Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

146-147

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Abendmahl 1979

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

145

Ihr psychologischer wie geistlicher Wert erschließt siel» erst bei
einer gewissen Regelmäßigkeit, doch darf die persönliche Aufnahmefähigkeit
nicht überspannt werden.

Eine knappe Zusummenschau zielt auf die Konsequenzen aus
jener weitgespannten und breit ausgefächerten Darstellung für
die „aktuelle Situation" (S. 310—317). Hierbei wird zugestanden
, daß die Einzelbeichte ritualistisch erstarrt, individualistisch
verengt und einseitig vertikal ausgerichtet ist; hierdurch sei sie
oftmals zum „Bußumgchungsinstilut" geworden. Dennoch wird
am Grundsatz: „Abusus non tollit usum" festgehalten und die
Pastorale wie ekklesiale Vertiefung gefordert. Bedenkens werte
Einsichten deuten sich hierbei im Hinblick auf die Satisfaktionen
an: eine milde Buße, ja die oft lächerliche Gebetsbuße, sei
oft gerade die grausamste Buße, weil sie das geistliche Aufarbeiten
der Schuld nicht fordere, sondern verhindere, gelte es
doch nach A. Corres den Heilungsweg von Denkarbeit, Traumarbeit
und Trauerarbeit einzuleiten (S. 312). Die Bußgottesdienste
sollten sich auf die Wortverkündigung und das gemeinsame
Gebet konzentrieren, sie sollten die gesellschaftliche
wie ekklesiale Dimension der gemeinsamen Schuld akzentuieren,
ohne hierbei die personhafte Verantwortung aufgehen zu lassen
in eine Beschreibung unseres sündigen Situiertseins. Die Erfahrung
der evangelischen Seite, daß jede Einzelbeichte letztlich
doch gemeinschaftsträchtiger sei als allgemeine Bußfeiern und
deshalb nach W. Löhe die schlechteste Privalbeichte immer noch
besser sei als jede allgemeine, sollte nicht in den Wind geschlagen
werden. In der Geschichte der Kirche sei die Absolution
niemals auf ein allgemeines Bekenntnis hin erteilt worden, deshalb
soll der Bußgottesdienst nicht nach der Würde eines Sakramentes
schielen. Schließlich wird der Gerichtscharakter der
Beichte unterstrichen und gegen einen pauschalen Einsatz bei
Gottes vorgängigem Erbarmen an Gottes heiligem Gerichtszorn
über die Sünder festgehalten, damit wird die reformatorische
Reihenfolge Gesetz und Evangelium gegenüber der neurefor-
matorischen Evangelium und Gebot verteidigt, ohne daß der
Vf. dies markiert. Gerade als reuiger Sünder dürfe sich der
Glaubende hineinbergen in das Chrislusgeschehen. „Nicht nur
Christus identifiziert sich mit dem reuigen Sünder auf dem
Gerichtsweg, der Sünder muß sich auch mit Christus auf diesem
Weg identifizieren wollen" (S. 317).

Die Habilitationsschrift von A. Ziegenaus ist, wie dieser knappe
Überblick gezeigt haben dürfte, ein weitschichtiges und in sich
auch nicht ganz einheitliches Werk, deshalb für einen evangelischen
Theologen auch nicht leicht zu beurteilen. Die Leitlinie
ist aber deutlich: Die modernen Anstöße vor und nach dem
II. Vatikanum sollen auhand der altkirchlichen Bußpraxis vertieft
und zugleich an die dogmatischen Entscheidungen des
Trienter Konzils rückgebunden werden. Die lilurgiegeschicht-
lichen wie dogmenhistorischen Talbestände, auf die hierbei der
Finger gelegt wird, sind fraglos zu beherzigen. Doch hätte man
gerne gewünscht, daß das biblische Zeugnis ursprünglicher zur
Geltung gekommen wäre und auch die reformatorischen Anstöße
nicht erneut durch die Gegenreformation aufgefangen
waren. Vor allem aber die Anfragen der Moderne, ihre Nöte
wie Chancen sind noch kaum artikuliert. Andererseits ist das
Opus im Unterschied zu dem evangelischen Parallelwerk von
Susi Hausanimann zu Buße als Umkehr und Erneuerung von
Mensch und Gesellschaft (Zürich 1974; siehe die Rezension in
der ThLZ 102, 1977 Sp. 607) mit praktischer Erfahrung gesättigt
, wenn es sich auch zu sehr auf die institutionalisierten
Gestalten der Buße konzentriert und etwa die großen Bußbewegungen
mit Schweigen übergeht. Bei einem Vergleich jener
beiden Werke fällt auf, wie hier die gemeinsame Geschichte
der abendländischen Christenheit noch in zwei Traditionsstränge
auseinanderfällt; eine gemeinsame ökumenische Sicht von Buße,
Beichte und Sündenvergebung ist eine durchaus noch vor uns
liegende Aufgabe. Wer unter den evangelischen Theologen sieh
hierum müht, sollte das Opus von A. Ziegenaus nicht umgehen,
gerade weil es die uns weithin fremde tridentinischc Seite jener
Tradition altkirchlich zu verliefen, biblisch zu begründen und
für die Gegenwart fruchtbar zu machen sucht.

