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Ausgabe:

1980

Spalte:

181-183

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sequeira, A. Ronald

Titel/Untertitel:

Klassische indische Tanzkunst und christliche Verkündigung 1980

Rezensent:

Lehmann, Arno

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3

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halten, daß es auch zwischen dem hellenistischen Judentum und
geläutertem Kynismus Beziehungen gab.

Die Briefe des Sokrates und der Sokratiker (217-307), bearbeitet
von Stanley Stowcrs (ep. 1—25) und David R.
Worley (ep. 26—35) unterstreichen die Bedeutung der somatischen
Tradition für die kynische Popularphilosophie. Die
Briefe der ersten Gruppe (1—7) geben sich als Schreiben des
Sokrates selbst, stammen aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert
, bedienen sich einer stark didaktisch gehaltenen Prosa
und bilden mit ihrer Rezeption Xenophons und Piatos einen
Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Sokrates, der als geeigneter
Sprecher der kynischen Gedankenwelt erscheint. Die übrigen
Stücke, fiktive Briefe seiner Schüler an verschiedene Persönlichkeiten
, um 200 n. Chr. entstanden, huldigen der modischen
Neigung zum Briefroman. Der hier vorliegende Typ
eines Kynismus mit platonischem Einschlag läßt Tendenzen
erkennen, die über die Epoche der Popularphilosophie hinausweisen
.

Von kynisch-stoischem Denken sollte nach dieser Quellenlektüre
nicht so leichthin gesprochen werden. Wer seine Freude
an differenzierter Aufgliederung hat, dem öffnet sich auch in
diesem Bereich ein weites Feld. Vielleicht gibt es doch noch
irgendwo den Neutestamentier, der (den Wunsch von Johannes
Weifj gleichsam umkehrend) diese Ausgabe mit dem Neuen
Testament in der Hand liest.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

1 J. Wcifj. Die Aufgabe der neutestamentlichen Wissenschaft in der Gegenwart
, Göttingen 1900, S. 4; 11; 55.

2 Wohlgemcrkt, es handelt sich hier um die orphischen Hymnen, nicht um
die diversen orphischen Fragmente, für die O. Kern, Orphicorum fragmenta
(1922) die maögebende Ausgabe bleibt I

3 Auf der Basis der Ausgabe des Akademie-Verlags Berlin (Schriften und
Quellen der Alten Welt 14, 1963).

Sequeira, A. Ronald: Klassische indische Tanzkunst und christliche
Verkündigung. Eine vergleichende religionsgeschichtlich
-religionsphilosophische Studie. Freiburg—Basel—Wien:
Herder (1978). 328 S. m. Abb., 8 Taf. gr. 8° = Freiburger
theologische Studien, 109. Kart. DM 58,-.

Der Autor, Inder und kath. Christ, hat mit dieser großen
Arbeit 1970 bei Karl Rahner promoviert und sich seit weit über
10 Jahren mit der Materie beschäftigt. Wer zu anderer Literatur
über den indischen Tanz keinen Zugang hat, kann sich
hier bestens informieren, ebenso aber auch über die Geschichte
des europäischen Tanzes und das christliche Tanzverständnis
(wobei das Fehlen einer /Theologie des Tanzes' vom Vf. bedauert
wird). Das Buch wendet sich an Theologen und besonders
auch an die Missionswissenschaftler: denn es geht um
den indischen Tanz als eine erwünschte und, wie der Vf.
meint, auch mögliche christliche Verkündigung und damit auch
um eine mögliche Dialogart (297f).

Das Buch hat 4 Teile. Teil I erläutert stoffreich und lesenswert
Begriff und Wesen des Tanzes (Phänomenologie, Anthropologie
, Geschichte des religiösen Tanzes).

Teil II führt ein in die Geschichte des klassischen indischen
Tanzes, der als Resultat der „herrlichen vorarischen und arischen
Tanztradition" gesehen wird (67). Es werden aufgezeigt
die Quellen „der klassischen Tanzsprache", die so wichtige
klassische Gestensprache und „Sinnvermittlung, Bewegungsaufbau
und Repertoire in den verschiedenen Stilformen".

Nach aller Vorarbeit handelt Teil III vom Verhältnis der indischen
Tanzkunst und christl. Verkündigung, also vom beiderseitigen
Tanzverständnis. Der Leser hört von dem „tanzenden
Hochgott der Inder" (Siva) und „dem tanzenden Liebesgott"
(Krishna), und auch über die Tanzbewertung in der Kirchen-
geschichtc. Diese weiß von vielen Tänzen, auch von Bischöfen
und Geistlichen, auch in Kirchen und in Klöstern „vor dem
Altar" (253) und auch „vor dem Hochaltar" — sind doch die
Prozessionen auf tänzerische Wurzeln zurückzuführen (252).

