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Ausgabe:

1980

Spalte:

176-177

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Paul de Tarse, apôtre du notre temps 1980

Rezensent:

Holtz, Traugott

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das Berliner „Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
" wieder, in dem Tillich gegen seine Entlassung aus
dem Staatsdienst 1933 Einspruch erhebt und in dem er auf
seine Kritik am „dogmatischen Marxismus" und auf seine
Konzeption aus den „naturgebundenen Kräften im menschlichen
Sein" hinweist. Mit Recht sehen die Vff. hier Tillich
als „erstaunlich zweideutig" (158) und vom Bestreben bestimmt
„sich allen Möglichkeiten gegenüber offenzuhalten"
(159). Das änderte sich bald. Daß Tillich nicht nur „auf der
Grenze" lebte, sondern auch Grenzen hatte, wird in der Darstellung
von Tillichs Lebensgang in der Emigration so keineswegs
verschwiegen. Dabei entsteht aus genauer Kenntnis der
Schwierigkeiten, denen sich der zur Emigration gezwungene
(Hier hätte ein Hinweis auf Tillichs Mitarbeit an der beim
Verlag Klotz, Gotha, 1932 erschienenen Schrift „Die Kirche und
das dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen
", diesen Zwang vielleicht noch stärker verdeutlichen können
.) Philosoph und Theologe gegenübersah, ein differenziertes
Bild dieser Lebensphase. Tillich hatte Schwierigkeiten mit
der Sprache, aber auch mit dem für ihn so ganz anderen amerikanischen
Lebensstil. Dazu kam die völlig andere amerikanische
theologische und philosophische Situation. Glück hatte
er im Unglück, am Union Theological Seminary eine Wirkungsstätte
und adäquate Arbeitsmöglichkeit zu finden. Andere
Emigranten hatten dieses Glück oft nicht.

Es ist hervorzuheben, daß die Biographen genau das vielfältige
Bild von Freundschaften, Hilfsbereitschaft, aber auch
Abhängigkeiten gezeichnet haben, in denen Tillich nunmehr
stand, auch das schwere Ringen in der „Fremde" um erneute
Anerkennung und akademische Anstellung. Auch hier werden
Phasen unterschieden, die am Ende hin zur „Zweideutigkeit
des Ruhms (1955-1965)" führten. Kap. V berichtet über Glück
im Unglück (1933-1939), Kap. VI, „Eine Brücke zur Welt
(1939—1955)", von der Rückkehr nach Deutschland, aber auch
von der „Zeit der Ernte" und dem theologisch-wissenschaftlichen
Höhepunkt mit dem Werk „Systematische Theologie".

Ruhm und Anerkennung vor allem nach 1955 werden ihm
reichlich zuteil. Lehrstühle an der Harvard Universität und
der Universität Chicago bringen zusammen mit einer ungewöhnlich
ausgedehnten Vortrags- und Reisetätigkeit eine starke
Wirkung auf das geistige Leben der USA. Die Vff. geben hier
detaillierte Angaben und Analysen. Die Frage drängt sich auf,
woher diese zunehmende Anerkennung in der Öffentlichkeit
der USA? Sicher auch durch zunehmende Anpassung an die
Gegebenheiten des amerikanischen Lebens, d. h. aber auch
durch Eingehen auf Fragen, die Psychologie, Medizin und Philosophie
in den USA bewegten.

Die Biographen bemerken auch einen Rückzug Tillichs aus
der aktuellen Politik, vor allem, nachdem Tillichs Einsatz für
den „Rat für ein demokratisches Deutschland" (Thomas Mann
hatte die Leitung abgelehnt) ohne Erfolg blieb. „Der .Council'
brach schließlich nach heftigen Auseinandersetzungen über das
Abkommen von Jalta auseinander; aber auch sonst hatte es
sich als unmöglich erwiesen, für irgend ein Ziel eine tragfähige
Mehrheit zu finden." (211)

Tillichs Aufnahme existentialistischer und tiefenpsychologischer
Fragestellungen akzentuierte nach diesem Zurücktreten
politischer Probleme seine Wirksamkeit anders, verschaffte ihm
aber einen weltweiten Wirkungsradius (232). Eine Verbindung
von Fragestellungen des Klassischen Deutschen Idealismus
(insbesondere Sendlings) mit den existentialistischen Tagesströmungen
, die nach und nach in den USA Gehör fanden,
kennzeichnete nunmehr Tillichs geistiges Profil. Einen Bruch
mit dem geistigen Ansatz des jungen Tillich bedeutete das
nicht (ein Blick in die Dissertationen bestätigt das). Die gesellschaftlich
-politische, ursprünglich religiös-sozialistisch orientierte
Konzeption verschwand aber in ihren deutlichen Konturen
. Hier bleibt als Grundproblem: Ein Anhänger des Deutschen
Idealismus in Amerika und überhaupt in unserer Zeit.

