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Ausgabe:

1980

Spalte:

228-230

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Timpe, Nikolaus

Titel/Untertitel:

Das kanonistische Kirchenbild vom Codex iuris canonici bis zum Beginn des Vaticanum Secundum 1980

Rezensent:

Huysmans, Rudolfus G.

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untersucht wurde und die wenigen Arbeiten zum Thema unzureichend
seien. Weder stünden Wissen und Glauben bei
Kant im Konflikt miteinander (Laas), noch sei ihr Verhältnis
in Kants Privatansichten (Adickes) oder in seinem Glaubensbegriff
begründet (Sänger), noch könne ihr Verhältnis ohne
die Beschreibung ihrer Grenzen gegeneinander bestimmt (Richter
) oder von dem „Streben" der praktischen Vernunft nach den
Ideen Freiheit, Unsterblichkeit und Gott her erhellt werden
(Werner). Von daher kann Vf. seinen Arbeitsgegenstand bezeichnen
und begrenzen: Der ratio essendi und nicht der
ratio cognoscendi folgend, gründet er sich auf die „Kritik der
reinen Vernunft" und die „Prolegomena. . .", nicht aber auf
die „Kritik der praktischen Vernunft" und die „Religion innerhalb
der Grenzen der bloßen Vernunft"; da nicht Inhalte
des Glaubens, sondern nur sein Verhältnis zum Wissen interessieren
, kommt allein der Freiheitsbegriff ohne die Unsterb-
lichkeits- und die Gottesidee zur Sprache; das „Ding an sich"
erhält in diesem Zusammenhang besondere Beachtung, ohne
jedoch allseitig interpretiert zu werden.

Der Hauptteil untergliedert sich somit in drei Teile, die sich
jeweils mit dem „Ding an sich" beschäftigen: 1. „Das wissenseinschränkende
Ding an sich"; 2. „Das nur denkbare Ding an
sich und die transzendentale Freiheit als Grund für die praktische
Freiheit"; 3. „Der Mensch als Ding an sich aus der Perspektive
der Vereinbarkeit von Natur und Freiheit".

Der Zugang zum Problem wird im ersten Teil in der Unterscheidung
zwischen zwei Arten des Denkens bei Kant gefunden
, nämlich zwischen dem in der auf sinnlicher Anschauung
beruhenden Erfahrung sich bewährenden und dem von
aller Form der sinnlichen Anschauung abstrahierenden reinen
Denken. Das letztere ist möglich, weil die Kategorien als logische
Funktionen, das Mannigfaltige unter einen Begriff zu
bringen, über den Bereich der sinnlichen Anschauung hinausgehen
und uns in eine Welt des Scheins einführen können.
Diese Scheinwelt hat für uns ihren Wert darin, dafj sie uns
auf die Begrenztheit unserer mit der sinnlichen Anschauung
verbundenen Erkenntnis sowie unseres menschlichen Verstandes
überhaupt aufmerksam macht. So verkehrt es wäre, zu
meinen, man könne durch den Gebrauch der Kategorien auch
ohne sinnliche Anschauung Objekte erkennen, so falsch wäre
es doch auch, zu wähnen, es existiere nur das, was unserem
menschlichen Verstände in Verbindung mit der sinnlichen Anschauung
zugänglich ist. Vielmehr eröffnet sich hier jenseits
des dem Menschen Erkennbaren der Bereich des Glaubens,
und unser Denken selbst führt uns dorthin.

Es ist denkbar, so fährt Vf. im zweiten Teil fort, dafj es
einen absoluten Anfang für eine Reihe von kausal verbundenen
Dingen oder Zuständen gibt. Ja, mehr noch, dies zu denken
ist notwendig, weil die Vernunft die Welt aus einem Ursprung
begreifen will. Es gibt nicht nur Naturnotwendigkeit,
sondern auch Freiheit. Für den Menschen bedeutet dies, dafj
er auch sich selbst in zweifacher Weise verstehen kann, einerseits
als der Naturnotwendigkeit unterworfen, andererseits als
frei handelndes Vernunftwesen. In der transzendentalen Freiheit
ist die praktische Freiheit des Menschen, unabhängig von
der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit zu handeln, begründet
. Daraus folgt jedoch nicht, daß eine Reihe von Erscheinungen
willkürlich durchbrochen werden könnte und man
entscheiden könnte, welche Wirkung der Freiheit und welche
der Naturnotwendigkeit entspringt. „Weil Erscheinungen nur
Vorstellungen, nicht Dinge an sich selbst sind, .müssen' sie
noch .Gründe' haben, die selbst nicht Erscheinungen sind, eine
.intelligible Ursache', die ,außer der Reihe' der empirischen
Bedingungen ist" (102). Auch wenn die Erfahrung des Sollens
uns lehrt, dafj es praktische Freiheit gibt, kann diese doch
nicht aus ihren Wirkungen bewiesen werden. Wir bleiben im
Bereich des Glaubens.

