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Ausgabe:

1980

Spalte:

220-221

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wehrli, Rudolf

Titel/Untertitel:

Alter und Tod des Christentums bei Franz Overbeck 1980

Rezensent:

Emmelius, Johann-Christoph

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Es ist schade, daß diese ausgezeichnete und präzise Studie
jenen übergreifenden Horizont durchgehend ausblendet.

Heidelberg Albrecht Peters

Maxwell, John Francis: Slavery and the Catholic Church. The

History of Catholic Teaching Concerning the Moral Legiti-
maey of the Institution of Slavery. Foreword by Lord Wil-
berforce. Chichester—London: Barry Rose Publishers 1975.
142 S. 8°. Lw. £ 2.50.

Vf. (geb. 1918) ist römisch-katholischer Priester in der Erzdiözese
Southwark und legt sein „small book" (4) als Ergebnis
einer siebenjährigen Studienarbeit vor, zu der er vom
Pfarrdienst freigestellt war. Die Veröffentlichung ist unterstützt
von der Anti-Slavery Society for the Protection of Human
Rights, London, deren Joint-President das Vorwort beigetragen
hat.

Die Studie sucht Antwort auf die Frage zu geben, wie es
dazu kam, dafj die lateinische Kirche des Westens in ihrer allgemeinen
katholischen Lehre vom 6. bis zum 20. Jh. die Institution
der Sklaverei tolerierte und sogar billigte, bis schließlich
erst das Zweite Vatikanische Konzil 1965 in Gaudium et
spes c. 27; 29 die offizielle Korrektur brachte. In einem zweiten
Teil wird der Geschichte der römisch-katholischen Lehre
von der moralischen Legitimität der Sklaverei im Umriß nachgegangen
.

Vf. nennt eingangs den gegenwärtigen Stand der biblischen
Exegese zum Thema Sklaverei. Er skizziert den Unterschied
zwischen dem AT und der antiken Umwelt in der Beurteilung
der Institution der Sklaverei. Im NT unterscheidet er
eine sog. dogmatische Theologie, nach der alle Getauften in
Christus eins sind (Gal 3,26—28 u. ö.) von moralischen Direktiven
an Herren und Sklaven hinsichtlich ihrer unterschiedlichen
moralischen und gesetzlichen Pflichten innerhalb der
im Imperium Romanum bestehenden Verhältnisse (Kol 3,22
bis 4,1 u. ö.). Die Apostel sahen sich angesichts der tragenden
Bedeutung, die die Institution der Sklaverei für das soziale
und ökonomische Leben zu ihrer Zeit hatte, gezwungen sie zu
tolerieren, wenn sie soziale und wirtschaftliche Verwirrung
und daraus folgende Christenverfolgung nicht provozieren
wollten (18). Aber sie kanonisierten nicht das gesetzlich bestehende
Verhältnis zwischen Herren und Sklaven als göttliche
Einrichtung oder Anweisung (30).

Eben dies aber sei in der Geschichte der lateinischen Kirche
des Westens geschehen. Vf. nennt eine Reihe von Gründen, die
das bewirkten, an hervorgehobener Stelle den strikten Fundamentalismus
bei der Auslegung der Bibel (20), die unkritische
Übernahme des römischen Zivilrechtes hinsichtlich der Sklavenfrage
(15) und, für die jüngsten 400 Jahre römisch-katholischer
Kirchengeschichte, den Mangel an Freiheit der theologischen
Debatte und Veröffentlichung (13). Er fordert dagegen
, Moralthcologie so weit wie möglich geschichtlich zu
betreiben und das bisher dominierende sog. klassische Bewußtsein
abzulösen.

Vf. ist sich bewußt, bei seinem Abriß kirchengeschichtlich
und sozialgeschichtlich manches schuldig geblieben zu sein.
Er möchte die Sachverständigen herausfordern, nach den genannten
Kriterien Dogmenhermeneutik zu betreiben.

Eben darin hat das Buch seinen eigentlichen Wert. Es gehört
in die Reihe der Versuche, mit denen katholischerseits seit
dem Zweiten Vatikanischen Konzil die eigene Vergangenheit
aufgearbeitet wird. Darüberhinaus ist es eine erste wertvolle
Dokumentensammlung der katholischen Lehre bezüglich der
Sklaverei mit Seitenverweisen auf die protestantische und
profane Behandlung des Themas.

Eine ausgewählte Bibliographie meist englisch-, französisch-
und spanischsprachiger Literatur wird in den 243 Anmerkungen
aufgeschlüsselt und zur Sprache gebracht. Ein Namen-,
Schlagwort- und Bibelstellenregister ist angefügt.

Pönitz Christoph Michael Haufe

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Wehrli, Rudolf: Alter und Tod des Christentums bei Franz
Overbeck. Zürich: Theologischer Verlag [1977]. I, 263 gr. 8°
= Forschung tvz. sfr. 25,—.