Trotzdem kann man die These wagen, daß Tillichs große
und universelle Wirksamkeit nicht zuletzt auf seiner Umfor-

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mung von Grundkategorien des Deutschen Idealismus beruht,
die ihre Fähigkeit bewiesen, für Tillichs Theologie und Philosophie
systemtragend zu sein. Ob das zureicht, den Glaubensfragen
und Aufgaben der Gesellschaftsgestaltung heute gerecht
zu werden, steht auf einem anderen Blatt. Tillich hat in den
damit gegebenen Spannungen, Widersprüchen und Identitäten
gedacht und auch gelebt. Anfragen und Einwände von Theologen
, Kirchenmännern und Philosophen haben die Biographen
nicht nur genau aufgenommen, sondern auch als eine Tillich
ständig innerlich bewegende Anfrage verstanden. Es wäre einseitig
, nur diese prinzipiellen Probleme als die Biographie bestimmend
hervorzuheben. Man erfährt sehr viel auch von den
äußeren Lebensumständen, finanziellen und familiären Sorgen
der Tillichs, aber auch wie sie wohnten, reisten und ihre Zeit
einteilten. Auch das bereichert unsere Kenntnis über einen der
großen Theologen unseres Jahrhunderts.

Es ist den Biographen, den Übersetzern und den Verlagen zu
danken, daß sie uns nunmehr nach Herausgabe der gesammelten
Werke Tillichs eine wissenschaftliche Würdigung und Darstellung
des Lebens Paul Tillichs gegeben haben, die allen
Anhängern des Theologen und Kulturphilosophen eine wichtige
Hilfe und Förderung für das Verständnis Paul Tillichs bedeuten
kann. Die Biographie ist engagiert geschrieben und
doch behutsam im Urteil. Für die ruhige, stetig fortlaufende
Debatte um das Lebenswerk Paul Tillichs gibt sie eine gute,
biographische Grundlage.

Leipzig Hans Moritz

De Lorenzi, Lorenzo: Paul de Tarse apötre du notre temps. La

Communaute Monastique de S. Paul en memoire de Pape
Paul VI. Rome: Abbaye de S.Paul h. 1. m. 1979. 806 S.,
1 Taf. gr. 8° = Serie monographique de „Benedictina". Sec-
tion paulinienne, 1.

Der Band war geplant als Festschrift zum 80. Geburtstag
Papst Pauls VI. Er ist nun seinem Gedächtnis gewidmet. Ein
gutes Bild des Papstes, das eigentlich für den Tag seines
80. Geburtstags reserviert war, leitet ihn ein. Der Band stellt
von Anlage und Durchführung her eine Würdigung eindrücklicher
Art für den Papst dar, der sich nach Paulus nannte.
Angeregt durch den damaligen Substitut des päpstlichen
Staatssekretariats Card. Benelli gegenüber dem Abt des Klosters
zum Hlg. Paulus G. Turbessi ist er betreut und herausgegeben
durch L. De Lorenzi. Vorbereitet war dieses durchaus kühne
Unternehmen durch wichtige interkonfessionelle Tagungen, die
das herausgebende Kloster veranstaltete. Es gelang daher,
eine Gruppe bekannter Neutestamentier aus verschiedenen
Konfessionen zur Mitarbeit zu gewinnen. Alle Beiträge sind
entweder in Französisch oder Englisch verfaßt oder in eine
dieser Sprachen übersetzt, „les deux langues les plus accessib-
les au public international vise" (S. 8). Eine kurze „Introduc-
tion" von G. Turbessi und L. De Lorenzi, in der nachdrücklich
auch auf die ökumenische Bedeutung des Unternehmens hingewiesen
wird, sowie eine „Preface" von G. Card. Benelli, die
interessant Probleme des Bandes behandelt, leiten ihn ein.

Die Beiträge sind in 5 Teile untergliedert. I. L'homme de
Dieu: A.-L. Descamps, Paul, Apötre de Jesus-Christ, 25
bis 60. — L. L e g r a n d, Les devanciers de Paul dans la
mission selon les Actes des Apötres, 61—74. — P. B e n o i t,
Genese et evolution de la pensee paulinienne, 75—100. — G.
Turbessi, L'Apötre Paul, „homme de Dieu" (Biographic
spirituelle), 101—162. — II. Deuant la parole de Dieu: F.
Festorazzi, Coherence and Value of the Old Testament
in Paul's Thought, 195—173. — R. P e n n a, „L'evangile de la
paix", 175-199. - M. A. Siotis, La „XPEET0TH2" de
Dieu selon l'Apotre Paul, 201-232. - Fr. DreyfUS, Pom-
la louange de sa gloire (Ep 1,12.14). L'origine vetero-testa-
mentaire de la formule, 233-248. - B. Orchard, Ellip-
sis and Parenthesis in Ga 2:1-10 and 2Th 2:1-12, 249-258.

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 3