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Ausgabe:

1979

Spalte:

156-157

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kondo, Katsuhiko

Titel/Untertitel:

Theologie der Gestaltung bei Ernst Troeltsch 1979

Rezensent:

Kondo, Katsuhiko

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 2

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Stimmung des frommen Besuchers Rechnung trägt und sein
Gefühl anspricht. Der Architekt möchte mit seinem Kirchenbau
das Individuum und sein religiöses Gefühl zur Geltung bringen,
aber auch das Bewußtsein der Gemeinschaft vermitteln, allerdings
hier mehr im Sinne von Schleiermachers „Geselligem" in
der Religion (die Rcsucher von St. Petri sollen nach den Entwürfen
in losen Gruppen im Kirchenraum gehen oder stehen;.

In den Jahren nach 1813, da die Romantik vielfach erstarrt
und die Restauration erstarkt, beginnt Schinkel über die romantischen
Ansätze hinauszuwachsen (ohne sie zu negieren). Er
wird mehr und mehr zum klassizistischen Baumeister, besonders
in den Profanbauten. Im Kirchenbau sucht er nach neuen
Konzeptionen. Als Ausdruck und Ergebnis dieser Suche kann
die Friedrich-Werder-Kirche in Rerlin angesehen werden. Auf
Wunsch des Bauherrn (König Friedrich Wilhelm III.) verwendet
Schinkel mittelalterliche Stilformen, aber in Anlehnung an
englische Vorbilder. Dadurch gelingt eine neue Verwirklichung
einer Stilsyulhese. Vertikale und Horizontale korrespondieren
einander, sowohl im Außenbau durch feste Wandgliederungen
und krabbengeschmückte Fialtürme, als auch im Innenraum,
wo umlaufende Emporen die straffe Bewegung der Kreuz-
rippenjoche oach vorn und nach oben mildern. Schinkel hat
einen Sakralbau geschaffen, der — unterstützt durch die Farbgebung
besonders an den Emporen und im Altarraum — Empfindung
und Gefühl der Gläubigen zur Feier des Gottesdienstes
anregen soll. An der Friedrich-Werder-Kirche zeigt sich dabei
augenfällig, daß die liturgischen Vorstellungen des späten
Schleiermacher wirksam werden, vor allem seine Feiertheorie
für den Gottesdienst, die Definition des Gottesdienstes als „darstellendes
Handeln" und „Circulation des religiösen Interesses".
Gottesdienst als Feier ist auch das Leitmotiv für die Berliner
Vorsladtkirehen, bei denen Schinkel aus praktischen Gründen
(Baukosten) klassizistische Stilelemente verwendet. Diese Kirchen
sind (wie auch der größte Teil der Dorfkirchen) Saalkirchen
mit großen Fenstern und einer Apsis. Innen werden
die Wandflächen meist hell gehalten, Emporenbrüstungen, Altarraum
und zuweilen der Triumphbogen sind dagegen farbig und
mit symbolischen oder biblischen Szenen ausgemalt. Die Emporenanlagen
schließen den Gemeinderaum zusammen und
unterstützen gleichzeitig die Ausrichtung des Saales auf den
Altar. Dadurch sind sakrale Räume entstanden, die klar und
überschaubar wirken. Neben dem gottesdienstlichen Anliegen
des Kirchenbaus seiner Zeit hat Schinkel besonders in den späten
Jahren praktische Gesichtspunkte betont (Kosten, Gemeindesituationen
usw.) Dies befähigte ihn auch, einen festen Bautyp für
kleinere Gemeinden zu entwerfen, die sogenannte Normalkirche.
Die Normalkirchc ist eine schlichte, kleine Saalkirche, verschieden
variierbar, die bei aller kostensparenden Einfachheit das
Streben nach Sakralität verwirklicht.

Schinkel wollte mit seinen Kirchen Bauten schaffen, die dem
liturgischen Anliegen seiner Zeit entsprechen. Er ordnete die
architektonische Gestaltung der Darstellung einer Idee („Wesen
des Christentums") unter, blieb aber seiner Konzeption nicht
»tan verhaftet, sondern vertiefte sie und bildete sie um, genial
! dem historischen Prozeß, an dem er selbst teilhatte. Er
forderte Lebendigkeit in der Architektur: „Kunst ist ein Symbol
des Lebens".

Die Untersuchung der Schiukelschen Kirchen zeigte aber
gleichzeitig die Problematik evangelischen Kirchenbaus überhaupt
auf. Die Aufgabe des Kirchengebäudes ist, Raum zu geben
für die Versammlung der Gemeinde zum Gottesdienst. Die Gestaltung
des Raumes hängt mit dem Gottesdienstverständnis
einer Epoche zusammen, uud der Architekt kann mir bauen,
wenn die theologischen Anliegen klar formuliert sind. In der
Regel bewegen sich die Lösungen zwischen den beiden Extremen
Sakralbau und Zweckraum. Schinkel hat sich, vor allem
in seinen späteren Jahren, um einen gangbaren Weg dazwischen
bemüht, üb und wie es ihm gelang, dies kann auch Hinweise
bieten für die Fragen zur Gestaltung des gottesdienstlichen
Raumes in der ('.egenwart.

