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Ausgabe:

1980

Spalte:

179-181

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Malherbe, Abraham J.

Titel/Untertitel:

The cynic epistles 1980

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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179

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3

180

Herrmann, Wolfgang: Erlebnisse, Erfahrungen, Praxis. Theologische
Ausbildung in praktischer Perspektive (WzM 30,
1978 S. 265-275).

Käsemann, Ernst: Die Geduld der Rebellen (WPKG 67, 1978
S. 55-59).

Religionswissenschaft

Athanassakis, Apostolos N.: The Orphic Hymns. Text, Translation
and Notes. Missoula, Montana: Scholars Press for
The Society of Biblical Literature [1977). XIV, 146 S. gr. 8°
= Society ob Biblical Literature. Texts and Translations, 12.
Graeco-Roman Religions Series, 4.
Malherbe, Abraham J.: The Cynic Epistles. A. Study Edition.
Missoula, Montana: Scholars Press for The Society of Biblical
Literature [1977]. VII, 334 S. gr.8° = Society of Biblical
Literature. Sources for Biblical Study, 12.
Wer hätte nicht, um den antiken Seelenglauben zu belegen,
von „orphischer Mystik" gesprochen? Wem ist zur Charakterisierung
der Hauptrichtung populärer hellenistischer Philosophie
zur Zeit des Neuen Testamentes nicht die Rede von
kynisch-stoischem (mit Bindestrich!) Denken glatt über die
Lippen gegangen? Doch wem ist es bewußt, wie unscharf, ja
fehlerhaft solche Wendungen sind? Quellenlektüre auf diesem
Gebiet ist ein schwieriges Unterfangen. Es sei denn, man ist
Spezialist im Bereich der Hellenistica, doch welcher Neutesta-
mentler oder Religionshistoriker ist das schon? Der von Johannes
Weifj1 und jetzt wieder von Abraham Malherbe (s. u.)
beschworene Theologe, der sein Neues Testament mit Seneca,
Epiktet oder der Arnimschen Ausgabe der Stoica in der Hand
liest, ist ein Phantasma geblieben. Eher dürfte zutreffen, daß
auch Neutestamentier, die sich bei der Differenzierung verschiedener
Richtungen innerhalb des Urchristentums der feinsten
Unterscheidungen bedienen, hier sich mit sehr pauschalen
Kennzeichnungen begnügen. Die Texte, auf die es ankommt,
waren lange nicht leicht zugänglich. Zwei bilinguale (griech.-
engl.) Ausgaben, jeweils der 12. Band zweier verschiedener
Reihen des gleichen amerikanischen Verlages, für theologische
Leser gedacht, erlauben es, Zugang zu gewinnen und zugleich
unterschiedliche Wege der Präsentation zu vergleichen.

Apostolos N. Athanassakis (Santa Barbara Ca.) gibt
seiner Edition der Orphischen Hymnen von vornherein den
enger gezogenen Rahmen. Er hat den Text der Ausgabe von
Wilhelm Quandt (Berlin 1962) unverändert übernommen und
die schwierige Aufgabe der Übersetzung mit sachkundiger
Beratung gemeistert2.

Die Einleitung (S. VII—XIV) unterrichtet über die älteren
Belege zu den Orphikern, die sich jedoch nicht auf die vorliegenden
orphischen Hymnen beziehen. Als deren wahrscheinliche
Entstehungszeit gilt ihm das 1.—2. nachchristliche Jahrhundert
. Die Existenz orphischer Kulte setzt er erst in der
Kaiserzeit an, ihre größte Ausbreitung in der 2. Hälfte des
2. Jh. Die kleinasiatische Herkunft der Hymnen scheint ihm
wegen der dortigen epigraphischen Bezeugung auffälliger Namen
als sicher, Kerns These, die Pergamon als Entstehungsort
annimmt, als möglich (S. IX). Sie stammen aus einer religiösen
Verbindung (thiasos), deren Glieder sich Mysten nannten. Gebet
, Libation und Opfer, aber auch Geheimriten praktizierten.
Als Dokumente des oft berufenen Synkretismus sind sie keiner
bestimmten philosophischen Richtung zuzurechnen. Angerufen
werden Gottheiten oder deifizierte Abstraktionen, am häufigsten
Dionysos. Sie erlauben die Rekonstruktion lediglich der
Grundstrukturen einer „orphischen" Mythologie. Die Vorstellung
vom Leib als Gefängnis der Seele, eine Basisvorstellung
der Richtung, spricht sich am klarsten in 87,1—5 aus. Die im
Anhang der einzelnen Hymnen beigegebenen Noten enthalten
Erklärungen der mythologischen Namen mit Nachweisen aus
der älteren griechischen Literatur, bieten jedoch kaum mehr als
jedem Mythologischen Lexikon zu entnehmen wäre. Als Beispiel
die (einzige) Note zu Hymnus 40: „For Demeter's con-

nection with Eleusis see the beautiful Homeric Hymn to Demeter
2." (126).

