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Ausgabe:

1980

Spalte:

185-187

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Christ, Hieronymus

Titel/Untertitel:

Blutvergiessen im Alten Testament 1980

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Verlag mit Kürzungen drohte oder daß andere, gegebenenfalls
prinzipielle Gründe ihren Einflu5 geltend machten i Im Verhältnis
zu dem, was die Forschungsgeschichte seit Gunkel bewegte
und was unter dem Siglum „Form- und Traditionsgeschichte
" weithin die atl. Forschung beschäftigt und noch in
Atem hält, kommen m. E. die der vorliterarischen Überlieferung
gewidmeten Abschnitte zu kurz. Zwar ist es durchaus
beherzigenswert und methodisch zwingend, von den schriftlichen
Zeugnissen auszugehen und zuallererst im Medium der
uns vor allem zugänglichen literarischen Hinterlassenschaft zu
arbeiten. Aber ein wenig mehr haben Form- und Gattungskritik
und die Frage nach dem Sitz im Leben im Raum mündlicher
Überlieferung vielleicht doch ausrichten können, als es
jetzt vorwiegend, dem Gesamtduktus entsprechend — in den
jeweils letzten Kapiteln, auf wenigen Seiten dargestellt, erscheint
. Mag es für den Pentateuch hingehen (96—109), bei den
Früheren Propheten befriedigen (125—139); der Abschnitt bei
den Späteren Propheten über „Prophetenbuch und Prophetenwort
" (S. 140—143) wird die Formgeschichtier kaum zufriedenstellen
. In diesem Teil scheint mir der Faden der archäologischen
Methode in Anpassung an die Buchfolge zu weitgehend
aufgegeben zu sein. Vielleicht könnte da im Sinne des Gesamtaufrisses
noch eine bessere Darstellungsform gefunden werden.

Dar) bei so viel Referieren auch eigene Positionen zum Zuge
kommen sollen, ist für ein Lehrbuch dann legitim, wenn es
in der gebotenen Zurückhaltung geschieht wie hier. Man findet
solche vorgestellt vor allem in den Paragraphen über die
dtn. Redaktionen und das dtr. Geschichtswerk. Sie zu diskutieren
, ist hier nicht der Ort. Wie die Frage, inwiefern an den
..alten Literaturwerken" des Jahwisten und des Elohisten noch
so ohne weiteres festgehalten werden kann, bleibt auch diese
— und unzählige andere — notwendig offen. Doch nicht solche
Probleme zu lösen — sie darzustellen und mögliche Antworten
vorzuführen war die Aufgabe. Sie ist mit souveräner Sachkenntnis
und wohltuender Durchsichtigkeit gelöst. Ein neues
Standardwerk der atl. Einleitungswissenschaft ist entstanden.

Studenten, die auf meine Bitte hin das Buch zur Examensvorbereitung
gelesen und durchgearbeitet haben, fanden es
hauptsächlich seiner konsequenten Darstellungsform wegen
sehr hilfreich und brauchbar, wenngleich sie über die Fülle
der Informationen erwartungsgemäß beunruhigt waren. Gleichsam
als Anregung möchte ich mir nun zuletzt noch die Frage
erlauben, ob der Raumgewinn durch die Abkürzungen wie z. B.
königl., lit, kanon. wirklich so groß ist, daJfj er den Verlust an
Klartext für den ästhetisch anspruchsvolleren Leser ausgleichen
kann.

Kiel Klaus Seybold

Christ, Hieronymus: Blutvergießen im Alten Testament. Der

gewaltsame Tod des Menschen untersucht am hebräischen
Wort däm. Basel: Reinhardt i. Komm. 1977. 236 S. 8° =
Theologische Dissertationen, hrsg. v. Bo Reicke, XII. Kart.
DM 29,80.

Die Untersuchung gellt von dem hebräischen Wort für „Blut"
aus, wobei sie sich auf einen Denk- und Sachbercich beschränkt,
in dem dieses Wort auftritt: den gewaltsamen Tod von Menschen
. Wie bereits aus der Einleitung hervorgeht (5—8), wird
das Phänomen des Tötens im Krieg von der Untersuchung
nicht mit erfaßt, da es im allgemeinen nicht mit „Blutvergießen
" bezeichnet wird.

In einer der Einleitung folgenden Vorbemerkung (Abschnitt
A, 8—12) wird auf eine bemerkenswerte Tatsache aufmerksam
gemacht: Wo wir von „Blutsverwandtschaft" sprechen, sprach
der Hebräer vom gleichen Fleisch und Gebein u. ä. Die Ursache
ist darin zu suchen, daß wir bei Blut auch an die in den
Adern kreisende Flüssigkeit denken, während der Hebräer
nur an das vergossene Blut dachte. Darum taugte für ihn das
Wort für „Blut" nicht zur Bezeichnung der Verwandtschaft.

