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1979

Kategorie:

Neues Testament

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 2

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praktikablen Schema (Information, Problemskizze, Konkretion)
diskutiert werden: Jesus, ein frommer Jude?, Jesus, ein großer
Mensch?, Jesus, ein Sozialrevolutionär?, Jesus, ein Antibürger?
und schließlich: Jesus, Gotlmensch und Erlöser (das kirchliche
Jesusbild). Das flüssig geschriebene, in vielen Passagen auch
griffig formulierte, im Druckbild übersichtlich gestaltete Buch
reiht sich in eine Fülle ähnlicher Veröffentlichungen ein. Eine
Vorstellung in diesem Rahmen wird besonders den theologischen
Standort und die Zuverlässigkeit der Information testen
müssen. Unter dieser Rücksicht fällt, trotz der Anerkennung
vieler Vorzüge, das Urteil nicht günstig aus.

Zunächst: Gerade von solchen Schriften ist zu erwarten, daß
sauber argumentiert und genau, d. h. hier vor allem theologisch
genau, geredet wird. Oft werden Informationen vergröbert
gegeben. Einige kommentarlos aneinandergefügte Zitate mögen
das illustrieren. Dies geschieht natürlich unter dem Vorbehalt
, daß bei solcher Auswahl-Methode der jeweilige Zusammenhang
verletzt wird und ein gerechtes Urteil über das
Ganze damit nicht gewonnen werden kann. Anderseits wird
man den angezielten Personenkreis vor Augen haben müssen;
das Buch wendet sich nicfit an Fernstehende, die aufmerksam
gemacht werden sollen, sondern an Gruppen der Gemeinde.
„Trotz seiner Parteinahme für die Armen war Jesus ein ,Freund
der Zöllner' .. . also von Ausbeutern und Kapitalisten übelster
Sorte" (S. 70). „Es war in der Tat eine Revolution, eine ,Um-
walzung' wenn Jesus die auf der Ungleichheit basierende patriarchalische
Gesellschaftsordnung seiner Zeit kurzerhand außer
Kraft setzt und sagt: Keiner soll sich ,Lehrer' und ,Vater'
,ncnnen lassen', denn es gibt nur .einen Lehrer' und ,einen
Vater'. . ." (S. 71). „Die bisherigen Sozialrevolutionen zeigen,
daß der Mensch nie eine bessere Welt, sondern höchstens eine
weniger schlechte Welt schaffen kann,..." (S. 74). „Obschon das
Reich Gottes nicht machbar ist, ist es deswegen kein Wölkenkuckucksheim
, sondern es ist ,in eurer Mitte', d. h. es ist nichts
anderes als Jesus selbst. Sein Reich entsteht schon heute
überall da, wo es ihm gelingt, Menschen vom Bösen zu befreien
, seine neue Ordnung der Liebe unter ihnen durchzusetzen
und die Mauern der Vorurteile, die sie voneinander
trennen, einzureißen" (S. 75). „Um es gleich zu sagen, im
Neuen Testament enthält weder der Titel Gottessohn noch der
Titel Herr (= Kyrios) etwas herrschaftlich Autoritäres; Gottessohn
und Herr sind keine autoritären Titel" (S. 76). „Nicht
genug damit, daß sich Jesus über die bisherigen Sitten und
Konventionen hinwegsetzt; er setzt auch die 613 jüdischen
Gebote außer Kraft und läßt im Grunde nur noch ein Gebot,
das Gebot der schrankenlosen Liebe (Matthäus 22,36—40) gelten
, eine skandalöse Zumutung für die Suchwalter der Tradition
' (S. 93). ,Jesus hat die Menschen von der bleiernen Tyran-
nis des Herkommens befreit" (S. 96). Zu Jesus als Bringer der
Freude: „Ähnlich ist es bei den anderen Evangelien, man denke
an die Hochzeit zu Kanaan, wo Jesus in überschwenglicher
Freude Wasser in Wein verwandelt haben soll (Johannes 2,lff.)"
(S. 97). „Die Befreiung von der I.rislungspeitsche: War Jesus
ein unermüdlicher Arbeiter, so war er doch kein ,Managertyp'.
Er hatte immer Zeit für die anderen und vor allem immer Zeit
für Gott" (S. 98). „Jesus ist auch hier Vorbild. Er macht nichts
aus sich und bleibt gerade dadurch er selbst. Er hat ein starkes
Ich, läßt sich aber deswegen nicht von seinem Ich an die Kette
legen. Er geht mit sieb selbst sparsam um — die Bescheidenheit
,s' ja der Grundzug seines Wesens; trotzdem tritt er selbstbewußt
auf (1 B 1). Er war der einzige, der sich selbst bejaht
hat, ohne sich selbst zu verfallen" (S. 104). „Nur der niedrige
Christus des Neuen Testaments, der keine göttliche Aura hat,
weil sicli seine Gottheil in seiner Menschheit verbirgt, sagt dem
heutigen Menschen noch etwas. Der mitleidlose Supermensch
der byzantinischen Christologie, wie er die christliche Frömmigkeit
bis heute bestimmt, läßt ihn kalt" (S. 122).