Heidelb.in; Albrecht Peter«

146

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Nitschke, Horst: Abendmahl. Liturgische Texte, Gcsamtentwürfe,
Predigten, Feiern mit Kindern, besondere Gestaltungen, Besinnungen
, in Zusammenarb. m. Ch. Zippert hrsg. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1977]. 139 S. 8°. Kart.
DM 16,80.

„Was hindert die Menschen, am Abendmahl teilzunehmen?"
Chr. Zippert geht einleitend dieser Frage nach (9—17) und
nennt mögliche Hindernisse: Angst vor Infektionen (gemeinsamer
Kelch!) und Angst vor unwürdigem Genuß; Defizite in
der kirchlichen Unterweisung und in der Gestaltung der Feier
(fehlender Gemeinschafts- und Mahlbezug; Oblaten, Wandelkommunion
usw.); ein gestörtes Verhältnis vor allem der Pfarrer
zum Abendmahl. Therapievorschläge: Ermutigung zu Abend-
mahlser/a/irungt'M (die jedem „Abendmahlsversländnis" vorausgehen
müssen; deshalb Plädoyer für die Kinderkommunion!);
Entfaltung der „Vielfalt der Motive des Abendmahls" (gegen
eine Reduktion auf das Motiv „Sündenvergebung" und eine
obligatorische Verbindung von Beichte und Abendmahl); Verdeutlichung
des Gemeinschaftscharakters (das „Zeichen" soll
wieder „sprechen"; deshalb Gruppenkommunion, Feiern am
Tisch, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Mahlzeit).

Es liegt nahe, die hier zusammengetragenen Texte verschiedenster
Verfasser („Hinführungen", Sündenbekenntnisse, Eingangs
- und Fürbiltcngebete, Präfationen, Texte zu den Ein-
selzungsworten, Dankgebete; aber auch Predigten, Gesamtent-
wiirfc, Berichte über besondere Abendmahlsfeiern usw.) zu befragen
, wie in ihnen solche oder andere Möglichkeiten zur
Therapie des diagnostizierten Befundes („Das Abendmahl spielt
eine klägliche Rolle in unserem Leben", 76) wirksam werden.
Folgende Tendenzen zeichnen sich ab:

1. Eigentlich im Gegensatz zu dem von Zippert postulierten
Vorrang der „Erfahrung" vor dem „Verständnis" dominiert in
zahlreichen Texten und Entwürfen das Element der Belehrung:
Abbau von Vorbehalten und Mißverständnissen soll erreicht werden
durch — in den Ablauf des liturgischen Geschehens integrierte
— Unterweisung. Beispiele: Die „Hinführungen" (19—28),
in denen die traditionelle Gattung der „Abendmahlsvermahnung
" wieder auflebt; die „Texte zu den Einsetzungsworten"
von Th. Lescow (40ff), die zwar Elemente des eucharistischen
Hochgcbeles aufnehmen, im ganzen aber doch mehr „Lehre''
als Lobpreis sind; die mit exegetischer Akribie formulierte (und
so gleichfalls kräftig mit „Lehre" angereicherte) Paraphrase der
Einsetzungsworte von K. VVengst (HOf).

2. Die Forderung Zipperts, man möge den Gemeinschafts-
chaiakter des Abendmahls verdeutlichen, scheint Gehör gefunden
zu haben: Es ist sehr viel von „Gemeinschaft" (und verwandten
Begriffen) die Rede in diesen Texten. Beispiele: K.
Marli, der in seiner „Hinführung" das Abendmahl als „Freund-
sclinftsmahl" definiert (19f); R. Schulz, dessen Vermahnung mit
dem Satz beginut: „Das Abendmahl, so hören wir, möchte Gemeinschaft
schaffen" (221); C. Marcus, der im Trinken aus dem
Kelch „die neue Gemeinschaft des Srhalom Gottes" ahnt (25);
H. R. Preuß, für den das Abendmahl vor allem Bekräftigung
von Gemeinschaft (freilich: mit Gott und den Brüdern) ist
(27) ... Die Beihe ließe sich beliebig fortsetzen: Abendmahl
wird als Darstellung, Vollzug, Erfahrung von Gemeinschaft verstandeil
.

3. Verstanden — aber auch gefeiert? Wieder stoßen wir auf
jene merkwürdige Dominanz der Lehre, der Protestanten — auch
und gerade da, wo es etwas zu handeln, zu feiern, zu sehen
und zu schmecken gibt — hoffnungslos verfallen zu sein scheinen
: Worte über „Gemeinschaft" finden sich genug in den vorliegenden
Texten — Anregungen, Vorschläge, Modelle für eiuen
Vollzug, durch den das Stichwort „Gemeinschaft" aus dem
Bereich der rechten Lehre in den Bereich gottesdienstlicher
Praxis überführt wird, sind relativ selten. Immerhin — es gibt
solche Modelle, und sie gehören zum Anregendsten, was dieses
Buch zu bieten hat: eine ökumenische Agapefeier (keine eigentliche
„Eucharistie"!) aus Frankfurt am Main (130—138; kaum

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 2