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Ausgabe:

1980

Spalte:

196

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schürmann, Heinz

Titel/Untertitel:

Jesu Abschiedsrede 1980

Rezensent:

Schweizer, Eduard

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Seite 1

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redaktionsgeschichtlichen Forschung am Matthäusevangeliuni
meist unter der Fragestellung „Historisierung oder Transparenz
" verhandelt wird. Er behandelt es, indem er die wesentlichen
Themen matthäischer Theologie unter diesem Aspekt
skizziert. In gewisser Weise hat also sein Buch den Charakter
eines Kompendiums matthäischer Theologie. Im Ganzen entscheidet
er sich für die Transparenzhypothese: In der mat-
thäischen Bearbeitung der Überlieferung wird die Situation
der matthäischen Christen und Gemeinden in weitem Umfang
transparent.

Ein erster Hauptteil beschäftigt sich mit den Jüngern und
Gegnern Jesu (21—83). Der term mathetes ist ambivalent und
bezeichnet zugleich die Jünger des irdischen Jesus und ein
ekklesiologisches Konzept. Bei der Untersuchung der jüdischen
Gegner Jesu kritisiert Z. die These von Walker u. a., die in
der matthäischen Darstellung der jüdischen Gegner Jesu nur
die Symbolisierung der einen, geschlossenen jüdischen Front
gegen Jesus sieht. Die Einzelheiten des matthäischen Entwurfs
, z. B. die Dominanz der Pharisäer und die Identität der
Schriftgelehrten mit ihnen, können vielmehr nur als Widerspiegelungen
der faktischen Verhältnisse nach 70 erklärt werden
(mit Kilpatrick und Hummel). In der Passionsgeschichtc
versagt auch diese These und Z. kommt um die Annahme
einer „relative historicisation" (75) nicht herum. Diese Sonderthese
für die Passionsgeschichte verdient m. E. Beachtung, noch
mehr als der ziemlich originelle Versuch, auch Sünder, Zöllner
und Dirnen zu transparenten Gestalten zu machen: „II en
resulte pour la communaute mt que toutes les affirmations
portees sur les .pecheurs' deviennent exemplaires pour les
paiens" (80).

Der zweite Hauptteil (85—152) beschäftigt sich mit den
christologischen Grundlagen des Mt und analysiert die Schlüsseltexte
28,16-20; 5,17-20 und 11,25-30. In allen drei Texten
zeigt sich, daß die Geschichte und die Verkündigung des irdischen
Jesus entscheidende Orientierungsgröße für die Gegenwart
ist, d. h., daß die Zeit Jesu und die Zeit der Kirche nicht
qualitativ verschiedene Epochen sind. Die in 11,25—30 vorliegende
Identifikation Jesu mit der inkarnierten Weisheit-
Tora zeigt, dafj auch die Auferstehung Jesu keine Diskontinuität
zwischen Irdischem und Himmlischem schafft.

Der dritte Hauptteil (153—200) untersucht die Situation
der matthäischen Gemeinde. Die matthäischen Angaben über
die (auch missionierenden! 23,34) Schriftgclehrten und Propheten
widerspiegeln die Situation der Gemeinde,- das Prophetenamt
ist allerdings „sur le declin" (170). Hinter der Polemik
von 7,15—23 steht für Z., im Gefolge Barths, Bornkamms,
Schweizers u. a., ein konfessioneller Konflikt in der Gemeinde
seiner eigenen Zeit. Der vierte Hauptteil (201—281) unter dem
Titel „Le croyant et son Seigneur" untersucht die Terminologie
des Verstehens, der Nachfolge, des Glaubens und Kleinglaubens
und schließlich den mt Gerichtsgedanken anhand
der Gleichnisse von Mt 24,37—25,13. Die Ergebnisse liegen
durchwegs auf der Linie der Gesamtthese; notierenswert ist,
daß Z. unter oligopistia nicht eine Glaubensschwäche versteht,
die durch einen besseren Glauben ersetzt werden muß, sondern
die Situation des ungläubig gewordenen Gläubigen, der —
existentiell, nicht intellektuell oder entschlußmäßig — seinen
Glauben verloren hat und wieder zum Glauben (der nicht
quantifizierbar ist) gebracht werden muß (244 Anm. 1, vgl.
254.442).