Kritischer noch als solche oft flachen, ungenauen und auch
„aufgegeckten" Formulierungen ist die Frage nach den theologischen
Denkansätzen zu beurteilen. Dies kann nur angedeutet
werden. Die Frage nach der „Gottheit Jesu" (etwa S. 50f) wird
nicht aufgeschlüsselt und vermittelt, sie wird eigentlich nur, wie
es dem traditionellen Grundzug de.< ganzen Buches entspricht,

thetisch mit der geläufigen Glaubensformel beantwortet. Am
problematischsten erschien mir der soteriologische Ansatz bei
der Sündenlosigkeit Jesu, des Gottessohnes, als der notwendigen
Voraussetzung für die Befreiung des Menschen von der Sünde:
„Wir verstehen jetzt, warum Jesus sündelos, warum er mehr als
nur ein Mensch, warum er Gott selber sein mußte, um helfen
zu können. Ein Mensch — und sei es ein großer — hätte den
Menschen nicht befreien können" (S. 51). Auch diese theologische
Antwort der Tradition hätte aufgebrochen und mit der
neueren Jesusforschung und Christologie vermittelt werden
können. Insgesamt ergibt sich von daher für die Einschätzung
der Situation des Menschen und für den Weltbezug seines Lebens
und Wirkens eine m. E. verhängnisvolle Engführung (vgl.
besonders den Abschnitt B. i.—3., S. 48—58), die auch eine
Folge davon sein dürfte, daß in die theologische Konzeption
die Perspektive der „Gottesherrschaft" nicht einbezogen ist
(vgl. dagegen oben zu dem Buch von W. Marxsen). Dem entspricht
eine christologischc Engführung, in der Jesus Christus
im Kern der Auslegung als „Erlöser von der Sünde" begriffen
wird. Doch was „Sünde" — ein äußerst schwierig zu erfassender
komplizierter Begriff — eigentlich sei, das wird nicht gründlich
besprochen. Für die Vermittlung der anderen Begriffe „Erlöser/
Erlösung" verwendet Vf. gern das Bild eines Gefängnisses
(S. 50f und häufig), ohne jedoch die Grenzen im Anwendungsbereich
zu benennen. So läßt die öfter wiederkehrende Deutung
des Bildes, daß man ein Gefängnis nicht von innen, sondern —
wie jedes Gefängnis (!) — nur von außen öffnen könne, die
Frage beiseite, die sich beim Leser einstellen kann, daß nämlich
Gefängnisse auch von innen (gewaltsam) aufgemacht werden
können.

Insgesamt läßt die Lektüre des Buches einen zwiespältigen
Eindruck zurück und manche Fragen offen, die aus Respekt vor
dem potentiellen Leserkreis eine eindringendere Behandlung
verdienten.

I-eipzig Wolfgang Trilling

Aus, R. ü.: God's Plan and God's Power: Isaiah 66 and the
Restraining Factors of 2 Thess 2:6-7 (JBL 96, 1977 S.
537-553).

Goppell, Leonhard: Theologie des Neuen Testaments. 1: Jesu
Wirken in seiner theologischen Bedeutung. Hrsg. v. J. Roloff.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt (Lizenzausgabe des Verlages
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen) [1977]. 312 S. 8°.
(s. Bespr. in ThLZ 101. 1976 Sp. 424-430).

Richards, W. L.: A Critique of a New Testament Text-Critical
Methodology - The Claremont Profile Method (JBL 96, 1977
S. 555-566).

Tatum, W. B.: „The Origin of Jesus Messiah" (Matt 1:1, 18a):
Matthew's Use of the Infancy Traditions (JBL 96, 1977
S. 523-5.'!5!.

Weiß, Hans Friedrich: Schöpfung in Christus. Zur Frage der
christologischen Begründung der Schöpfungstheologie im Neuen
Testament (ZdZ 1977 S. 4S1-437).

Territorialkirchengeschichte

Handy, Robert T.: A History of the Churchcs in the United
States and Canada. Oxford: Clarendon Press; London: Oxford
University Press 1976. XIII, 471 S. gr. 8° = Oxford
History of the Christian Church, Lw. £ 9.50.
In der auf etwa 20 Bände berechneten „History of the
Christian Church" mit den beiden bekannten englischen Kirchenhistorikern
Henry and Owen Chadwick als Gencralheraus-
gebern hat Handy zum erstenmal in der einschlägigen Literatur
eine Gesamtdarstellung vorgelegt, die die Vereinigten Staaten
und Canada umfaßt Wie berechtigt diese komplexe Behandlung
aus kultur- und kircbengeschichtlichen Gründen ist, er-
v.eihl ndl leicht im Duktus der breit- und weitfächernden Behandlung
des Stoffes.

Der Vf. lehrt seit 1950 am Union Theological Seminary,
New York City, Kirehengcschichtc und ist bereits durch eine