Leider scheint der Vf. nicht Kenntnis zu haben von der mehrfach
bezeugten Tatsache, daß man in den sog. Jungen Kirchen
auch heute tanzt und selbst Tanzflächen in Kirchen anlegt.
Bei seiner Aversion gegen die „heute kaum mehr lebensfähige,
sogenannte ,Missionswissenschaft'", deren Kenntnis bei ihm
nur bis ins Jahr 1948 erkennbar gemacht ist (257), ist dies
verständlich, freilich auch bedauerlich.

Mehrfach und deutlich wird herausgestellt, daß der Tanz
„Träger und Vermittler der indischen Religion" ist. Hier liegt
das Problem: „Kann die indische Tanzkunst künstlerisch
adäquat eine christliche Aussage machen?" (221). Und die Behauptung
ist, daß eben diese klassische indische Tanzkunst
„auf Grund ihrer künstlerischen Gestalt der Sinnvermittlung
zum Vermittler eines Dialoges werden kann" (222). Ja, die
indische Tanzsprache „ist in jeder Hinsicht ein geeignetes
Mittel für die Vermittlung christlicher Aussagen" (267).

Wie nun solche von einem christlichen Künstler vermittelt
werden können, das muß man im Ganzen S. 265f nachlesen.
Als sicher gilt, daß der Künstler ein „Hörer des Wortes" sein
muß und daß der christliche Charakter seiner Aussage „letzten
Endes auf seinem eigenen Glaubens- und Selbstverständnis
" gründet (267). Gewissenhaft werden auf den S. 267—278
die einzelnen Tanzstile auf ihre (teilweise) Verwendbarkeit
geprüft und eine Liste weist das Ergebnis noch einmal klar
auf (279/280, auch 285, 291).

Erfreulich klar wird sodann auf S. 280 f auf ungeeignete
Tanzelemente hingewiesen, z. B. auf die Gestendarstellung des
Sivalingam (281), auf den Siva-Tanz und das Krishnabild des
flötenden Hirten (wobei es auf die Veränderung der Fußstel
lung ankäme, 283), auf den „Dreizack" (284) u.a. (285, 287,
288, 290). Auch dafür wird eine hilfreiche Listen-Darstellung
geboten (291, dazu 279, 287). Dieses Gebiet der Prüfung muß
weiter bearbeitet werden. Es geht auch um die Neuschöpfung
von Elementen zur Entwicklung einer indisch-christlichen Tanztradition
(290).

Mit 21 Bildern der Handgestik folgt S. 292ff ein konkretes
Modell, nämlich das Vater Unser. Das aber'will genau gelesen
sein, und die Bilder mit den Fingerhaltungen muß man selber
ansehen. Fraglich bleibt freilich, o b (hier und auch sonst) die
Gesten s o christlich verstanden werden, wie sie intendiert
sind — also z. B. die Gestik für Vergebung im Bibelsinn (295),
oder für Sünde, Schuld und „Erlösung" — selbst falls (!) es
wahr sein sollte, daß sich „das allgemeine, heutige Erlösungsverständnis
der Inder dem christlichen sehr nahekommt" (296).

Für dieses Vaterunser-Modell sei auf die große Arbeit des
Vf. verwiesen, die leider im Lit.-Verz. nicht vorkommt, aber
auf S. 6 genannt ist (Erscheinungsjahr: 1977).

Teil IV ergeht über die indische Tanzkunst „als Instrument
und Medium" eines erwünschten indisch-christlichen Dialogs
(297ff). Was unter „Dialog" verstanden werden soll, wird
S. 297—299 ausgeführt. „Wir verstehen unter ,Dialog' im umfassenden
Sinne des Wortes: er ist eine „gemeinsame Sache
der Freiheit und, dank des Fortschritts der Freiheiten, ein
gemeinsames Mühen um ein Fortschreiten in Richtung auf
mehr Wahrheit" (298).

Als ein spezielles Problem für einen Dialog ist die Frage
genannt nach einer indisch-christlichen Liturgie (309), die schon
andernorts intensiv bearbeitet wird.

Die ganze Frage des Dialoges ist noch immer ein umstrittenes
Feld. Es muß dabei bleiben, daß „die .Christlichkeit'
seiner Aussage nur garantiert wird, wenn der Tänzer-Künstler
seine künstlerischen Entwürfe als eine in Glaube und Liebe
gefaßte Antwort auf das Wort Gottes in Christus versteht"
(311).

Der Vf. meint abschließend (313), die indischen Christen der
Zukunft hätten eine einmalige Gelegenheit vor sich, zwischen
den Weltreligionen den echten Dialog zu fördern — denn „der
wirkliche Dialog hat immer noch nicht angefangen" (313).

Dem Autor und dem Verlag gebührt Dank, auch wenn man
dem Anliegen mit mehr Wünschen als Gewißheit begegnet.