Kondo, Katsuhiko: Theologie der Gestaltung hei Ernst Troeltsch.
Diss. Tübingen 1977. VI, 335 S.

Die Absicht dieser Arbeit besteht darin, das geschichts-
theologische Denken Ernst Troeltschs in seinem Zentrum und
Spezifikum zu begreifen. Mit dieser Absicht steht die Arbeit den
zwei Tendenzen gegenüber, die die bisherigen Troeltsch-Studien
überwiegend geprägt haben, nämlich der Neigung, Troeltsch
einerseits nur als Kritiker der vergangenen Theologie zu betrachten
und seine Arbeit damit als eine zwar notwendige, aber
nur negative Voraussetzung für eine zukünftige Theologie zu
verstehen, sowie der Tendenz, im Denken Troeltschs andererseits
nur verschiedene Einflüsse anderer Denker und damit nur
eine unbeständige Umwandlung wahrzunehmen. Im Gegensatz
zu diesen sich wechselseilig bedingenden Auffassungen handelt
es sich in dieser Arbeit darum, die eigentliche und positive
Position des Troeltschschen theologischen Denkens zu verdeutlichen
. Sie kann in dessen Gedanken der „Gestaltung" des Wesens
des Christentums, in der „Theologie der Gestaltung", erkannt
werden.

Diese Absicht nimmt diejenige Methode der Forschung in
Anspruch, die die chronologische und die systematische Perspektive
stets miteinander verbindet. Die Einheitlichkeit des
Troeltschschen Denkens kann also unter der Voraussetzung dargestellt
und verslanden werden, daß aus chronologischer Perspektive
die Wandlung sowie aus systematischer Perspektive
die Mannigfaltigkeit dieses Denkens berücksichtigt werden.

Der Hauptteil der Arbeit wird in drei Teile und sieben
Kapitel gegliedert.

Im ersten Teil der Arbeit (Kap. 1 —III) wird der Hintergrund
der Theologie der Gestaltung bei Troeltsch verdeutlicht
, und zwar hinsichtlich des Verständnisses der modernen
Welt (Kap. I), bezüglich seiner früheren Gedankenenlwicklung
(Kap. II) und im Hinblick auf seinen systematischen Denk-
znsammenhang (Kap. III). Dabei richtet sich die Aufmerksamkeil
besonders auf das Spezifikum des Troeltschschen Denkens
im Unterschied zum „entwicklungsgeschichtliche(n) Idealismus"
(E. Troeltsch, Gesammelte Schriften Bd. II, 1913, S. 434) Hegels
und Schlei ermachers einerseits sowie zum neukantianischen
Denken Heinrich Bickens und zur kulturphilosnphisrhen Position
Max Webers andererseits.

Im zweiten Teil (Kapitel IV—VI) werden Konstruktion und
Entfaltung der Theologie der Gestallung dargestellt. Die Konstruktion
wird als aus dreierlei Dimensionen bestehend
verstanden: es sind dies die subjektive Dimension von Entscheidung
und Tat, die historische Dimension einschließlich der
soziologischen Methode sowie die metaphysische Dimension
(Kap. V). Aufgrund dieses Verständnisses kann und muß man
die übliche, aber falsche Alternative vermeiden. Troeltsch entweder
;ils existentiellen Subjektivisten oder als historischen
Belativisten bzw. als entscheidungs- und geschichtslosen Mela-
physiker zu verstehen. Die Entfaltung wird auf der ideellen
Seite des religiösen Bewußtseins, sodann hinsichtlich der Organisation
der religiösen Gemeinschaft (Kap. V) und schließlieh bezüglich
der ethischen Seile der europäischen Kultursynthese
(Kap. VI) verfolgt.

Im dritten Teil (Kap. VII) werden Würdigung, Kritik und
Ausblick zusammeugefal.il. Die Bedeutung der Troeltsch-
schen Theologie der Gestaltung kann besonders in ihrem Bemühen
gewürdigt werden, dein Konkret-GeaehichUich-Relativen
gerecht zu werden, es auf das zukünftige Absolute hin offenzuhalten
und damit ferner in der Gestaltung des Geschichtlichen
am Kommen sowie an der Gestaltgewinnung des Absoluten
teilzunehmen. Von diesem Standpunkt aus kann man
Buch die religiöse Soziologie Troeltschs und besonders die Bedeutung
seiner dreifachen Typologie der religiösen Gemeinschaft
in angemessener Weise verstehen. Die Grenze seiner
Bemühungen liegt in der unüberwundenen Dissoziation — die
jedoch nicht als Alternative zu bezeichnen ist — zwischen der
Absicht, Geschichte durch Geschichte zu überwinden, und der
Theorie, die im Grunde in der hauptsächlich monadologischen
Metaphysik wurzelt.