Seit E. Staehelin und M. Tetz den Franz-Overbeck-Nachlaß
der Universitätsbibliothek Basel neu geordnet und in den beiden
Bänden Overbeckiana I und II (Basel, 1962) detailliert
beschrieben haben, hat die wissenschaftliche Öffentlichkeit
Einblick in Umfang und Reichtum der nachgelassenen Papiere
Overbecks. Es besteht seitdem erstmalig das notwendige solide
Fundament für eine systematische Erforschung von Overbecks
Lebenswerk. Tetz' Hinweis auf das höchst fragwürdige
Zustandekommen des von C. A. Bernoulli 1919 aus Overbecks
Nachlaß herausgegebenen Bandes „Christentum und Kultur"
(s. Overbeckiana II, 18ff) und der wenig später von der Wissenschaftlichen
Buchgesellschaft begonnene Nachdruck wichtiger
Schriften Overbecks haben zu einer neuen intensiven Beschäftigung
mit Overbeck zusätzlich angeregt. Seit der zweiten
Hälfte der sechziger Jahre wurden diese Impulse u. a. von
mehreren theologischen Dissertationen aufgenommen. In der
Reihenfolge ihres Erscheinens handelt es sich um die Arbeiten
von B. Müller (Eigendruck, Berlin 1967), A. Pfeiffer (Göttingen
1975), J.-C. Emmelius (Göttingen 1975), J. E. Wilson (Bern
1977), J. Courtin (Eigendruck, Mainz 1977). Das hier anzuzeigende
Buch von R. Wehrli — eine bei Prof. Bernet in Zürich
geschriebene Dissertation — ist das bislang letzte Glied
in dieser Reihe.

Es ist zu bedauern, außer im Falle B. Müllers wegen der
dichten zeitlichen Folge jedoch zu entschuldigen, daß Wehrli
ohne Auseinandersetzung mit den genannten Vorgängern gearbeitet
hat. Wehrli hat den handschriftlichen Nachlaß Overbecks
in weitem Umfang berücksichtigt, er teilt viele hochinteressante
, bisher unveröffentlichte Overbeck-Zitate mit, er
hat zudem in so flüssigem Stil und mit so klarer Gliederung
geschrieben, daß seine Arbeit der Lektüre in jedem Fall
empfohlen werden kann.

In der Einteilung, in der knapp über Person und Werk Overbecks
referiert wird, formuliert Wehrli Anspruch und Grundthese
seines Buches: „Die vorliegende Dissertation ist der
Versuch einer ... umfassenden Interpretation Overbecks von
seinem zentralen Gedanken her: dem Nachweis des finis chri-
stianismi." (13) Es folgt ein umfangreicher Forschungsbericht
(14—64), aus dem u. a. die umsichtige Analyse der Stellung
Overbecks in der Nietzsche-Literatur und die mit Recht positive
Aufnahme der Urteile W. Benjamins, J. Taubes' und K. Löwiths
über Overbeck hervorzuheben sind. In Kap. 3—5 geht
es Wehrli um den Nachweis von drei eng miteinander verbundenen
Sachverhalten: Das Verhältnis Overbeck — Nietzsche ist
in keiner Richtung ein Lehrer-Schüler-Verhältnis gewesen,
vielmehr war es „die Gleichartigkeit ihres Anliegens ..., die
sie zusammenführte" (68); in Overbecks Entwicklung ist durch
die Begegnung mit Nietzsche kein Bruch eingetreten; Overbecks
kritische Einstellung zu Theologie und Christentum liegt
in wichtigen Ansätzen bereits in seiner Jenaer und seiner allerersten
Basler Zeit vor, ist mithin weder als Resultat der
Nietzsche-Freundschaft noch als Folge einer Verbitterung des
Alters interpretierbar (besonders treffende Belege finden sich
95. 96f. 99. lOlf. 106). In Kap. 6 handelt Wehrli systematisch
über den für Overbeck grundlegenden Antagonismus von Glauben
und Wissen. Er stellt den religiösen Glauben zunächst nach
seinem eigenen Selbstverständnis, dann aus der Perspektive
des Wissens heraus dar, um schließlich auf das Wissen und
seine Implikationen, vor allem in der Gestalt von Geschichtswissenschaft
und Theologie, einzugehen. In Kap. 7—8 verfolgt
Wehrli im historischen Längsschnitt Overbecks Sicht der
Geschichte von Christentum und christlicher Theologie als
einer Geschichte der Verweltlichung und des Verfalls des ursprünglichen
, von eschatologischer Naherwartung, Weltflucht
und Askese geprägten Christentum. Das Resultat für die Gegenwart
: Das Christentum ist zu seinem Ende gekommen, es
liegt im Sterben, ja: es ist bereits tot (190 u. ö.). In Kap. 9—10

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3