähnen das Problem des Bekenntnisses
überhaupt nicht mehr (z. B. J. Wolff', W. Uhsadel1',

G. Otto7, R. Bohren*). Die Gründe für dieses Schweigen kann
man nur vermuten. Sic hängen wohl auch mit der allgemeinen
Ablösung von den geistcsgcschichtlichcn Traditionen zusammen
und mit der entschiedenen Hinwendung zu den drängenden Gegenwartsproblemen
. Außerdem wirkt vielleicht noch immer die
protestantische Orthodoxie als ein abschreckendes Beispiel,
weil sie mit der dogmatischen Loci-Methodc die Textauslegung
teilweise überfremdet und die Predigt bis zur Unfruchtbarkeit
beherrscht hat. Dahin will natürlich niemand zurück. Richtig
bleibt aber das Prinzip, daß kirchliche Verkündigung immer
theologische Lehre voraussetzt und biblische Exegese als alleiniger
Maßstab für verantwortliche Predigt nicht ausreicht. Das
schwache Interesse an dogmatischen oder konfessionellen Kriterien
für die Predigtarbeit ist heute sicherlich Ausdruck der
Vorherrschaft, die die exegetische Wissenschaft, und in ihrem
Gefolge die Textpredigt, in unserem Jahrhundert gewonnen hat.
Dem liegt aber letztlich das reformatorische Schriftverständnis
zugrunde, wonach der sensus litcralis die Authentizität aller
späteren Auslegung und Verkündigung garantiert. Um so merkwürdiger
ist es, daß andere Grundüberzeugungen der Reformation
in der Prcdigtlehre der Gegenwart eine so geringe Rolle
spielen.

Die homiletische Didaktik erweckt vielfach den Eindruck,
daß man einen biblischen Text nur gründlich zu exegesieren
und in Beziehung zur gegenwärtigen Gemeinde zu setzen brauche
". Z. B. sei auf den Beitrag von E. Fuchs „Zum Predigtentwurf
" verwiesen, der aus seinem exegetisch-homiletischen Proseminar
in Berlin 1959 stammt.1" Dort zeigt er, wie zunächst
die Exegese aus immer neuen wörtlichen und dann übertragenen
Übersetzungen besteht. Dann sei zu überlegen, „ob und wie
Sic das Tcxtzicl heute als Wort von Gott vor Ihre Zuhörer bringen
können . .. Das Predigtziel wird also sein, daß Sic entscheiden
, welche Weggemeinschaft Sie mit Ihren Zuhörern erreichen
können, wenn Sie zusammen mit ihnen auf den Text
blicken." (a. a. O. 351) Von der Bedeutung dogmatischer Gesichtspunkte
wird hier nicht gesprochen.

Etwas anders stellt sich schon ein ähnlich bekannter Exeget
des Neuen Testaments die Aufgabe vor, Willi Marxsen in seinem
Aufsatz „Was sollen wir predigen?"11 Er schreibt mit Recht:
„Der Weg vom Text zur Predigt ist insofern kein gradliniger,
als nicht einfach der Exegese das Umsprechen folgen kann, sondern
dieser Weg wird durchkreuzt von der Sachprüfung. Ich
muß die Aussage des Textes daraufhin kontrollieren, ob sie
theologisch legitim ist. .. . Die Predigtarbeit hat es nicht nur
mit Exegese und praktischer Theologie zu tun, sondern auch
mit der systematischen Theologie, denn eben sie ist es, die
diese Prüfung durchzuführen hat."(143) Marxsen lehnt es jedoch
gerade ab, als Kriterien für diese Sachprüfung etwa
das lutherische Prinzip „Was Chpstun; treibet" oder die Recht-
fcrtigungslehre anzusehen, weil sit zu leicht dem Text als Vorurteil
übergestülpt würden, ehe er exegesiert worden ist. Er
will die Kriterien vielmehr auf exegetisch-theologischem Wege
aus dem Neuen Testament selbst gewinnen. Damit betätigt sich
der Exeget aber gleichsam als Selbstversorger, der - so scheint
es - unter Absehung von der bewährten Lehrtradition und womöglich
auch der gegenwärtigen Dogmatik aus seinem eigenen
Fachgebiet heraus bestimmt, was theologisch legitim sei.

Inzwischen ist der Höhepunkt des Einflusses der Excgetik
auf die Predigt wohl schon überschritten. In zunehmendem
Maße fordern die Einsichten der anthropologischen Wissenschaften
, Q der Kommunikationstheoriel:: und auch wieder der Rhetorik1
'' Berücksichtigung bei der homiletischen Arbeit. Um so
wichtiger wird dann aber die theologische „Sachprüfung" sein,
die auf dem Wege vom Text zur Predigt zu leisten ist. In didaktischer
Hinsicht am deutlichsten wurde diese Aufgabe von
F. Winter in seinem Aufsatz „Die Vorbereitung der Predigt"1"'
akzentuiert. Er kam bei der Untersuchung der sog. Predigt-