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Der erste Hauptteil (B. Semasiologische Untersuchung der
Einzelgröße däm, 12—68) stellt dar, in welcher Weise im Hebräischen
vom gewaltsamen Tod gesprochen wird. Dabei wird
zunächst der Ausdruck „Blut vergießen" (sälak däm) mit den
anderen hebr. Ausdrücken des Tötens verglichen. Es ergibt
sich, daß „Blut vergießen" nicht eine „Tötungsweise oder einen
Teil des Tötungsvorgangs, sondern einzig das nicht veranschaulichte
, im allgemeinen schuldhafte Töten" bezeichnet (18).
Auch poetische Bilder wie „das Blut wie Wasser vergießen"
(Ps 79,3) enthalten nach Meinung des Vf. keine Vcranschau-
lichung. Hier kann ich ihm nicht folgen, so sehr sich die gegebene
Definition auch sonst bewährt. Das übertragen gebrauchte
däm hat die Bedeutung „gewaltsamer Tod" (20). Ein Beispiel
hierfür: „Laß seine Grauköpfigkeit mit Blut zur Grube fahren"
(lKön 2,9) bedeutet: „Laß ihn in seinem Alter eines gewaltsamen
Todes sterben." näpi, mit däm verbunden, bezeichnet
die Person, welche einen gewaltsamen Tod unschuldig, d. h.
zu Unrecht erleidet (34). Der Plural dämim intensiviert die
Bedeutung „gewaltsamer Tod" zu „schuldhafte Bluttat", also
„Mord"; er kann auch verallgemeinert so viel wie „Verbrechen
" heißen. Die Blutformel in Lev 20 „ihr Blut auf ihnen",
die immer dem mit möt jümat schließenden Rechtssatz folgt,
begründet „das Todesurteil, indem sie die Vergehen gegen die
Sittlichkeit auf die Ebene des schuldhaften Tötens hebt" (68).

Der zweite Hauptteil (C. däm in größeren sprachlichen Feldern
, 69-129) behandelt das Wortfeld „Blut" und „Land", die
Rede vom sich auswirkenden vergossenen Blut und die Rede
vom geforderten Blut. Es wird dabei die religionsgeschichtliche
Tiefenschichtung berücksichtigt. Hinter der Rede von dem von
der Erde her schreienden Blut (Gen 4,10) und seinem Bcdek-
ken stand ursprünglich die Vorstellung, daß das Blut eines
Erschlagenen nach einem Rächer ruft — wobei ein Unterschied
zwischen schuldhaftem und schuldlosem Töten nicht gemacht
wurde — und daß das Blut aufhört zu schreien, wenn die
Rache vollzogen ist. Im gegenwärtigen Zusammenhang von
Gen 4,10f haben wir „am ehesten die Rede von einem zu
Jahwe schreienden Tatbestand vor uns. Es wird gesagt, daß
ein Unrecht . .. nach der Rechtshilfe ruft" (81f). Gut herausgearbeitet
wird die Tiefenschichtung auch bei der Exegese von
Dtn 21,1—9, dem Zeremoniell, das im Falle eines von unbekannter
Hand verübten Mordes stattzufinden hat (86—91).
Zwei Gedankenkreise treten bei der Untersuchung der auffallenden
Wortverbindungen und Wortfelder hervor. Nach dem
einen ist die zu Unrecht geschehene Bluttat eine Größe, die
als unsichtbare Macht gegenwärtig bleibt, auf dem Lande, in
einer Stadt, inmitten des Volkes. Die Furcht, von ihr in Mitleidenschaft
gezogen zu werden, zwingt dazu, die durch sie
herbeigeführte Störung des Lebens zu beseitigen und den
Gleichgewichtszustand wieder herzustellen. Nach dem zweiten
Gedankenkreis ist es Jahwe selbst, der nach einem Blutvergießen
waltet: „Er läßt, auch wenn durch Menschenhand, ,das Blut
eines Getöteten auf den Täter zurückkehren', d. h. er vergilt
die Tat durch ein neues Tun. Er .fordert das Blut von des
Täters Hand', d.h. er fordert Rechenschaft für eine Tat" (148f).

Der dritte Hauptteil (D. Die übrigen Vorstellungen vom
menschlichen Blut, 129—146) geht auf die Frage ein, ob die
übertragene Bedeutung „(vergossenes) Blut" = „gewaltsamer
Tod" wirklich dominiert oder ob es daneben nicht auch Hinweise
auf eine Leben fördernde Wirkung des Blutes und Vorstellungen
vom Blut als einer Lebenskraft gibt, so daß däm,
übertragen gebraucht, auch „Leben" bedeuten könne. Ein
erster Teil behandelt das apotropäische Blut, d. h. das Be-
schneidungsblut (Ex 4,24—26) und das Passahblut (Ex 12,21
bis 23). In beiden Fällen dient das Bestreichen mit Blut dazu,
den Dämon bzw. die Gottheit zu täuschen, indem der Eindruck
erweckt wird, die Tötung sei bereits geschehen. Ein lebensförderndes
Element ist das Blut hier also nicht (höchstens
ganz indirekt). Interessant ist der Vorschlag auf S. 131, saf in
Ex 12,22 nicht mit „Becken", sondern mit „Schwelle" zu übersetzen
. Der zweite Teil behandelt direkt die Frage: „Blut", ein
Ausdruck für „Leben"? Metaphorische Ausdrücke vom „Blut-

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3