Der fünfte Hauptteil beschäftigt sich mit der mt Ethik (283
bis 350). Die Analyse der Seligpreisungen 5,3—10 ist bemerkenswert
, weil Z. entschlossen den — nicht als exklusive Alternative
zum Imperativ verstandenen — Gnadencharakter auch
der matthäisch erweiterten und redigierten Seligpreisungen
verteidigt. Hinsichtlich der Stellung der Seligpreisungen im
Ganzen des Mt-Ev., von dem sie nicht isoliert werden können,
wird man ihm recht geben müssen, kaum jedoch hinsichtlich
der Einzelinterpretation. Als exemplarischen Text der matthäischen
Ethik des Glaubens interpretiert Z. sodann 5,43—48 und
25,31—46 (dieseri Text interpretiert er „universalistisch"); bei

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beiden Texten hebt er das indikativische Element, nämlich die
Vollendung und Liebe des Vaters, deren „reduplication" christliche
Liebe ist, und die aktive Solidarität Christi mit den geringsten
Brüdern, heraus. Der letzte Hauptabschnitt mit dem
übergreifenden Titel „Le croyant et l'eglise" (351—453) beschäftigt
sich mit der Kirche als corpus permixtum (Mt 21,33
bis 22,14; 8,11-12), der Bruderliebe (Mt 18) und dem mt
Missionsverständnis (5,13—16 etc.). Am wichtigsten ist hier
vielleicht das letzte Kapitel über das mt Missionsverständnis,
wo Z. klar herausarbeitet, daß das Zeugnis ebenso konstitutiv
zum Christsein gehört (427) wie das Leiden, in dem die
Situation des Jüngers derjenigen des Meisters entspricht (vgl.
10,17-25).

Das Buch ist sehr sorgfältig gearbeitet und bringt eine
Menge von klug abgewogenen, soliden Exegesen, die in ihrer
Mehrzahl Zustimmung finden werden. Es hat allerdings mehr
den Charakter eines Kompendiums bisheriger Exegese und
stößt nur selten zu eigenen, selbständigen Thesen vor. Daß das
Mt-Ev. ein Stück weit transparent ist für die gegenwärtige
Situation der Kirche des Matthäus ist eine These, die wohl
nur wenige dem Vf. ernsthaft bestreiten werden. Die schwierigeren
Fragen aber beginnen m. E. jenseits dessen, was in
diesem Buch steht. Wie verhalten sich die transparenten Elemente
des Mt zu denjenigen, die sich einer solchen Deutung
zu sperren scheinen? Die Behandlung der Gegner in der Passionsgeschichte
hat Z. hier selber genannt, die Beschränkung
der Mission Jesu und der Jünger auf Israel (10,5f.23; 15,21ff),
die von Mt betonte Nachfolge der Volksmassen, der Gehorsam
gegenüber der Lehre der Pharisäer (23,2f) sind einige
weitere Beispiele. Oder umfassender: Wie verhält sich der
für Mt gerade in seiner Auseinandersetzung mit dem Judentum
wichtige heilsgeschichtliche Entwurf zum Transparenzgedanken
, der an den meisten Stellen die christologisch bestimmte
Ethik zum Zentrum des Mt macht? Oder: Wie weit
ist eigentlich der Gedanke, daß in der Geschichte und Verkündigung
Jesu das für die eigene Gegenwart Konstitutive
sich ereignet, bzw. die eigene Gegenwart sich in ihr widerspiegelt
, ein spezifisch matthäischer Gedanke, der mehr ist
als ein Grundaxiom der synoptischen Tradition überhaupt?
Worin liegt das spezilisch Matthäische? Das sind nur einige
Beispiele von Fragen, die in dem so richtigen, vernünftigen
und soliden Buche Zumsteins ungelöst bleiben.

Göttingen Ulrich Luz

Schürmann, Heinz: Jesu Abschiedsrede Lk 22, 21—38. III. Teil
einer qucllenkritischcn Untersuchung des lukanischen Abendmahlsberichtes
Lk 22, 7-38. 2. Aufl. Münster/W.: Aschen-
dorf [1977]. XIX, 170 S. gr. 8° = Neutestamentliche Abhanden
, XX, 5. Kart. DM 48,-.

Die Erstauflage (s. ThLZ 83, 1958 Sp. 190) ist um neuere Literaturangaben
und ein Nachwort erweitert, sonst fotomechanisch
reproduziert. In der heutigen „nachredaktionsgeschicht-
lichen" Periode (163) ist gewiß die Frage nach dem theologischen
Interesse des Lukas bewußter zu stellen, als dies damals
geschah. Es ist aber darüber nicht zu vergessen, daß die Evangelisten
auch Tradenten und ebenso ihrerseits durch ihre Traditionen
geprägt sind. Man wird also verschiedene Methoden
nebeneinander anwenden. Sprachliche Untersuchungen sind
daher nicht überflüssig, auch wenn ihre Ergebnisse weniger
sicher erscheinen als 1957 noch. Vor allem beweist auch ein
vorlukanischer Abendmahlsbericht nicht eine Sonderquelle für
die ganze Passionsgeschichte. Mit diesen heutigen Einschränkungen
des Vf. halte ich seine damaligen Ergebnisse im wesentlichen
auch heute noch für richtig: Lk 22, 15—18. (27.)
28—30 ist wahrscheinlich ein zusammenhängender, besonderer
Abendmahlsbericht, wobei ich (wie in ThlZ 83, 1958 Sp. 190)
V. 19f für nicht dazu gehörend, freilich auch schon traditionell
ansehe.

Zürich Eduard Schweizer

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3