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Ausgabe:

1980

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

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Neuerscheinungen

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221

geht Wehrli schließlich auf die Doppelfrage ein, welches die
noch verbleibende Funktion von Theologie sein kann und warum
Overbeck „nach dem Abschied von Christentum und Theologie
doch noch weiter Professor der Theologieblieb." (213)
Wehrli versucht eine Antwort mit Hilfe der Freudschen
Begriffe Trauer und Melancholie: Theologie in ihrer herkömmlichen
Gestalt, in der sie das Christentum zu vertreten
meine, sei unmöglich geworden; Theologie könne in
der Gegenwart nur noch eine Funktion haben „als Metatheo-
logie, welche sich am Ende des Christentums als Trauerarbeit
an christlicher Vergangenheit vollzieht." (210) Der Sinn von
Overbecks theologischer Existenz sei es gewesen, zur Auseinandersetzung
der Gegenwart mit ihrer christlichen Vergangenheit
und zur persönlichen Befreiung vom Christentum Trauerarbeit
zu leisten. Der Umstand, dafj Overbecks Versuch einer
Metatheologie als Trauerarbeit in der erstgenannten Hinsicht
gescheitert sei, habe ihn zum zeitweiligen Melancholiker gemacht
(s. 220. 227).

Abschließend einige ausgewählte kritische Anmerkungen, die
hier nicht weiter begründet werden können und die die weitgehende
Zustimmung zu Wehrlis Arbeit nicht aufheben sollen:
(1) Wehrli übergeht fast ganz die fachwissenschaftlichen Arbeiten
Overbecks. Von ihnen her wäre noch einmal zu prüfen,
ob, ggf. ab wann der Nachweis von Alter und Tod des Christentums
wirklich das zentrale Anliegen Overbecks war. (2)
Zur Frage der historischen Abhängigkeit des Overbeckschen
Denkens finden sich bei Wehrli nur einige beiläufige Notizen
(z. B. 60. 108. 115. 187). (3) Die ausgiebigen Zitate hätten bisweilen
eine gründlichere Interpretation verdient, auch wenn
das auf Kosten der glatten Lesbarkeit gegangen wäre (z. B.
188f. 196). (4) Die Ankündigung, mit Hilfe einer Analyse der
Formen sollte das Rätsel der Collectaneen entschlüsselt werden
(29), wird durch die Bemerkungen 234—236, die eine anderweitig
gefundene These nachträglich auf Formfragen applizieren
, keineswegs eingelöst. (5) Warum Overbeck mit dogmatischer
Unbeugsamkeit nur das Urchristentum als echtes Christentum
anerkennt, warum er ebenso unbeugsam für Religion
gerade das als konstitutiv ansieht, was Wissenschaft an ihr
kritisiert, wird von Wehrli genau so wenig sachkritisch thematisiert
wie Overbecks Anwendung biologischer Kategorien
auf historische Phänomene. (6) Die Anwendung des Begriffs
„Trauerarbeit" auf Overbecks kirchenhistorische Arbeit erscheint
nach allem, was Wehrli selbst dazu ausführt, nicht
hinreichend abgeklärt, daher einstweilen eher verwirrend als
hilfreich.

Rehburg-Loccum Johann-Christoph Emmclius

Ahn, Bong-Ho: Allerwählung oder praedestinatio gemina?
(Theol. Diss. Marburg 1978).

Geyer, Hans-Georg: Anfänge zum Begriff der Versöhnung
(EvTh 38, 1978 S. 235-251).

Graf, Friedrich Wilhelm: Ursprüngliches Gefühl unmittelbarer
Koinzidenz des Differenten. Zur Modifikation des Religionsbegriffs
in den verschiedenen Auflagen von Schleiermachers
»Reden über die Religion" (ZThK 75, 1978 S. 147-186).

Hoffmann-Axthelm, Dieter: Die Religionskrise des 19. Jahrhunderts
und die Autonomiebewegungen heute (EvTh 38,
1978 S. 226-235).

König, Gisbert: Die systematische Funktion der historischen
Forschung bei Wilhelm Herrmann, Ernst Troeltsch und Karl
Barth (Theol. Diss. Bonn 1977/78).

Lindt, Andreas: Gedanken zur Wirkungsgeschichte des Pietismus
im neuzeitlichen Christentum (EvTh 38, 1978 S. 198 bis
213).

Riemer, Matthias: Bildung und Christentum. Der Bildungsbegriff
Schleiermachers (Theol. Diss München 1977/78).

Schwöbel, Christoph: Martin Rade. Das Verhältnis von Geschichte
, Religion und Moral als Grundproblem seiner Theologie
(Theol. Diss. Marburg 1978).