Natur und Freiheit stehen einander gegenüber, und doch
haben sie in einem und demselben Menschen Platz. Wie kann
das verstanden werden? Ausführlich legt Vf. im dritten Teil
dar, wie Kant sich das Ding an sich als durch eine „intellek-

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tuelle Kausalität" charakterisiert denkt, und wie von daher
auch der Mensch als Ding an sich bezeichnet werden kann.
Der Mensch erfährt durch bloße Apperzeption sich selbst als
denkend existierend und als moralisch zurechnungsfähig, ohne
sich jedoch damit als Noumenon im positiven Sinne zu erkennen
. Obwohl die KrV explizite nicht vom „Selbstbewußtsein"
spricht und Aussagen über das „Ich" macht, kann in ihr nach
Meinung des Vf. doch ein bestimmtes Ich-Verständnis und
Selbstbewußtsein vorausgesetzt werden (238). Dann aber ist
es, so schließt Vf., ein Widerspruch bei Kant, wenn dieser auf
dem durchgängigen Zusammenhang der Begebenheiten in der
Sinnenwelt besteht und doch an einer Kausalität festhält, die
etwas gegen den Einfluß der Naturursachen ganz von selbst
hervorbringt (250). — Man vermißt bei dem Vf. einen Passus
über Kants Abgrenzung von Descartes' Ausführungen über
das Selbstbewußtsein.

Das Buch endet mit einem Ausblick auf die Bedeutung der
Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen für die Religion
. Die Möglichkeit subjektiver, moralischer Glaubensgewißheit
ist herausgestellt und jeder der Moralität widerstreitende
Unglaube durch die Kritik der reinen Vernunft widerlegt
.

Die Stärke dieses Buches scheint mir in den subtilen Interpretationen
Kantischer Gedankengänge und einzelner Begriffe
zu liegen. Nur selten setzt sich Vf. ausführlich mit anderen
Interpretationen auseinander. Eine eigene philosophische Position
des Vf. ist nur mit Mühe erkennbar. Für jeden, der sich
um das Verständnis und die Deutung des Verhältnisses von
Wissen und Glauben bei Kant bemüht, kann dieses Buch eine
gute Hilfe sein, nicht nur durch das, was es zeigt und lehrt,
sondern auch durch das, wodurch es zu Zweifel und Widerspruch
reizt.

Westerhausen Hans Schlciff

Bayer, Oswald: Descartes und die Freiheit (ZThK 75, 1978
S. 56-81).

Gollwitzcr, Helmut: Eine Begegnung mit Martin Buber (JK 39,
1978 S. 69-70).

Janowski, Hans Norbert: Carl Friedrich von Weizsäcker und
seine Deutung der gegenwärtigen Situation (Univ. 33, 1978
S. 913-920).

Marx, Werner: Das „Bedürfnis der Philosophie" — Eine historische
Reflexion (Univ. 33, 1978 S. 723-729).

Schaal, Helmut: Gefährdung menschlichen Zusammenlebens
durch Selbstverständlichkeit. Aspekte der Anthropologie
(Univ. 33, 1978 S. 849-858).

Stock, Konrad: Philosophie „in dieser Zwischenzeit" (EvTh
38, 1978 S. 84-91).

Strolz, Walter: Die naturphilosophische Fragestellung C. F. v.
Weizsäckers (Univ. 33, 1978 S. 59-68).

Systematische Theologie: Dogmatik

Timpe, Nikolaus: Das kanonistische Kirchenbild vom Codex
Iuris Canonici bis zum Beginn des Vaticanum Secundum.

Eine historisch-systematische Untersuchung. Leipzig: St.
Benno-Verlag 1978. XIV, 291 S. gr. 8° = Erfurter theologische
Studien, 36.

Die Abgrenzung dieser Arbeit (nicht deutlich ist, ob es sich
um eine Dissertation handelt) wird klar angedeutet: „Der
Termin 1917 ist nahegelegt durch das Erscheinen des CIC,
hätte aber genausogut etwas früher oder später gewählt werden
können. Als Endpunkt ist 1962 gewählt, weil mit dem
Konzil deutlich ein neues Stadium erreicht wird. Eine Weiterführung
wäre interessant, würde aber wegen der Fülle des

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3