Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1980

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

229

Stoffes den Umfang der Arbeit sehr erweitern. Als Material
sind die Veröffentlichungen der Kanonisten herangezogen worden
, soweit sie systematischen Charakter tragen. Die rechtshistorischen
Abhandlungen sind also kaum ausgewertet worden
, genausowenig wie die Werke über das Verhältnis von
Staat und Kirche" (3).

Die Studie umfaßt drei Hauptteile. Hauptleil I ist historischer
Art und macht mit den zwei großen Kirchenbildern bekannt
: die Kirche als übernatürliche, von Christus gestiftete
vollkommene Gesellschaft, und das komplexe, sakramentale
Kirchenverständnis. Im II. Hauptteil werden diese Bilder genau
herausgearbeitet. Das gesellschaftliche Kirchenbild ist nicht
ganz einheitlich: R. Bellarmin bezeichnet die Kirche als „die
Vereinigung der Menschen", eine andere Umschreibung aber
spricht über die von Christus gestiftete Gesellschaft. Das Ergebnis
ist: „Innerhalb des älteren Kirchenbildes ergibt sich
also, daß der Begriff Körperschaft nicht streng anwendbar ist,
weil in der Kirche der Wille Christi als des Stifters maßgeblich
bleibt; der Begriff Anstalt paßt wohl im ganzen besser, doch
vermifjt man darin, dafj die Kirche Gemeinschaft von Personen
ist" (94). Im weiteren folgt dann eine in viele Kapitel und
Paragraphen gegliederte, sehr systematische Behandlung der
Kirche als „societas perfecta supernaturalis". Der korporative
Ansatz von Bellarmin verschwindet bei diesen Kanonisten.
„Damals bei der Stiftung der Kirche hat Gott gewirkt, heutzutage
wirken die Menschen in der Kirche. Es wird kaum einmal
von Christus als Haupt der Kirche, des geheimnisvollen
Leibes, gesprochen. Sein Geist wird fast nie als Prinzip allen
kirchlichen Tuns genannt" (109). Das gesellschaftliche Kirchenbild
hat seine positiven Seiten. Trotzdem gilt: „So muß
man sagen, dafj das System des gesellschaftlichen Kirchcn-
bildes noch sehr stark in einer natürlichen Auffassung von
Gesellschaft verhaftet bleibt. Es ist nicht durchgängig von der
Offenbarung her geprägt" (110).

Im sakramentalen Kirchenbild ist die Möglichkeit einer Definition
schwieriger oder sogar ausgeschlossen, weil die Kirche
ein Geheimnis darstellt. Die Ansatzpunkte sind: „Die Verbindung
zu Christus wirft Licht auf die tiefe Verbindung der
Gläubigen untereinander, bedingt vielfach eine stärkere Betonung
des Gemeinschaftscharakters, läßt die Zusammenhänge
zwischen dem mystischen und dem eucharistischen Leibe Christi
sichtbar werden, erinnert an die Gründung der Kirche durch
die Hinopferung des irdischen Leibes Christi am Kreuze und
zeigt die Taufe als Eingliederung in Christus" (128). Die
Kirche, verstanden als das neue Volk Gottes, erscheint daher
mehr in ihrem gemeinschaftlichen Aspekt als in ihrem gesellschaftlichen
. Die Kirche ist sowohl eine Anstalt wie auch eine
Heilsgemcinschaft.

Im letzten Abschnitt des II. Haupttcils werden einige Ein-
zclfragen aus der Sicht des gesellschaftlichen oder des sakramentalen
Kirchenbildes erläutert: die Finalität der kirchlichen
Rechtsordnung und der Strafen, die Zugehörigkeit zur Kirche,
die Natur der kirchlichen Autorität, die Verfassung der Kirche,
wobei auch die Stellung der Laien untersucht wird. Hauptteil
III schließlich gibt einen „Blick auf das Konzil": „Wenn
wir nun direkt fragen, welches der beiden von uns bisher
festgestellten Kirchcnbilder das Konzil hat, können wir sagen,
daß in ihm beide enthalten sind. Das sakramentale hat eine
gewisse offizielle Bestätigung enthalten, doch übt das gesellschaftliche
weiterhin seinen Einfluß aus. In der Gesamtschau
ist das sakramentale stark in den Vordergrund getreten. Was
am Konzil oft auffällt, sind sogenannte Kompromisse" (263).

