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Ausgabe:

1980

Spalte:

208-210

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bubenheimer, Ulrich

Titel/Untertitel:

Consonantia theologiae et iurisprudentiae 1980

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Textgeschichte (§24). Über „Die Berufung zum Predigtamt
und die öffentliche Predigt" (§ 25) wird vor allem im Anschlug
an Luther berichtet, was auch für „Kirchliche Ordnung und
kirchliches Recht" (§ 26) der Fall ist. Sowohl hier als auch in
den letzten Paragraphen (Die theologische Begründung neuer
kirchlicher Ordnungen (27), Probleme eines evangelischen
Kirchenrechts [28], Die kirchliche Ordnung und die Rechtfertigungslehre
[29]) wird deutlich, wie „zart" die reformatorische
Stellungnahme zu den Ordnungsfragen war. Die pädagogische
Begründung fester Ordnungen war, wie vom Vf. klar
gezeigt, sehr offen für den Zugriff der fürstlichen Territorialgewalt
. Obwohl nicht so von Maurer formuliert, zeigen seine
Überlegungen zur kirchlichen Ordnung die Schwäche von
Luthers Beitrag auf diesem Gebiet.

Der zweite Band geht in derselben Weise vor. Unter dieser
Voraussetzung ist die Einteilung des Stoffes (wie oben mitgeteilt
) fast gegeben. Es ist auch natürlich, dag etwa die
Hälfte des Bandes Fragen in Verbindung mit der Rechtfertigung
gewidmet ist („Glaube und Werke"). Der Abschnitt über
das altkirchliche Dogma enthält sehr gute Beobachtungen. Der
Vf. betont den Unterschied zwischen Luthers exegetischer,
handlungsbestimmter Rede von der Trinität und von Christus
und der abstrakten Begrifflichkeit der CA. Die schon hier
deutlich werdenden Unterschiede zwischen Luther und Me-
lanchthon werden noch deutlicher im Abschnitt über „Sünde
und freier Wille" (47ff). Schon früher wurde auch die für
Luther fremde Einreihung der Erbsündenlehre zwischen Trinität
und Christologie (34f) notiert. Jetzt zeigt der Vf., daß der
christliche Humanismus eine Verwandtschaft mit der scholastischen
Unterscheidung von Natur und Gnade zeigt (51, 55), die
besonders in der Lehre vom Willen hervortritt.

Melanchthon hatte gerade die Erbsündenlehre als notwendige
Voraussetzung für die Rechtfertigungslehre gesehen. Es kann
darum nicht verwundern, daß „der christologisch-sotcriolo-
gische Ansatz Luthers — im Laufe der Entwicklung mehr und
mehr zurück (tritt)" (69). Mit den Schwabacher Artikeln als
einem wichtigen Glied dieser Entwicklung muß der Vf. dann
CA 4 und die anderen Rechtfertigungsartikel vor allem im
Lichte der Theologie Melanchthons sehen, aber auch den Unterschied
zu Luther in mancher Hinsicht klarmachen. In einer
Reihe von Untersuchungen werden uns nicht nur viel Material,
sondern auch anregende Analysen zum Verständnis sowohl
der CA-Texte als auch ihres Hintergrundes dargeboten. Melanchthons
Unsicherheit in der Frage „Glaube und Werke"
wird klar dargestellt, und sein Anliegen, Reue und Glauben so
eng wie möglich zu verknüpfen, wird aufgezeigt. Die Erfahrungen
der Visitationen setzen sich durch, indem eine Verschiebung
vom Christusgeschehen zum Anthropologischen stattfindet
, die gerade an die Scholastik erinnert.

Weniger ergiebig ist m. E. der letzte Abschnitt über Kirche
und Sakramente. Im ganzen Kommentar wird, wohl mit Recht,
die Bedeutung von Luthers „Bekenntnis" 1528 betont. Der Vf.
stellt aber fest, dafj dieser Zusammenhang in den Sakramentsartikeln
„sehr viel lockerer ist". An diesem Beispiel zeigt
sich m. E. deutlich, dafj ein textgeschichtlicher Kommentar,
auch wenn er so gründlich, gelehrt und ergiebig wie dieser ist,
nicht genügt, um die CA historisch zu erklären und auszulegen
. Müßte man nicht hier fragen: 'Warum hat Luther auf die
Sakramentsartikel weniger Einfluß üben können? Schon die
Frage sollte klarmachen, dafj eine Antwort nicht allein auf
textgeschichtlicher Grundlage gegeben werden kann. Natürlich
weifj der gelehrte Vf. das auch, und natürlich kommen
auch hier und dort die äußeren Bedingungen der Arbeit an
der CA zum Ausdruck. Hauptsächlich werden jedoch die Sakramentsartikel
nur mit Lutherworten verglichen und ihre Kargheit
festgestellt.

