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Ausgabe:

1980

Spalte:

193-194

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Polag, Athanasius

Titel/Untertitel:

Die Christologie der Logienquelle 1980

Rezensent:

Lührmann, Dieter

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schiedcnen Jesus-Darstellungen im modernen Judentum steuert
W. P. Eckert bei (243-259). Er führt zu dem Ergebnis, daß
nur „in einer verhältnismäßig kleinen intellektuellen Schicht
von Wissenschaftlern und Literaten eine intensivere Auseinandersetzung
mit der Gestalt und Lehre Jesu stattfindet". —
K. Rudolph zeichnet auf dem Hintergrund der Geschichte
des Christentums im vorislamischen Arabien das Jesusbild
des Korans nach, wie es sich aus altchristlichen Überlieferungen
, aus der eigenen Gedankenwelt Mohammeds und aus
der Polemik bzw. Apologetik gegenüber dem Christentum aufbaut
(260—287). Trotz gewisser entwicklungsmäßiger Unterschiede
kennzeichnet dieses Jesusbild eine eindrucksvolle Geschlossenheit
, in der es noch heute die Auseinandersetzung des
Islam mit dem Christentum bestimmt. — J. Dantscher
eilt mit Riesenschritten durch die Jahrhunderte, um „Jesus in
der Frömmigkeitsgeschichte der Kirche" zu erfassen (288 bis
298). Die Skizze ist wohl zu knapp, als daß sie plastische Bilder
und damit echte Denkanstöße vermitteln könnte. Die Jesusfrömmigkeit
unserer Zeit trägt für D. noch keine klaren
Züge, sollte aber jedenfalls „nicht des Häresieverdachtes wegen
als unkirchlichc" ihren Weg suchen müssen. — Am Schluß
des Bandes (301—329) steht eine Sammlung von 24 Texten,
deren Autoren von Rahner und Bultmann über Buber, Heine
und Storm bis zu so vergessenen Namen wie M. Möller und
J. Hart reichen — eine bunte, unkommentierte Mischung, halb
Wissenschaft, halb Dichtung, die eher verwirrend als klärend
wirkt. Unmittelbare Zeitstimmen, die man hier unbedingt erwartet
, sucht man leider vergebens.

Greifswald Günter Haufe

Polag, Athanasius: Die Christologie der Logienquelle. Neukirchen
-Vluyn : Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
1977. IX, 213 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum
Alten und Neuen Testament, 45.

Die zweite Quelle der Evangelisten Matthäus und Lukas hat
in den letzten zehn Jahren großes Interesse gefunden. Allein
an Monographien sind über die von Polag berücksichtigten
Arbeiten von Hoffmann, Lührmann und Schulz hinaus jetzt
noch zu nennen: R. A. Edwards, A Theology of Q, Philadelphia
1976, und P. Vassiliadis, He peri tes peges tön logiün thcöria,
Athen 1977 (vgl. noch die ältere in Deutschland schwerer zugängliche
Arbeit: P. D. Meyer, The Community of Q, Diss. Uni-
versity of Iowa, Ph. D„ 1967). Polags Arbeit ist dabei als maschinengeschriebene
Trierer Dissertation von 1969 schon verschiedentlich
berücksichtigt worden; er selber kündigt für die
nächste Zeit noch einen literarkritisch orientierten Band:
„Sprache und Gestalt der Logienquelle Q", sowie ein Textheft:
„Fragmenta Q", an (1 Anm. 2 und 3).

Daß ein so weiter Abstand zwischen Erstfassung und endgültiger
Veröffentlichung liegt, hat den Vorteil, daß der Autor
seine eigenen Thesen in der Auseinandersetzung mit der anderen
Literatur überprüfen und absichern konnte. Beibehalten
hat er dabei sein Schema der Entwicklung der Logienquelle in
drei Stufen: Überlieferungsgut — Hauptsammlung — späte Redaktion
. Dies erinnert an Schulz' Unterscheidung zweier aufeinander
folgender Bearbeitungen der Q-Überlieferungen, auch
die Zuweisung der Texte entspricht sich weitgehend, doch
nimmt Polag als Unterscheidungskriterium das Fehlen bzw.
Vorhandensein ausdrücklicher christologischer Reflexion.

Was er im umfangreichsten zweiten Kapitel „Der christo-
logische Aussagegehalt des Überlieferungsgutes" (33—128; voraus
geht ein erstes Kapitel: „Einleitungsfragen", 1—32) darstellt
, bleibt in einer zunächst unbestimmten, sich dann aber
mehr und mehr verdichtenden Zuordnung zum historischen
Jesus selber (vgl. 127. 187. 199). Problematisch scheint mir
hier zunächst die Annahme einer Entwicklung Jesu, deren
Wendepunkt die Erfahrung seiner Ablehnung durch Israel war
(195f in Aufnahme von 118—122). Darüberhinaus könnte man
durch einen Vergleich mit der im Markusevangelium aufgenom-

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menen Jesusüberlieferung noch stärker die Besonderheit des
Überlieferungsgutes von Q herausstellen.