Abraham J. Malherbe, inzwischen bekannt durch seine
„Hellenistic Moralists and the New Testament" (in: Aufstieg
und Niedergang der römischen Welt III, Berlin 1977), hat mit
seiner Edition der Kynikerbriefe eine Handausgabe geschaffen,
wie sie bislang nicht existierte und auch hohen Ansprüchen
genügt. Die von ihm ausgewählten fünf Corpora, jeweils von
verschiedenen Übersetzern und Kommentatoren betreut, werden
mit einer knapp gefaßten Einleitung vorgestellt (6—34),
nach der letzten Textausgabe dargeboten und durch zwei vorzügliche
Beigaben im Anhang erschlossen: ein Namensregister
(309—315) und einen mehr als 1100 Worte umfassenden Begriff
sindex (315-334).

Die Verteilung auf verschiedene Bearbeiter hat den Vorzug,
dafj diese sich nicht nur in die inhaltlichen Probleme sondern
auch in die Forschungsgeschichte ihrer Corpora gründlich einarbeiten
konnten. So wird auch dem mit diesem Bereich unvertrauten
Leser ein anziehungskräftiges Bild geboten, das ihn
zur Präzisierung unscharfer Begriffe und Vorstellungen bestimmen
könnte. Er lernt sehr verschiedene Typen und Kombinationsmöglichkeiten
kynischer Philosophie kennen.

Die Anacharsisepisteln (36—51), bearbeitet von Anne M.
McGuire3, geben sich als Produkte eines skythischen Prinzen
, der im 6. vorchristlichen Jahrhundert als Weisheitssucher
Griechenland bereiste. Ein Stück kynischer Kulturkritik, einem
„edlen Wilden" in den Mund gelegt. Verbreiteter Meinung
gemäß erst im 1. vorchristlichen Jahrhundert entstanden, nach
neuerer Anschauung (H. Reuters) jedoch schon im 3. Jh. v. Chr.
verfaßt. Wäre diese Auffassung richtig, bildeten sie eine wichtige
Instanz gegen die verbreitete These, dafj der Kynismus
Ende des 4. Jh. verschwand und erst in der Kaiserzeit wieder
auflebte. Mit verschiedenen Verfassern innerhalb des Corpus
wird allgemein gerechnet, auf jeden Fall steht der 10. Brief
sprachlich und überlieferungsgeschichtlich gesondert da als
ältestes Stück der Sammlung, die überhaupt den frühsten und
reinsten Typus zu repräsentieren scheint.

Die Briefe des Krates (54—89), betreut von Ronald F.
Hock, sind gleichfalls Pseudonyma, die vor allem wegen
der Verwandtschaft zu den Diogenesbriefen wichtig sind; sie
sind jedoch jünger als diese und gehören in das 1. oder 2.
nachchristliche Jahrhundert. Der Hrsg. übernimmt die These
von W. Capelle, daß mindestens drei Autoren beteiligt waren.
Weitere auch traditionsgeschichtliche Studien, die auch die den
Neutestamentier interessierende Frage einzubeziehen hätte,
wie es zum Zusammenschluß der Briefe verschiedener Autoren
unter einem Pseudonym kam, sind noch erforderlich.

Noch komplizierter bietet sich das Problem der 51 Briefe
dar, die dem im 4. Jh. v. Chr. lebenden Kyniker Diogenes von
Sinope zugeschrieben werden (92—113) und den Rest einer umfangreichen
pseudepigraphen Literatur unter diesem Namen
darstellen (Übersetzer und Kommentator: P.Benjamin Fiore
S. J.). Auch hier wieder nach Stil, Inhalt und Tendenz unterscheidbare
Verfasser (3 nach Capelle sogar 4); auch hier wiederum
eine Entstehungszeit, die von 200 v. Chr. bis zum Beginn
der Kaiserzeit reicht. Diese Briefe sind Paradestücke kynischer
Propagandaliteratur, die sich wegen der im zentralen Komplex
(ep. 28—40) anzutreffenden Tendenz zum Briefroman für
eine die literarische Technik untersuchende Studie geradezu
anbieten. Propaganda soll unterhaltend sein! Hier liegt auch
eine Berührung mit der anderen großen Richtung der Popular-
philosophie vor, so daß mit Recht von kynisch-stoischer Prägung
gesprochen werden kann (ep. 12; 35; 37).

Für die 5 Episteln des Heraclitus (186—215), übersetzt und
erläutert von David R. W o r 1 e y, steht die Zurückführung
auf verschiedene Autoren und die Entstehung im 1. nachchristlichen
Jahrhundert seit Jacob Bernays fest. In den Hintergrund
gedrängt ist die vom gleichen Forscher gestellte Frage
nach der jüdischen Herkunft der ep. 4, 7, 9. Die in ep. 4 enthaltene
theologia naturalis, die in ep. 7 und vor allem 9 gegebene
Berührung mit Philo sollten die Möglichkeit offen