In der letzten Bemerkung darf man gern eine gewisse Zurückhaltung
gegenüber der Methode des ganzen Werkes spüren
. Es ist selbstverständlich, daß die formelhaften Aussagen
der CA ohne eine gründliche Kenntnis der vorhergehenden
reformatorischen Theologie nicht verstanden werden können.

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Es ist auch unbestreitbar, daß Unterschiede zwischen Luther
und Melanchthon in diesem Zusammenhang von Bedeutung
sind. Wenn man aber den Inhalt der CA unter Hauptthemen
einreiht und dann sozusagen eine Gesamtkonzeption von
diesen Themen in der CA mit Lutherzitaten vergleicht, verschiebt
sich das Interesse allzuleicht von der Frage, wie die
CA „ursprünglich gemeint" war, zu der Frage, ob die CA den
Intentionen Luthers gerecht wird. Es soll nicht bestritten werden
, daß auch diese letzte Frage wichtig ist. Aber ein Vergleich
zwischen einem politischen Dokument wie der CA und Zitaten
aus einer Fülle von theologischen Schriften und Predigten
wird m. E. nicht befriedigen, wenn beide Teile des Vergleichs
doch hauptsächlich als theologische Aussagen schlechthin betrachtet
werden. Besser wäre es m. E. gewesen, wenn der Vf.
seine vorzüglichen Kenntnisse dazu benutzt hätte, einfach auf
dem Verstehenshintergrund von Luthers und Melanchthons
Schrifttum den Text nach seinen — oft mehrdeutigen — Auslegungsmöglichkeiten
zu befragen.

Mit diesen Bedenken soll aber in keinerlei Weise bestritten
werden, daß wir durch dieses Werk erhebliche Hilfe erhalten
haben, um die Confessio Augustana besser verstehen zu können
. Sowohl in den gründlichen textgeschichtlichen Abschnitten
wie auch in den mehr theologiegeschichtlichen ist dankenswerte
und eindrucksvolle Arbeit geleistet worden und sind
viele Anregungen für weitere Studien gegeben.

Kopenhagen Leif Grane

Bubenheimer, Ulrich: Consonantia Theologiae et Iurispruden-
tiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und
Jurist zwischen Scholastik und Reformation. Tübingen:
Mohr 1977. XV, 335 S. gr. 8° = Ius ecclesiasticum. Beiträge
zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht
, 24. Lw. DM 59,-.

Diese ausgezeichnete Arbeit, die Tübinger theologische Dissertation
eines Schülers von H. A. Oberman, bewirkt bedeutende
Fortschritte in der Karlstadt-Forschung. Thema des
Buches sind die juristischen Einschläge und Elemente in der
Biographie und im Denken des Reformators, sein Hauptresultat
der Nachweis, daß das Interesse an der Jurisprudenz
und das Bemühen, juristische Denk- und Verfahrensweisen
einzubringen, die Eigentümlichkeit der Karlstadtschen Theologie
in den Entscheidungsjahren der Wittenberger Reformation
erheblich mitbestimmt hat.

Der Vf. hält sich von der Anfängerneigung, sein Thema und
Resultat zu überschätzen, fern. Daß die Einbeziehung des
Juristischen nur eine Komponente der frühen reformatorischen
Theologie Karlstadts ist, wird nicht in Frage gestellt, vielmehr
deutet der Vf. den Wittenberger Professor, ähnlich wie frühere
Forscher, als einen Eklektiker, der Anregungen von sehr vielen
Seiten entgegennahm, Einflüssen rasch und oft nur temporär
nachgab und auch offensichtliche Spannnungen innerhalb seines
Denkens ertragen konnte. Daß Karlstadt Jurist war, ist freilich
bisher nahezu unbeachtet geblieben, und so besteht ein beträchtlicher
Nachholbedarf an wissenschaftlicher Erkenntnis,
wie der Vf. eindrucksvoll zeigen kann.

Das beginnt bereits bei den biographischen Fragen. In
gründlicher, eine bewundernswerte Kenntnis der Quellen und
Sachverhalte verratender Untersuchung wird die merkwürdige
Geschichte von Karlstadts juristischer Promotion aufgehellt,
die im März 1516 in Rom stattfand, u. zw., wie der Vf. jedenfalls
wahrscheinlich machen kann, an der Kurie und „per
saltum". Auch weitere Einzelheiten des Aufenthalts des Wittenberger
Professors in Rom — Schreibertätigkeit an der Kurie;
„vicecomes" des Papstes; Disputation an der theologischen
Fakultät der Sapienza und Zusammenstoß mit dem dortigen
Professor Sylvester Prierias — erfahren eine gewisse, ja zum
Teil weitgehende Klärung.

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3