222

Kirchen- und Konfessionskunde

Haikenhäuser, Johannes.- Kirche und Kommunität. Ein Beitrag
zur Geschichte und zum Auftrag der kommunitären Bewegung
in den Kirchen der Reformation. Paderborn: Verlag
der Bonifacius-Druckerei [1978]. 441 S. gr. 8° = Konfes-
sionskundl. u. kontroverstheologische Studien, XLII. Lw. DM
48,-.

In der Mitte des Buches finden sich 2 tabellarische Aufstellungen
der wichtigsten evangelischen Kommunitäten. Damit
hat man einen Gesamtüberblick über evangelische Bruder- und
Schwesternschaften, chronologisch geordnet, während bisher
meist nur von einzelnen Kommunitäten berichtet wurde und
das öfter mündlich als schriftlich. Den zurückhaltenden Eigenberichten
lag und liegt die Intention zugrunde: Lieber etwas
überzeugend leben als zuviel darüber reden oder schreiben.
Diesem Leben ist der Vf. nachgegangen, an ihm ist er selbst
als Pfarrer des Casteller Rings beteiligt. Drei der neueren
evangelischen* Kommunitäten (Evangelische Schwesternschaft
Ordo Pacis in Hamburg, Jesüsbruderschaft in Gnadenthal,
Casteller Ring auf dem Schwanberg) hat der Vf. gezielt befragt
. Die so entstandenen Eigenberichte geben modellhaft
Zeugnis von dem „verborgenen Leben mit Christus in Gott"
(Kol 3,3) und von der Ausstrahlung dieser „dynamischen Minderheiten
" durch ihr „Leben, Bekennen und Handeln" in der
Welt. Bereits dieser Informationsteil des Buches in seiner
Übersicht, Klarheit und Behutsamkeit ist anerkennenswert.

Ihm geht ein geschichtlicher Teil voran, der den eigentlichen
Wurzeln des neu entdeckten evangelischen Ordenslebens nachspürt
. Dabei geht es zunächst um die Frage, wie es zu der
verbreiteten Auffassung kommen konnte, alles Ordensleben
sei von Grund auf „katholisch" und schon deshalb in den Reformationskirchen
untragbar. Luthers scharfe Kritik und eigene
Erfahrung „der Unmöglichkeit, das monastische Vollkommen-
hcitsideal aus eigener Kraft zu erringen", seine Ablehnung
der Trennung in praeeepta und consilia (Gebote und Räte),
weil damit das Evangelium in 2 Teile und die daran Glaubenden
in 2 Gruppen zerteilt würden, und seine leidenschaftliche
Absage an die Mönchsprofeß als zweite Taufe sind jedoch
nur eine Seite. Fr. Heiler sagt, weil Luther sich daran
„zerrieben" habe, konnte er „nie in den tieferen Sinn des
Mönchtums eindringen" und habe übersehen, „daß die göttliche
Gnade das A und O im Vollkommenheitsstreben des Mönches
ist" (s. 18). Aber bereits bei Luther selbst finden sich Ansätze
zu einem „evangelischen Mönchtum", etwa in der „dritten
Weise" (neben der lateinischen „Formula missae" und der
„Deutschen Messe und Gottesdienst") „diejenigen, so mit Ernst
Christen sein wollen und das Evangelium mit Hand und Mund
bekennen, müßten mit Namen sich einzeichnen und etwa in
einem Haus allein sich versammeln zum Gebet, zu lesen, zu
taufen, das Sakrament zu empfangen und andere christliche
Werke zu üben". In dieser Ordnung könnte man, meint Luther,
sich besser kennen, strafen, bessern und ein gemeinsames Almosen
den Christen auflegen (WA 19, 75). Diese Ansätze führen
u. a. zum Brief Luthers vom 31.1. 1532 an die Brüder vom
gemeinsamen Leben in Herford, mit dem er ihnen gegen den
Rat ihrer Stadt zu Hilfe kommt. Die „Wittenberger Artikel"
als Ergebnis von Verhandlungen zwischen Wittenberger Reformatoren
und einer anglikanischen Theologenkommission
(1536) atmen etwas von demselben Geist, der schon in Luthers
„Operationes in Psalmos 1519—1521" zum Ausdruck kommt:
„Erantque Monasteria vere quaedam Gymnasia Christianae
libertatis, exercendae et perficiendae" (WA 5/39).

Von dieser Linie Luthers und seiner Mitarbeiter ist jedoch
in den folgenden Jahrhunderten nichts verwirklicht worden.
Die nach der Reformation noch fortbestehenden evangelischen
Klöster und Stifte waren trotz ihrer gewandelten Ordnungen
für das gemeinsame Leben, oder auch gerade deswegen dem

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3