Die vorliegende Arbeit ist gut dokumentiert und verfährt
sehr systematisch. Die wichtigste kanonistische und auch die
damit zusammenhängende theologische Literatur ist darin
verarbeitet. Welches ist nun die Bedeutung dieser Studie? Sie
verdeutlicht, daß schon vor dem II. Vatikanischen Konzil die
katholische Kanonistik angefangen hat, ihr Kirchenbild stärker
sakramental zu prägen. Das hat nicht nur ein einzelner getan,
es geht hier um eine breite Entwicklung. Zweitens wird klar,
daß die zwei dargestellten Kirchcnbilder im ganzen nicht ver-

230

einbar sind. In großen Zügen schließen sie einander aus. Man
muß das ehrlich anerkennen, auch wenn der Vf. das nicht ausdrücklich
betont. Zum einen: „Die Beziehung zu Gott bzw.
Jesus Christus ist fast ausschließlich in den historischen Fakten
der Kirchengründung lokalisiert. Sachhafte Kategorien
prägen das Bild: die Vollmachten, der Finis, der von der Person
Christi abgelöste weiterwirkende Stifterwille etc.". Zum
anderen: „Hier tritt also die Einheit Christi mit seiner Kirche
in den Vordergrund. Die Kategorien der Instrumentalität, der
Repräsentation und der Gegenwart dienen dazu, die geheimnisvolle
Nähe des dreifältigen Gottes in der Kirche und seine
Wirksamkeit durch die Menschen auszusagen. So werden personale
Kategorien betont" (284).

Wenn dem so ist, stellt sich die wichtige Frage, wie die Kanonisten
, die das gleiche Recht des CIC vor Augen hatten und
kommentieren mußten, zwei so verschiedene Kirchcnbilder
anwenden konnten. Anders ausgedrückt: läßt das positive
Recht der Kirche vor dem letzten Konzil beide Interpretationen
zu? Ist das möglich? Der Vf. behandelt diese Frage nicht
ausdrücklich, er hat die Kirchenbilder nicht am Codex gemessen
. Man hat den Eindruck, daß die bestehende Rechtsordnung
der Kirche selbst nicht bestimmend war für die eine oder die
andere Richtung. Ekklesiologie und Kirchenrecht halten eine
große Distanz zueinander. Das Recht der Kirche wird kaum
oder nicht von der Ekklesiologie beeinflußt.

Aber dann ist doch zu fragen, was genau gemeint ist mit
den oben angeführten Sätzen über das Konzil: in ihm sind
beide enthalten, „das sakramentale hat eine gewisse offizielle
Bestätigung enthalten, doch übt das gesellschaftliche weiterhin
seinen Einfluß aus" (263). Meint der Vf., daß das gesellschaftliche
Kirchenbild in seiner scharfen historischen Prägung, d. h.
als „societas perfecta supernaturalis" mit seiner Betonung der
Gewalt als Zwangsgewalt (94—102) vom Konzil anerkannt
worden ist? Kann man sich auf dieses Konzil berufen, um in
Praxis, Theologie und Kirchenrecht mit diesem Kirchenbild
weiter zu arbeiten? Das Konzil hat in seinem Verlauf viel
deutlicher, als es der Vf. aufzeichnet, und sehr bewußt das
Denken im „societas-pcrfecta-Schema" abgelehnt, auch wenn
das Wort „societas" noch angewendet wird.

So weit die Kanonistik sich von der Glaubensüberzeugung
des Konzils als abhängig bekennt, kann sie nicht mehr beliebig
das eine oder das andere Kirchenbild wählen. Das komplexe
, sakramentale Verstehen der Kirche bildet somit den
weiter auszuarbeitenden Ausgangspunkt für die Revision des
Kirchenrechts, d. h. „die Verbindung von Gleichheit und Verschiedenheit
, Miteinander und Gegenüber" (278). N. Timpe
schreibt: „Die erneuerte Theologie ist wohl noch durchaus
nicht in dem wünschenswerten Maße in die kanonistische Praxis
eingegangen. Da dürfte eine deutliche Abhebung der beiden
Kirchcnbilder voneinander die Rezeption der wichtigen
Anregungen erleichtern" (11). Die vorliegende Arbeit gibt dazu
einen würdigen Beitrag. Der Erfolg derartiger Studien ist
nicht genau zu bestimmen, nicht nur, weil Theologie und
Kanonistik seit langem auseinandergegangen sind, sondern
besonders, weil kirchliche Gesetzgebung und Theologie ziemlich
voneinander getrennt sind. Das hat seinen guten Grund
darin, weil die Gesetzgebung, die praktische Fragen lösen
muß, ihre Eigengesetzlichkeit hat. Aber die Kluft zwischen
beiden bleibt bedauerlich. Der Gegensatz sollte überwunden
werden. Hoffentlich verschwindet mit der Zeit das Denken
über die Kirche als „societas perfecta supernaturalis", um
einem authentischeren Kirchenbild Platz zu machen.

Amsterdam R. G. W. fiuysmans

Buri, Fritz: Religion-Haben und Religiös-Scin (ThPr 13, 1978
S. 83-87).

Eller, Walter: Christliche Hoffnung auf Erlösung und Vollendung
von Mensch und Welt vor dem Anspruch der Gewißheit
menschlicher Erkenntnis (Theol. Diss. Bonn 1977/78).

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3