Das dritte Kapitel „Die christologischen Züge der Redaktion
der Hauptsammlung" (129—144) charakterisiert diese erste Redaktion
durch das Fehlen einer expliziten christologischen Reflexion
(131), nimmt dann aber an, „daß der christologische
Bekenntnisstand der Redaktoren der Hauptsammlung bereits
eine Stufe erreicht hatte, die nicht mehr dem Wortlaut der
Sprüche und dem mit ihm gegebenen Vorstellungsfeld ganz
entsprach" (139). Voraussetzung dieser „Bekenntnisdifferenz"
(ebd.) ist das christologische Bekenntnis vor allem der Aufer
weckung Jesu. Polag modifiziert hier die klassische formgeschichtliche
Q-Interpretation etwa von M. Dibelius, die ja auch
die eigentliche „Theologie" der Logienquelle nicht aus ihr
selber, sondern mittels des angenommenen „Sitzes im Leben"
aus den Überlieferungsvoraussetzungen zu erheben suchte.

Erst in der „späten Redaktion" (Kapitel 4, 145—170), die
Polag vor allem, aber nicht nur, in den Einleitungsperikopen
(einschließlich einer Tauferzählung) wirksam sieht, kommt es
zu ausdrücklicher christologischer Reflexion. Kennzeichnend
für sie sind der Titel „der Sohn (Gottes)", mit ihm das Gottesverhältnis
Jesu, seine Offenbarungsvermittlung, seine Lehrfunktion
, seine Macht (167f); kennzeichnend für diese letzte
Redaktion auch eine „christliche Schriftgelehrsamkeit" (169).

Im letzten Kapitel „Das Verhältnis der Logienquelle zur
frühen Gemeinde" (171—199) faßt Polag seine Ergebnisse zusammen
und stellt sie in den Zusammenhang einer Sicht der
historischen und theologischen Entwicklung der Urchristentums.
Die Hauptsammlung geht dabei zurück auf die „Stufe der ersten
großen Anfeindung und Rezession" (182) in Palästina; die
„späte Redaktion" stellt einen im Randgebiet Palästinas zu lokalisierenden
zweiten Typ in der Entwicklung des „hellenistischen
Judenchristentums" (186) neben dem in Antiochien beheimateten
dar.

Erstaunlich ist nach wie vor, überblickt man die vielen Arbeiten
des letzten Jahrzehnts, wie weit die Übereinstimmung
der verschiedenen Ansätze auf diesem so schwierigen Gebiet
geht, dessen Umfang ja jeweils erst erschlossen werden muß.
Die Zahl der Grundlösungsmöglichkeiten scheint nicht groß zu
sein; sie reduziert sich im Grunde auf die beiden einer stufenweisen
Entwicklung der Logienquelle und einer einmaligen
Redaktion. Polag vertritt hier weiterhin die erste Möglichkeit,
der Rez. hält an der zweiten fest. Das Problem, das er sich
damit einhandelt, liegt vor allem bei dem Verhältnis der Jesusüberlieferung
zur expliziten christologischen Tradition, das
Polag bei seiner Annahme einer ersten „Hauptsammlung" unter
nicht eigens thematisierten christologischen Voraussetzungen zu
lösen versucht.

Vielleicht liegt der Anstoß für die Weiterarbeit, nachdem nun
ein gewisser vorläufiger Abschluß erreicht ist, darin, daß man
vorsichtiger wird, immer gleich von einer „Gemeinde" zu sprechen
und sich diese Gemeinde mehr oder weniger nach dem
Bilde der der expliziten christologischen Tradition entsprechenden
Gemeinden besonders des paulinischen Missionsgebiets
vorzustellen. Vielleicht können dann die auch von Polag beobachteten
, aber immer wieder zurückgedrängten Züge der
Prophetie bei Jesus selber wie bei den Tradenten seiner Worte
wichtiger werden, als man bisher annahm.

Bethel Dieter Lührmann

Zumstein, Jean: La Condition du Croyant dans l'Evangile selon
Matthieu. Fribourg: Editions Universitaires; Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1977. 467 S. gr. 8° = Orbis Biblicus
et Orientalis, Geb. sfr. 54,—.

Diese umfangreiche, bei P. Bonnard geschriebene Lausanner
Dissertation beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Situation
der Gläubigen und der Gemeinden seiner Gegenwart
in der Bearbeitung der Stoffe durch den Evangelisten Matthäus
auswirkt. Der Vf. greift damit ein Thema auf, das in der

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3